Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.leistung klingend zu vergüten, daß es den Leuten gar nicht in den Sinn Es ist also leider nicht zu leugnen -- die Bestechlichkeit ist groß in der 5*
leistung klingend zu vergüten, daß es den Leuten gar nicht in den Sinn Es ist also leider nicht zu leugnen — die Bestechlichkeit ist groß in der 5*
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0043" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/104244"/> <p xml:id="ID_109" prev="#ID_108"> leistung klingend zu vergüten, daß es den Leuten gar nicht in den Sinn<lb/> kommt, die Bestechlichkeit zu verachtn.' „Der Beamte hat Kinder und wird<lb/> schlecht bezahlt," sagt der Moldauer in seiner Gutmüthigkeit, und erlaubt sich<lb/> höchstens einen Scherz. Ein solcher, übrigens auf einer historischen Anekdote<lb/> beruhender kam neulich auch auf dem Nationaltheater in Jassy vor und ist zu<lb/> charakteristisch, um hier nicht seine Stelle zu finden, als Beweis, wie scharf¬<lb/> sinnig der Beamte bisweilen seine Einkünfte zu vergrößern weiß. ES war<lb/> einmal ein Kreishauptmann oder Jspravnik, der hatte kein unbewegliches<lb/> Vermögen, wol aber ein bewegliches in Gestalt eines Truthahns, der als ein¬<lb/> samer Hagestolz aus dem Hose lebte, aber täglich in den Morgenstunden seinem<lb/> Herrn die wichtigsten Dienste leistete. Die Klagenden und Bittenden suchten<lb/> den Würdenträger gewöhnlich in seinem Hause auf, statt auf das Amtölocal<lb/> ju gehn, weil der Herr so spät aufzustehn pflegte. Ein gut abgerichteter<lb/> Zigeunerbursche empfing sie im Vorzimmer, wo sie von draußen nur einzeln<lb/> hereingelassen wurden. „Was willst du?" war die übliche Frage.'— „Ich<lb/> habe eine Klage vorzubringen." — „Hast du denn gar nichts mitgebracht?"<lb/> ^- „Nein." — „Nach der Landessitte schickt es sich nicht, so mit leeren Händen<lb/> zu kommen — weißt du was, ich will dir einen Truthahn verkaufen, den du<lb/> dann dem Herrn hineinträgst." Der Kläger kratzte sich vielleicht wol den<lb/> Kopf, erhandelte aber den Truthahn, und trug ihn als Beilage zu seiner<lb/> Bittschrift ins Zimmer, von wo der langbeinige Vogel augenblicklich wieder<lb/> zu dem Zigeunerburschen zurückkehrte, um in die Hände eines neuen Käufers<lb/> zu gerathen. Wenn man bedenkt, daß dieser Handel sich 4 0 bis 20 Mal<lb/> täglich wiederholte, so kann man sich vorstellen, welchen Umsatz von Capitalien<lb/> der wackere Indian zu Wege brachte. Er sott am Ende an sein Handwerk so<lb/> gewöhnt gewesen sein, daß er jedem Eintretenden ohne Aufforderung leichtfüßig<lb/> auf den Arm hüpfte.</p><lb/> <p xml:id="ID_110" next="#ID_111"> Es ist also leider nicht zu leugnen — die Bestechlichkeit ist groß in der<lb/> Moldau. Wir stellen aber auch zugleich die Behauptung auf, daß bei der<lb/> jetzigen Lage der Dinge daS Uebel hat einreißen müssen, wenn man dabei<lb/> bedenkt, seit wie kurzer Zeit erst die Civilisation ihren Einzug in den Donau-<lb/> provinzen gehalten hat. Wir brauchen nur den obenerwähnten sinnreichen<lb/> Besitzer des Truthahns zu nehmen: er ist Jspravnik, bewohnt die Hauptstadt<lb/> des Districts, ist durch die Landessitte gezwungen, offenes Haus zu halten<lb/> für Bekannte und Unbekannte, die oft mit Pferden und Dienerschaft tagelang<lb/> bei ihm zubringen, und daS Personal seiner Kanzlei ist etatmäßig nicht zahl¬<lb/> reich genug sür die laufenden Geschäfte, er muß aus eigenen Mitteln noch<lb/> einige Schreiber halten. Und um allen diesen Ausgaben die Stirn zu bieten,<lb/> hat er 8—900 Thlr. Gehalt! Hat der Mann also kein eigenes Vermögen, so<lb/> bleibt ihm nichts übrig, als den Dienst zu verlassen oder — zu dem Indian</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> 5*</fw><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0043]
