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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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bei den Feldarbeiten. Sie müssen Carriere machen -- wozu hätten sie sonst
die langweiligen Studien unternommen? Diese Classe hat sich in den letzten
Jahrzehnten durch die Kinder und Kindeskinder dieser Schriftgelehrten so ver¬
mehrt, daß sie deutlich zu erkennen ist in der Masse der Bevölkerung. Ein Theil
derselben geht in den untern Beamtenstand über und wir finden sie bei der
Besprechung dieses letzteren wieder. Die Uebrigen sind Feldaufseher, Schreiber
bei landwirtschaftlichen Administrationen und Branntweinbrennereien, in. Sie
zeichnen sich weder durch Ehrlichkeit, noch durch humanes Benehmen gegen ihre
Untergebenen aus. Daß es Ausnahmen von dieser Regel gibt, brauchen wir
wol kaum zu erwähnen; im Allgemeinen aber sind sie roh und mehr auf
ihren eignen als auf den Vortheil ihres Herrn bedacht, was stufenweise zu¬
nimmt, je mehr sie sich in ihrer Art und Weise dem europäischen Schnitt nähern;
die häuslichen Bedürfnisse halten gleichen Schritt mit der modischen Kleidung
und die Ausgaben gehen dann natürlich crescendo. Je inniger man den mol¬
dauischen Bauer bei näherer Bekanntschaft lieb gewinnen muß, desto weniger
sind diese Leute dazu geschaffen Sympathien einzuflößen, und wir begnügen
uns mit dieser kurzen Schilderung, um unsere Analyse fortzusetzen.

Wenn wir soeben gesagt haben, daß aus dem Gebiete der VolkSaufklä'rung
nachlässige Versuche mehr schaden als nützen, und als Beweisführung auf
eine Classe der Bevölkerung weisen, wo der Hauptzug des Nationalcharakters
-- harmlose Gutmüthigkeit -- durch die erste leise Einwirkung der Bildung
verdunkelt erscheint, so tritt uns bei weiterer Forschung die tröstliche Ueber¬
zeugung entgegen, daß der Moldauer wieder wird, wozu er geschaffen, wenn
eine Familie erst einige Generationen hindurch die Resultate des Strebens nach
Civilisation gehörig verdaut hat.

Was nicht zur ersten Aristokratie deS Landes gehört, ist der eben als so
unerbaulich geschilderten Classe entsprossen, und bildet den in der Moldau mit
scharfen Strichen nicht zu begrenzenden Mittelstand.

Wir rechnen hierzu vor allen Dingen die Gutspächter. In einem Lande,
wo der Ackerbau die Hauptrolle spielt, muß diese Classe eine sehr zahlreiche
sein, und sie ist es in der That so sehr, daß in den letzten 1l> Jahren der
Pachtwerth der Güter um das Dreifache gestiegen ist. Hat sich ein fleißigen
Mann ein kleines Capital zusammengeschlagen, so steht er sich nach einer Pach¬
tung um, arbeitet mit eiserner Ausdauer, trägt Entbehrungen aller Art, wobei
jhm seine' Frau treulich hilft, und arbeitet sich häufig zu Wohlhabenheit und
sogar Reichthum empor. Das Erste, was er dann thut, ist freilich, einem Bo¬
jarentitel nachzustreben; aber die kleine Schwachheit ist verzeihlich, da nach den
eingewurzelten Ideen des Landes erst ein solcher Titel den Menschen zum "gan¬
zen Mann" macht. Verdient dabei jemand einen Vorwurf, so ist es die Re¬
gierung, die, dem organischen Statut zum Trotz, Leute betitelt hat, die sich durch


bei den Feldarbeiten. Sie müssen Carriere machen — wozu hätten sie sonst
die langweiligen Studien unternommen? Diese Classe hat sich in den letzten
Jahrzehnten durch die Kinder und Kindeskinder dieser Schriftgelehrten so ver¬
mehrt, daß sie deutlich zu erkennen ist in der Masse der Bevölkerung. Ein Theil
derselben geht in den untern Beamtenstand über und wir finden sie bei der
Besprechung dieses letzteren wieder. Die Uebrigen sind Feldaufseher, Schreiber
bei landwirtschaftlichen Administrationen und Branntweinbrennereien, in. Sie
zeichnen sich weder durch Ehrlichkeit, noch durch humanes Benehmen gegen ihre
Untergebenen aus. Daß es Ausnahmen von dieser Regel gibt, brauchen wir
wol kaum zu erwähnen; im Allgemeinen aber sind sie roh und mehr auf
ihren eignen als auf den Vortheil ihres Herrn bedacht, was stufenweise zu¬
nimmt, je mehr sie sich in ihrer Art und Weise dem europäischen Schnitt nähern;
die häuslichen Bedürfnisse halten gleichen Schritt mit der modischen Kleidung
und die Ausgaben gehen dann natürlich crescendo. Je inniger man den mol¬
dauischen Bauer bei näherer Bekanntschaft lieb gewinnen muß, desto weniger
sind diese Leute dazu geschaffen Sympathien einzuflößen, und wir begnügen
uns mit dieser kurzen Schilderung, um unsere Analyse fortzusetzen.

Wenn wir soeben gesagt haben, daß aus dem Gebiete der VolkSaufklä'rung
nachlässige Versuche mehr schaden als nützen, und als Beweisführung auf
eine Classe der Bevölkerung weisen, wo der Hauptzug des Nationalcharakters
— harmlose Gutmüthigkeit — durch die erste leise Einwirkung der Bildung
verdunkelt erscheint, so tritt uns bei weiterer Forschung die tröstliche Ueber¬
zeugung entgegen, daß der Moldauer wieder wird, wozu er geschaffen, wenn
eine Familie erst einige Generationen hindurch die Resultate des Strebens nach
Civilisation gehörig verdaut hat.

Was nicht zur ersten Aristokratie deS Landes gehört, ist der eben als so
unerbaulich geschilderten Classe entsprossen, und bildet den in der Moldau mit
scharfen Strichen nicht zu begrenzenden Mittelstand.

Wir rechnen hierzu vor allen Dingen die Gutspächter. In einem Lande,
wo der Ackerbau die Hauptrolle spielt, muß diese Classe eine sehr zahlreiche
sein, und sie ist es in der That so sehr, daß in den letzten 1l> Jahren der
Pachtwerth der Güter um das Dreifache gestiegen ist. Hat sich ein fleißigen
Mann ein kleines Capital zusammengeschlagen, so steht er sich nach einer Pach¬
tung um, arbeitet mit eiserner Ausdauer, trägt Entbehrungen aller Art, wobei
jhm seine' Frau treulich hilft, und arbeitet sich häufig zu Wohlhabenheit und
sogar Reichthum empor. Das Erste, was er dann thut, ist freilich, einem Bo¬
jarentitel nachzustreben; aber die kleine Schwachheit ist verzeihlich, da nach den
eingewurzelten Ideen des Landes erst ein solcher Titel den Menschen zum „gan¬
zen Mann" macht. Verdient dabei jemand einen Vorwurf, so ist es die Re¬
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/40>, abgerufen am 28.09.2024.