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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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Da sie von keiner Herrschaft zum Arbeiten gezwungen werden, so pflegen sie
ihre kleinen Felder nachlässiger als der Bauer. Schon im Winter durchziehen
Agenten der Getreidehändler das Land, um Fuhren zu miethen für die nächste
Ernte; bei den Reseschen, die von keinem Herrn gewarnt und durch Erfahrung
nicht klug werden, finden sie regelmäßig Gehör, machen Contracte mit ihnen,
und ist dann die Zeit des Transportes da, so wird im besten Falle die Zeit
des Hcrbstackers versäumt; oft aber kommen andere unvorhergesehene Umstände
dazu, die den Verdungenen ganz daran verhindern, den Transport zu besorgen,
und dann sind Pfändung und Ruin die Folge. Auf diese Weise gehen die
Freibauern mehr und mehr zu Grunde, bis sich ein Bojar in den Grenzen
ihrer Besitzungen ankauft, dieser benutzt dann jede Gelegenheit, sein Grundstück
zu erweitern, und die Leute bieten nur zu gern die Hand dazu. Bei jeder
Hochzeit, bei jeder Kindtaufe, bei jeder Geldverlegenheit mit einem Wort, fällt
dem Bojaren ein Stück Acker, Wiese oder Wald zu, bis einer nach dem an¬
dern den letzten Zoll des Besitzes seiner Vorfahren verkauft hat und in die
weite Welt zieht. Mehre der schönsten Rittergüter haben sich durch solchen
allmäligen Ankauf gebildet, und zwar um einen Spottpreis; noch vor zwei
Jahren haben wir ein Beispiel vor Augen gehabt, wo der preußische Morgen
des fruchtbarsten Bodens mit 7 Thlr. 15 Sgr. bezahlt wurde.

Der Resesch unterscheidet sich von dem Bauer nur durch seine Kleidung
-- er trägt gern wenigstens irgend ein kaum zu bezeichnendes zerlumptes Frag¬
ment, das an ein Bojarenkostüm erinnert, sonst ist er in seiner Lebensweise,
seinen Begriffen , seiner Bildungsstufe ganz Bauer, und wir hätten ihn in den
ersten Abschnitt unserer Darstellung einschalten können, wenn uns nicht daran
gelegen gewesen wäre, den deutschen Stimmen, die sich bei der gegenwärtigen
Reorganisation der Fürstenthümer betheiligen, den schweren Ernst der Frage
ans Herz zu legen: wenn die Lage des Bauernstandes eine andere werden
soll, wie wollt Ihr die Verhältnisse desselben gestaltet wissen? Und wenn aus
dem gegenwärtig gezwungen arbeitenden Bauer ein Freibauer wie der hier be¬
schriebene Resesch werden soll, wie ist dann seine Zukunft, dem abschreckenden
Beispiel gegenüber, zu sichern? -- Wir halten diesen Punkt unbedingt für den
wichtigsten in der Frage der innern Reorganisation der herrlichen Donauländer.

Wir kommen jetzt zu einer Classe, die der Moldau wenig Ehre macht
und den Beweis zur Bestätigung des Satzes liefert, daß in Sachen der Volks¬
aufklärung nachlässig gemachte Versuche mehr schaden als nützen.

Einzelne Bauern, Reseschen und Dorfgeistliche -- auf letztere kommen
wir später ausführlicher zu sprechen -- lassen ihre Söhne schreiben und lesen
lernen. Die Jungen gehn anfänglich schwer dran, sind sie aber so weit, einige
Buchstaben malen zu können, so fühlen sie sich unendlich erhaben über ihres
Gleichen und halten es für unverträglich mit ihrer Würde, Hand anzulegen


Da sie von keiner Herrschaft zum Arbeiten gezwungen werden, so pflegen sie
ihre kleinen Felder nachlässiger als der Bauer. Schon im Winter durchziehen
Agenten der Getreidehändler das Land, um Fuhren zu miethen für die nächste
Ernte; bei den Reseschen, die von keinem Herrn gewarnt und durch Erfahrung
nicht klug werden, finden sie regelmäßig Gehör, machen Contracte mit ihnen,
und ist dann die Zeit des Transportes da, so wird im besten Falle die Zeit
des Hcrbstackers versäumt; oft aber kommen andere unvorhergesehene Umstände
dazu, die den Verdungenen ganz daran verhindern, den Transport zu besorgen,
und dann sind Pfändung und Ruin die Folge. Auf diese Weise gehen die
Freibauern mehr und mehr zu Grunde, bis sich ein Bojar in den Grenzen
ihrer Besitzungen ankauft, dieser benutzt dann jede Gelegenheit, sein Grundstück
zu erweitern, und die Leute bieten nur zu gern die Hand dazu. Bei jeder
Hochzeit, bei jeder Kindtaufe, bei jeder Geldverlegenheit mit einem Wort, fällt
dem Bojaren ein Stück Acker, Wiese oder Wald zu, bis einer nach dem an¬
dern den letzten Zoll des Besitzes seiner Vorfahren verkauft hat und in die
weite Welt zieht. Mehre der schönsten Rittergüter haben sich durch solchen
allmäligen Ankauf gebildet, und zwar um einen Spottpreis; noch vor zwei
Jahren haben wir ein Beispiel vor Augen gehabt, wo der preußische Morgen
des fruchtbarsten Bodens mit 7 Thlr. 15 Sgr. bezahlt wurde.