leistung klingend zu vergüten, daß es den Leuten gar nicht in den Sinn
kommt, die Bestechlichkeit zu verachtn.' „Der Beamte hat Kinder und wird
schlecht bezahlt," sagt der Moldauer in seiner Gutmüthigkeit, und erlaubt sich
höchstens einen Scherz. Ein solcher, übrigens auf einer historischen Anekdote
beruhender kam neulich auch auf dem Nationaltheater in Jassy vor und ist zu
charakteristisch, um hier nicht seine Stelle zu finden, als Beweis, wie scharf¬
sinnig der Beamte bisweilen seine Einkünfte zu vergrößern weiß. ES war
einmal ein Kreishauptmann oder Jspravnik, der hatte kein unbewegliches
Vermögen, wol aber ein bewegliches in Gestalt eines Truthahns, der als ein¬
samer Hagestolz aus dem Hose lebte, aber täglich in den Morgenstunden seinem
Herrn die wichtigsten Dienste leistete. Die Klagenden und Bittenden suchten
den Würdenträger gewöhnlich in seinem Hause auf, statt auf das Amtölocal
ju gehn, weil der Herr so spät aufzustehn pflegte. Ein gut abgerichteter
Zigeunerbursche empfing sie im Vorzimmer, wo sie von draußen nur einzeln
hereingelassen wurden. „Was willst du?" war die übliche Frage.'— „Ich
habe eine Klage vorzubringen." — „Hast du denn gar nichts mitgebracht?"
^- „Nein." — „Nach der Landessitte schickt es sich nicht, so mit leeren Händen
zu kommen — weißt du was, ich will dir einen Truthahn verkaufen, den du
dann dem Herrn hineinträgst." Der Kläger kratzte sich vielleicht wol den
Kopf, erhandelte aber den Truthahn, und trug ihn als Beilage zu seiner
Bittschrift ins Zimmer, von wo der langbeinige Vogel augenblicklich wieder
zu dem Zigeunerburschen zurückkehrte, um in die Hände eines neuen Käufers
zu gerathen. Wenn man bedenkt, daß dieser Handel sich 4 0 bis 20 Mal
täglich wiederholte, so kann man sich vorstellen, welchen Umsatz von Capitalien
der wackere Indian zu Wege brachte. Er sott am Ende an sein Handwerk so
gewöhnt gewesen sein, daß er jedem Eintretenden ohne Aufforderung leichtfüßig
auf den Arm hüpfte.
Es ist also leider nicht zu leugnen — die Bestechlichkeit ist groß in der
Moldau. Wir stellen aber auch zugleich die Behauptung auf, daß bei der
jetzigen Lage der Dinge daS Uebel hat einreißen müssen, wenn man dabei
bedenkt, seit wie kurzer Zeit erst die Civilisation ihren Einzug in den Donau-
provinzen gehalten hat. Wir brauchen nur den obenerwähnten sinnreichen
Besitzer des Truthahns zu nehmen: er ist Jspravnik, bewohnt die Hauptstadt
des Districts, ist durch die Landessitte gezwungen, offenes Haus zu halten
für Bekannte und Unbekannte, die oft mit Pferden und Dienerschaft tagelang
bei ihm zubringen, und daS Personal seiner Kanzlei ist etatmäßig nicht zahl¬
reich genug sür die laufenden Geschäfte, er muß aus eigenen Mitteln noch
einige Schreiber halten. Und um allen diesen Ausgaben die Stirn zu bieten,
hat er 8—900 Thlr. Gehalt! Hat der Mann also kein eigenes Vermögen, so
bleibt ihm nichts übrig, als den Dienst zu verlassen oder — zu dem Indian
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