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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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Zuvörderst müssen wir, wie schon angedeutet wurde, die bisher selbststän-
digen Kleingewerbtreibenden hier ganz bei Seite lassen und uns lediglich an
die Classe der Lohnarbeiter halten. Denn die Natur der Sache bringt es mit
sich, daß die erstern alles, was sie von ihrem ohnehin knappen Einkommen
nach Bestreitung ihres Lebensunterhaltes erübrigen, "wieder werbend in ihrem
Geschäft anlegen müssen, wenn dasselbe bestehen soll. Nur im Aufschwünge
dieses eignen Geschäfts müssen diese Leute ihr Heil, die Si'cherstellung für sich
und die Ihrigen suchen.

Aber auch in Bezug auf die eigentlichen Lohnarbeiter in den Fabriken
und sonst stößt die Durchführung des Systems aus erhebliche Schwierigkeiten
und Bedenken. Soll die Assecuranz nur einigermaßen ihrem Zweck ent¬
sprechen, den Arbeiter und dessen Familie in den bestimmten Fällen gegen
Mangel schützen, so müssen die Beisteuern zu den fraglichen Kassen schon
ziemlich hoch gegriffen werden. Denn natürlich können die letztern nichts
in der Form von Renten wieder herauszahlen, was sie nicht in der Form
von Beisteuern erst empfangen haben, und verursachen obenein Verwal-
tungskosten. Im Grunde vermitteln dieselben, wie alle auf Gegenseitig¬
keit gegründete Assecuranzen, doch nichts Anderes: als daß die Gesammt¬
heit der steuernden Mitglieder denjenigen Einzelnen unter ihnen, welche in den
Fall kommen, der Unterstützung zu bedürfen, die fraglichen Renten ans ihren
Mitteln zahlt. Insofern daher einige Versicherte durch solche Renten mehr
erhalten, als sie selbst eingesteuert haben, muß dies durch ein Minder bei
andern aufgewogen werden, indem dieselben entweder gar nicht oder nur in ge¬
ringem Maße in die Lage gerathen, .für welche die Kassen einstehen müssen.
Soll daher die Kasse' in den Stand gesetzt werden, ihren Verpflichtungen
dauernd zu genügen, so muß bei Berechnung der Prämien so verfahren werden,
daß man mittelst der Wahrscheinlichkeitsrechnung, je nach dem Alter, Gesund-
heiiSzustand, Gefährlichkeit der Beschäftigung :c., bei jedem Einzelnen das,
waS er der Kasse im Durchschnitt kosten dürfte, herauszufinden sucht, und dar¬
nach die von ihm zu erlegende Steuer, wiederum unter Bemessung der wahr¬
scheinlichen mittleren Zeitdauer, in welcher Beisteuern überhaupt von ihm zu
erwarten sind, normirt. Wie schwierig eS ist, die nöthigen Anhaltpunkte für
eine solche Rechnung zu erhalten, weiß jeder Kundige, ja für einige der ein¬
schlagenden Momente fehlt es bisher an jeder statistischen Begründung. So
hat man wol über die mittlere Lebensdauer eines Menschen, je nach dem
Altersjahre, in welchem er sich grade befindet, so wie über die durchschnitt¬
lichen Krankheitstage in jedem Lebensjahre, genügende Beobachtungen, be¬
sonders bei den Engländern und Franzosen gesammelt, die neuerlich besonders
gewissenhaft und fruchtreich von dem durch seine Leistungen auf diesem Felde
bekannten Mathematiker Heym in Leipzig auf Deutschland angewendet


Zuvörderst müssen wir, wie schon angedeutet wurde, die bisher selbststän-
digen Kleingewerbtreibenden hier ganz bei Seite lassen und uns lediglich an
die Classe der Lohnarbeiter halten. Denn die Natur der Sache bringt es mit
sich, daß die erstern alles, was sie von ihrem ohnehin knappen Einkommen
nach Bestreitung ihres Lebensunterhaltes erübrigen, "wieder werbend in ihrem
Geschäft anlegen müssen, wenn dasselbe bestehen soll. Nur im Aufschwünge
dieses eignen Geschäfts müssen diese Leute ihr Heil, die Si'cherstellung für sich
und die Ihrigen suchen.