Der Resesch unterscheidet sich von dem Bauer nur durch seine Kleidung
— er trägt gern wenigstens irgend ein kaum zu bezeichnendes zerlumptes Frag¬
ment, das an ein Bojarenkostüm erinnert, sonst ist er in seiner Lebensweise,
seinen Begriffen , seiner Bildungsstufe ganz Bauer, und wir hätten ihn in den
ersten Abschnitt unserer Darstellung einschalten können, wenn uns nicht daran
gelegen gewesen wäre, den deutschen Stimmen, die sich bei der gegenwärtigen
Reorganisation der Fürstenthümer betheiligen, den schweren Ernst der Frage
ans Herz zu legen: wenn die Lage des Bauernstandes eine andere werden
soll, wie wollt Ihr die Verhältnisse desselben gestaltet wissen? Und wenn aus
dem gegenwärtig gezwungen arbeitenden Bauer ein Freibauer wie der hier be¬
schriebene Resesch werden soll, wie ist dann seine Zukunft, dem abschreckenden
Beispiel gegenüber, zu sichern? — Wir halten diesen Punkt unbedingt für den
wichtigsten in der Frage der innern Reorganisation der herrlichen Donauländer.

Wir kommen jetzt zu einer Classe, die der Moldau wenig Ehre macht
und den Beweis zur Bestätigung des Satzes liefert, daß in Sachen der Volks¬
aufklärung nachlässig gemachte Versuche mehr schaden als nützen.

Einzelne Bauern, Reseschen und Dorfgeistliche — auf letztere kommen
wir später ausführlicher zu sprechen — lassen ihre Söhne schreiben und lesen
lernen. Die Jungen gehn anfänglich schwer dran, sind sie aber so weit, einige
Buchstaben malen zu können, so fühlen sie sich unendlich erhaben über ihres
Gleichen und halten es für unverträglich mit ihrer Würde, Hand anzulegen


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[0039] Da sie von keiner Herrschaft zum Arbeiten gezwungen werden, so pflegen sie ihre kleinen Felder nachlässiger als der Bauer. Schon im Winter durchziehen Agenten der Getreidehändler das Land, um Fuhren zu miethen für die nächste Ernte; bei den Reseschen, die von keinem Herrn gewarnt und durch Erfahrung nicht klug werden, finden sie regelmäßig Gehör, machen Contracte mit ihnen, und ist dann die Zeit des Transportes da, so wird im besten Falle die Zeit des Hcrbstackers versäumt; oft aber kommen andere unvorhergesehene Umstände dazu, die den Verdungenen ganz daran verhindern, den Transport zu besorgen, und dann sind Pfändung und Ruin die Folge. Auf diese Weise gehen die Freibauern mehr und mehr zu Grunde, bis sich ein Bojar in den Grenzen ihrer Besitzungen ankauft, dieser benutzt dann jede Gelegenheit, sein Grundstück zu erweitern, und die Leute bieten nur zu gern die Hand dazu. Bei jeder Hochzeit, bei jeder Kindtaufe, bei jeder Geldverlegenheit mit einem Wort, fällt dem Bojaren ein Stück Acker, Wiese oder Wald zu, bis einer nach dem an¬ dern den letzten Zoll des Besitzes seiner Vorfahren verkauft hat und in die weite Welt zieht. Mehre der schönsten Rittergüter haben sich durch solchen allmäligen Ankauf gebildet, und zwar um einen Spottpreis; noch vor zwei Jahren haben wir ein Beispiel vor Augen gehabt, wo der preußische Morgen des fruchtbarsten Bodens mit 7 Thlr. 15 Sgr. bezahlt wurde. Der Resesch unterscheidet sich von dem Bauer nur durch seine Kleidung — er trägt gern wenigstens irgend ein kaum zu bezeichnendes zerlumptes Frag¬ ment, das an ein Bojarenkostüm erinnert, sonst ist er in seiner Lebensweise, seinen Begriffen , seiner Bildungsstufe ganz Bauer, und wir hätten ihn in den ersten Abschnitt unserer Darstellung einschalten können, wenn uns nicht daran gelegen gewesen wäre, den deutschen Stimmen, die sich bei der gegenwärtigen Reorganisation der Fürstenthümer betheiligen, den schweren Ernst der Frage ans Herz zu legen: wenn die Lage des Bauernstandes eine andere werden soll, wie wollt Ihr die Verhältnisse desselben gestaltet wissen? Und wenn aus dem gegenwärtig gezwungen arbeitenden Bauer ein Freibauer wie der hier be¬ schriebene Resesch werden soll, wie ist dann seine Zukunft, dem abschreckenden Beispiel gegenüber, zu sichern? — Wir halten diesen Punkt unbedingt für den wichtigsten in der Frage der innern Reorganisation der herrlichen Donauländer. Wir kommen jetzt zu einer Classe, die der Moldau wenig Ehre macht und den Beweis zur Bestätigung des Satzes liefert, daß in Sachen der Volks¬ aufklärung nachlässig gemachte Versuche mehr schaden als nützen. Einzelne Bauern, Reseschen und Dorfgeistliche — auf letztere kommen wir später ausführlicher zu sprechen — lassen ihre Söhne schreiben und lesen lernen. Die Jungen gehn anfänglich schwer dran, sind sie aber so weit, einige Buchstaben malen zu können, so fühlen sie sich unendlich erhaben über ihres Gleichen und halten es für unverträglich mit ihrer Würde, Hand anzulegen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/39>, abgerufen am 28.09.2024.