Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Bestrebungen zur Hebung der arbeitenden Classen.
'''
' - til^is. M
Assecuranz und Almosen.

Unter denen, welche von der Unmöglichkeit einer Rückkehr zu der frühern
Gewerbeverfassung überzeugt sind und die Nothwendigkeit, sich dem Gange der
industriellen Entwicklung unsrer Tage zu fügen, anerkennen, unterscheiden sich
wiederum hinsichtlich der Stellung, welche man den Arbeitern dem Gange der
Dinge gegenüber anweisen will, zwei entgegengesetzte Richtungen.

Die eine, mit der wir es hier zu thun haben, geht mehr oder weniger
bewußt davon aus: daß den bisherigen Kleingewerbtreibenden und Hand¬
werkern einmal nicht zu helfen sei, da sich bei ihnen die Bedingungen des für
die Zukunft allein lohnenden Großbetriebes nicht vorfinden, weshalb man jede
Bestrebung, ihre gewerbliche Selbstständigkeit zu erhalten, als unnütz aufgeben
und sich lediglich mit dein Loose der ünselbstständigen Arbeiter beschäftigen
müsse (denn andere gibt eS für sie, der Classe der großen Unternehmer gegen¬
über, nicht), zu denen die Kleinmeister über lang oder kurz doch übergehen
würden. Im Besondern faßt man die Aufgabe dahin, die Arbeiter vor den
vielen von ihnen nicht verschuldeten Zwischenfällen zu sichern, welche ihre
Arbeitskraft und ihren allein auf dieselbe gegründeten Erwerb zeitweis oder aus
die Dauer bedrohen und sie in unvermeidliches Elend stürzen, wie z. B.
Krankheit, Alter, Invalidität. Namentlich sucht man dies durch mancherlei
Kasse" und Bereine, wie Kranken-, Invaliden-, Wittwen- und Altersver-
sorguugskassen, zu bewirken, welche sämmtlich auf dem Assecuranzprincip be¬
ruhen. Der Arbeiter steuert in den Tagen rüstiger Kraft und voller Be¬
schäftigung in diese Kassen, welche dagegen ihm und seinen Hinterbliebenen, beim
Eintritt der vorgesehenen Fälle, eine Rente gewähren, deren Bestimmung ist;
den alsdann wegfallenden Arbeitslohn zu ersetzen. Da nach dieser Richtung
hin von sehr einflußreicher Seile, von vielen Inhabern großer Etablissements,
wie von manchen Regierungen, zum Theil auch von den Arbeitern selbst ge¬
wirkt wird, das System auch in einigen vorzugsweise industriellen Districten
eine ziemliche Ausbildung erfahren hat, so liegen bereits Proben über seine
Erfolge vor, die uns bei Her Beurtheilung desselben, die wir hier folgen lassen,
leiten sollen.


Grenzboten. III. 18ö7. 51
Die Bestrebungen zur Hebung der arbeitenden Classen.
'''
' - til^is. M
Assecuranz und Almosen.

Unter denen, welche von der Unmöglichkeit einer Rückkehr zu der frühern
Gewerbeverfassung überzeugt sind und die Nothwendigkeit, sich dem Gange der
industriellen Entwicklung unsrer Tage zu fügen, anerkennen, unterscheiden sich
wiederum hinsichtlich der Stellung, welche man den Arbeitern dem Gange der
Dinge gegenüber anweisen will, zwei entgegengesetzte Richtungen.