Aber auch in Bezug auf die eigentlichen Lohnarbeiter in den Fabriken
und sonst stößt die Durchführung des Systems aus erhebliche Schwierigkeiten
und Bedenken. Soll die Assecuranz nur einigermaßen ihrem Zweck ent¬
sprechen, den Arbeiter und dessen Familie in den bestimmten Fällen gegen
Mangel schützen, so müssen die Beisteuern zu den fraglichen Kassen schon
ziemlich hoch gegriffen werden. Denn natürlich können die letztern nichts
in der Form von Renten wieder herauszahlen, was sie nicht in der Form
von Beisteuern erst empfangen haben, und verursachen obenein Verwal-
tungskosten. Im Grunde vermitteln dieselben, wie alle auf Gegenseitig¬
keit gegründete Assecuranzen, doch nichts Anderes: als daß die Gesammt¬
heit der steuernden Mitglieder denjenigen Einzelnen unter ihnen, welche in den
Fall kommen, der Unterstützung zu bedürfen, die fraglichen Renten ans ihren
Mitteln zahlt. Insofern daher einige Versicherte durch solche Renten mehr
erhalten, als sie selbst eingesteuert haben, muß dies durch ein Minder bei
andern aufgewogen werden, indem dieselben entweder gar nicht oder nur in ge¬
ringem Maße in die Lage gerathen, .für welche die Kassen einstehen müssen.
Soll daher die Kasse' in den Stand gesetzt werden, ihren Verpflichtungen
dauernd zu genügen, so muß bei Berechnung der Prämien so verfahren werden,
daß man mittelst der Wahrscheinlichkeitsrechnung, je nach dem Alter, Gesund-
heiiSzustand, Gefährlichkeit der Beschäftigung :c., bei jedem Einzelnen das,
waS er der Kasse im Durchschnitt kosten dürfte, herauszufinden sucht, und dar¬
nach die von ihm zu erlegende Steuer, wiederum unter Bemessung der wahr¬
scheinlichen mittleren Zeitdauer, in welcher Beisteuern überhaupt von ihm zu
erwarten sind, normirt. Wie schwierig eS ist, die nöthigen Anhaltpunkte für
eine solche Rechnung zu erhalten, weiß jeder Kundige, ja für einige der ein¬
schlagenden Momente fehlt es bisher an jeder statistischen Begründung. So
hat man wol über die mittlere Lebensdauer eines Menschen, je nach dem
Altersjahre, in welchem er sich grade befindet, so wie über die durchschnitt¬
lichen Krankheitstage in jedem Lebensjahre, genügende Beobachtungen, be¬
sonders bei den Engländern und Franzosen gesammelt, die neuerlich besonders
gewissenhaft und fruchtreich von dem durch seine Leistungen auf diesem Felde
bekannten Mathematiker Heym in Leipzig auf Deutschland angewendet


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[0410] Zuvörderst müssen wir, wie schon angedeutet wurde, die bisher selbststän- digen Kleingewerbtreibenden hier ganz bei Seite lassen und uns lediglich an die Classe der Lohnarbeiter halten. Denn die Natur der Sache bringt es mit sich, daß die erstern alles, was sie von ihrem ohnehin knappen Einkommen nach Bestreitung ihres Lebensunterhaltes erübrigen, "wieder werbend in ihrem Geschäft anlegen müssen, wenn dasselbe bestehen soll. Nur im Aufschwünge dieses eignen Geschäfts müssen diese Leute ihr Heil, die Si'cherstellung für sich und die Ihrigen suchen. Aber auch in Bezug auf die eigentlichen Lohnarbeiter in den Fabriken und sonst stößt die Durchführung des Systems aus erhebliche Schwierigkeiten und Bedenken. Soll die Assecuranz nur einigermaßen ihrem Zweck ent¬ sprechen, den Arbeiter und dessen Familie in den bestimmten Fällen gegen Mangel schützen, so müssen die Beisteuern zu den fraglichen Kassen schon ziemlich hoch gegriffen werden. Denn natürlich können die letztern nichts in der Form von Renten wieder herauszahlen, was sie nicht in der Form von Beisteuern erst empfangen haben, und verursachen obenein Verwal- tungskosten. Im Grunde vermitteln dieselben, wie alle auf Gegenseitig¬ keit gegründete Assecuranzen, doch nichts Anderes: als daß die Gesammt¬ heit der steuernden Mitglieder denjenigen Einzelnen unter ihnen, welche in den Fall kommen, der Unterstützung zu bedürfen, die fraglichen Renten ans ihren Mitteln zahlt. Insofern daher einige Versicherte durch solche Renten mehr erhalten, als sie selbst eingesteuert haben, muß dies durch ein Minder bei andern aufgewogen werden, indem dieselben entweder gar nicht oder nur in ge¬ ringem Maße in die Lage gerathen, .für welche die Kassen einstehen müssen. Soll daher die Kasse' in den Stand gesetzt werden, ihren Verpflichtungen dauernd zu genügen, so muß bei Berechnung der Prämien so verfahren werden, daß man mittelst der Wahrscheinlichkeitsrechnung, je nach dem Alter, Gesund- heiiSzustand, Gefährlichkeit der Beschäftigung :c., bei jedem Einzelnen das, waS er der Kasse im Durchschnitt kosten dürfte, herauszufinden sucht, und dar¬ nach die von ihm zu erlegende Steuer, wiederum unter Bemessung der wahr¬ scheinlichen mittleren Zeitdauer, in welcher Beisteuern überhaupt von ihm zu erwarten sind, normirt. Wie schwierig eS ist, die nöthigen Anhaltpunkte für eine solche Rechnung zu erhalten, weiß jeder Kundige, ja für einige der ein¬ schlagenden Momente fehlt es bisher an jeder statistischen Begründung. So hat man wol über die mittlere Lebensdauer eines Menschen, je nach dem Altersjahre, in welchem er sich grade befindet, so wie über die durchschnitt¬ lichen Krankheitstage in jedem Lebensjahre, genügende Beobachtungen, be¬ sonders bei den Engländern und Franzosen gesammelt, die neuerlich besonders gewissenhaft und fruchtreich von dem durch seine Leistungen auf diesem Felde bekannten Mathematiker Heym in Leipzig auf Deutschland angewendet

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/410>, abgerufen am 02.10.2024.