Die eine, mit der wir es hier zu thun haben, geht mehr oder weniger
bewußt davon aus: daß den bisherigen Kleingewerbtreibenden und Hand¬
werkern einmal nicht zu helfen sei, da sich bei ihnen die Bedingungen des für
die Zukunft allein lohnenden Großbetriebes nicht vorfinden, weshalb man jede
Bestrebung, ihre gewerbliche Selbstständigkeit zu erhalten, als unnütz aufgeben
und sich lediglich mit dein Loose der ünselbstständigen Arbeiter beschäftigen
müsse (denn andere gibt eS für sie, der Classe der großen Unternehmer gegen¬
über, nicht), zu denen die Kleinmeister über lang oder kurz doch übergehen
würden. Im Besondern faßt man die Aufgabe dahin, die Arbeiter vor den
vielen von ihnen nicht verschuldeten Zwischenfällen zu sichern, welche ihre
Arbeitskraft und ihren allein auf dieselbe gegründeten Erwerb zeitweis oder aus
die Dauer bedrohen und sie in unvermeidliches Elend stürzen, wie z. B.
Krankheit, Alter, Invalidität. Namentlich sucht man dies durch mancherlei
Kasse» und Bereine, wie Kranken-, Invaliden-, Wittwen- und Altersver-
sorguugskassen, zu bewirken, welche sämmtlich auf dem Assecuranzprincip be¬
ruhen. Der Arbeiter steuert in den Tagen rüstiger Kraft und voller Be¬
schäftigung in diese Kassen, welche dagegen ihm und seinen Hinterbliebenen, beim
Eintritt der vorgesehenen Fälle, eine Rente gewähren, deren Bestimmung ist;
den alsdann wegfallenden Arbeitslohn zu ersetzen. Da nach dieser Richtung
hin von sehr einflußreicher Seile, von vielen Inhabern großer Etablissements,
wie von manchen Regierungen, zum Theil auch von den Arbeitern selbst ge¬
wirkt wird, das System auch in einigen vorzugsweise industriellen Districten
eine ziemliche Ausbildung erfahren hat, so liegen bereits Proben über seine
Erfolge vor, die uns bei Her Beurtheilung desselben, die wir hier folgen lassen,
leiten sollen.


Grenzboten. III. 18ö7. 51
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0409" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/104610"/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die Bestrebungen zur Hebung der arbeitenden Classen.<lb/>
'''</head><lb/>
          <div n="2">
            <head>      ' - til^is. M<lb/>
Assecuranz und Almosen.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_1070"> Unter denen, welche von der Unmöglichkeit einer Rückkehr zu der frühern<lb/>
Gewerbeverfassung überzeugt sind und die Nothwendigkeit, sich dem Gange der<lb/>
industriellen Entwicklung unsrer Tage zu fügen, anerkennen, unterscheiden sich<lb/>
wiederum hinsichtlich der Stellung, welche man den Arbeitern dem Gange der<lb/>
Dinge gegenüber anweisen will, zwei entgegengesetzte Richtungen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1071"> Die eine, mit der wir es hier zu thun haben, geht mehr oder weniger<lb/>
bewußt davon aus: daß den bisherigen Kleingewerbtreibenden und Hand¬<lb/>
werkern einmal nicht zu helfen sei, da sich bei ihnen die Bedingungen des für<lb/>
die Zukunft allein lohnenden Großbetriebes nicht vorfinden, weshalb man jede<lb/>
Bestrebung, ihre gewerbliche Selbstständigkeit zu erhalten, als unnütz aufgeben<lb/>
und sich lediglich mit dein Loose der ünselbstständigen Arbeiter beschäftigen<lb/>
müsse (denn andere gibt eS für sie, der Classe der großen Unternehmer gegen¬<lb/>
über, nicht), zu denen die Kleinmeister über lang oder kurz doch übergehen<lb/>
würden. Im Besondern faßt man die Aufgabe dahin, die Arbeiter vor den<lb/>
vielen von ihnen nicht verschuldeten Zwischenfällen zu sichern, welche ihre<lb/>
Arbeitskraft und ihren allein auf dieselbe gegründeten Erwerb zeitweis oder aus<lb/>
die Dauer bedrohen und sie in unvermeidliches Elend stürzen, wie z. B.<lb/>
Krankheit, Alter, Invalidität. Namentlich sucht man dies durch mancherlei<lb/>
Kasse» und Bereine, wie Kranken-, Invaliden-, Wittwen- und Altersver-<lb/>
sorguugskassen, zu bewirken, welche sämmtlich auf dem Assecuranzprincip be¬<lb/>
ruhen. Der Arbeiter steuert in den Tagen rüstiger Kraft und voller Be¬<lb/>
schäftigung in diese Kassen, welche dagegen ihm und seinen Hinterbliebenen, beim<lb/>
Eintritt der vorgesehenen Fälle, eine Rente gewähren, deren Bestimmung ist;<lb/>
den alsdann wegfallenden Arbeitslohn zu ersetzen. Da nach dieser Richtung<lb/>
hin von sehr einflußreicher Seile, von vielen Inhabern großer Etablissements,<lb/>
wie von manchen Regierungen, zum Theil auch von den Arbeitern selbst ge¬<lb/>
wirkt wird, das System auch in einigen vorzugsweise industriellen Districten<lb/>
eine ziemliche Ausbildung erfahren hat, so liegen bereits Proben über seine<lb/>
Erfolge vor, die uns bei Her Beurtheilung desselben, die wir hier folgen lassen,<lb/>
leiten sollen.</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten. III. 18ö7. 51</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0409] Die Bestrebungen zur Hebung der arbeitenden Classen. ''' ' - til^is. M Assecuranz und Almosen. Unter denen, welche von der Unmöglichkeit einer Rückkehr zu der frühern Gewerbeverfassung überzeugt sind und die Nothwendigkeit, sich dem Gange der industriellen Entwicklung unsrer Tage zu fügen, anerkennen, unterscheiden sich wiederum hinsichtlich der Stellung, welche man den Arbeitern dem Gange der Dinge gegenüber anweisen will, zwei entgegengesetzte Richtungen. Die eine, mit der wir es hier zu thun haben, geht mehr oder weniger bewußt davon aus: daß den bisherigen Kleingewerbtreibenden und Hand¬ werkern einmal nicht zu helfen sei, da sich bei ihnen die Bedingungen des für die Zukunft allein lohnenden Großbetriebes nicht vorfinden, weshalb man jede Bestrebung, ihre gewerbliche Selbstständigkeit zu erhalten, als unnütz aufgeben und sich lediglich mit dein Loose der ünselbstständigen Arbeiter beschäftigen müsse (denn andere gibt eS für sie, der Classe der großen Unternehmer gegen¬ über, nicht), zu denen die Kleinmeister über lang oder kurz doch übergehen würden. Im Besondern faßt man die Aufgabe dahin, die Arbeiter vor den vielen von ihnen nicht verschuldeten Zwischenfällen zu sichern, welche ihre Arbeitskraft und ihren allein auf dieselbe gegründeten Erwerb zeitweis oder aus die Dauer bedrohen und sie in unvermeidliches Elend stürzen, wie z. B. Krankheit, Alter, Invalidität. Namentlich sucht man dies durch mancherlei Kasse» und Bereine, wie Kranken-, Invaliden-, Wittwen- und Altersver- sorguugskassen, zu bewirken, welche sämmtlich auf dem Assecuranzprincip be¬ ruhen. Der Arbeiter steuert in den Tagen rüstiger Kraft und voller Be¬ schäftigung in diese Kassen, welche dagegen ihm und seinen Hinterbliebenen, beim Eintritt der vorgesehenen Fälle, eine Rente gewähren, deren Bestimmung ist; den alsdann wegfallenden Arbeitslohn zu ersetzen. Da nach dieser Richtung hin von sehr einflußreicher Seile, von vielen Inhabern großer Etablissements, wie von manchen Regierungen, zum Theil auch von den Arbeitern selbst ge¬ wirkt wird, das System auch in einigen vorzugsweise industriellen Districten eine ziemliche Ausbildung erfahren hat, so liegen bereits Proben über seine Erfolge vor, die uns bei Her Beurtheilung desselben, die wir hier folgen lassen, leiten sollen. Grenzboten. III. 18ö7. 51

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/409
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/409>, abgerufen am 22.07.2024.