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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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indischen Freibriefs (18S3) Minister gewesen, nicht zu, über die Jahre lang fort¬
gehende Blindheit aller Verwaltungen in Bezug auf Ostindien sich beschwerend
zu äußern.

Aber wie immer auch Englands Parlament oder Presse die Sache auf¬
faßten, der Verwaltung Ostindiens in ihren verschiedenen Körpern lag eS
mindestens ob, auf jene Warnungen zu hören. Wir können indeß in dieser
Beziehung eine Wahrnehmung nicht unterdrücken. Gegenüber den vielen schwarzen
Schilderungen, wie sie vor allem Sir C. Napier hören ließ, stehen bis auf
die neueste Zeit ebenso beachtenswerthe Auffassungen anderer Art und zu seiner
Zeit nicht minder entschiedene jenes Feldherrn selbst. Bekannt ist das
Schicksal jenes napierschen Documents, dessen Druck von Disraeli und
anderen so eifrig gefordert ward, weil sie darin eine Uebereinstimmung mit
den im später gedruckten Buche ausgesprochenen Ansichten erwarteten, in dem
sie aber nachher dessen Gegentheil fanden. Ebenso hat Sir C. Napier niemals
dem damaligen Generalgouvemeur Lord Hardinge, der von einer zu massen-
haften Ansammlung von Sipoys Konspirationen fürchtete, aus seiner acht¬
jährigen Kenntniß indischer Verhältnisse entschieden- widersprochen. Sir C. Napier
hat von jeher mit der indischen Verwaltung in Streit gelebt, erst als Be-
sieger von Seirbe wegen seiner großen* Kriegslust, wofür er später auch Jahre
lang aufs heftigste im Parlamente angegriffen wurde, sodann aber (18i9
bis -1851) als Oberbefehlshaber des ostindischen Heeres, wo er indeß factisch
viel weniger zur Reform der Armee that, als er Anstalt dazu nahm. Das,
waS man später und er selbst in dem bekannten Buche als die schreiendsten
Mißbräuche aufstellte, hat er in jener Stellung eigentlich gar nicht berührt.
Es ist, nach dem, was wir vorher bemerkt haben, wahrscheinlich genug, daß
die indische Verwaltung den unabhängigen Mann ungern sah, daß aber auch
er durch Inconsequenz und Schroffheit sein Ziel verfehlte, und man um so
eher über sein Urtheil hinwegsehen zu können glaubte, als man in ihm eben
ein Mitglied jener querköpfigen Familie der Napiers sah, er auch in seinen
Ansichten fast allein stand. Es war daS unstreitig ein Fehler, der sich eben
nur aus der guten Schulung der oski'ndischen Bureaukratie erklären läßt. Aber
was soll man dazu sagen, daß fast im ganze-n indischen Offiziercorps (aus
Europäern bestehend) daS Vertrauen zu den Sipoys so felsenfest war, daß in
ungünstigen Fällen schon nach dem Beginn deö Aufstandes und dessen ärgsten
Ausschreitungen die Offiziere selbst da die Sipoys nicht entwaffnen wollten,
wo sie eS noch ungefährdet thun konnten, weil jeder Offizier mindestens
seinem Corps trauen zu können glaubte, zuweilen wenige Stunden, be->
vor die Sipoys, die sich inzwischen in bessere Verfassung gesetzt hatten, die¬
selben Offiziere plötzlich niederschössen. So wenig Gefahr sah der größere
Theil derselben während, geschweige denn vor der Katastrophe.


indischen Freibriefs (18S3) Minister gewesen, nicht zu, über die Jahre lang fort¬
gehende Blindheit aller Verwaltungen in Bezug auf Ostindien sich beschwerend
zu äußern.

Aber wie immer auch Englands Parlament oder Presse die Sache auf¬
faßten, der Verwaltung Ostindiens in ihren verschiedenen Körpern lag eS
mindestens ob, auf jene Warnungen zu hören. Wir können indeß in dieser
Beziehung eine Wahrnehmung nicht unterdrücken. Gegenüber den vielen schwarzen
Schilderungen, wie sie vor allem Sir C. Napier hören ließ, stehen bis auf
die neueste Zeit ebenso beachtenswerthe Auffassungen anderer Art und zu seiner
Zeit nicht minder entschiedene jenes Feldherrn selbst. Bekannt ist das
Schicksal jenes napierschen Documents, dessen Druck von Disraeli und
anderen so eifrig gefordert ward, weil sie darin eine Uebereinstimmung mit
den im später gedruckten Buche ausgesprochenen Ansichten erwarteten, in dem
sie aber nachher dessen Gegentheil fanden. Ebenso hat Sir C. Napier niemals
dem damaligen Generalgouvemeur Lord Hardinge, der von einer zu massen-
haften Ansammlung von Sipoys Konspirationen fürchtete, aus seiner acht¬
jährigen Kenntniß indischer Verhältnisse entschieden- widersprochen. Sir C. Napier
hat von jeher mit der indischen Verwaltung in Streit gelebt, erst als Be-
sieger von Seirbe wegen seiner großen* Kriegslust, wofür er später auch Jahre
lang aufs heftigste im Parlamente angegriffen wurde, sodann aber (18i9
bis -1851) als Oberbefehlshaber des ostindischen Heeres, wo er indeß factisch
viel weniger zur Reform der Armee that, als er Anstalt dazu nahm. Das,
waS man später und er selbst in dem bekannten Buche als die schreiendsten
Mißbräuche aufstellte, hat er in jener Stellung eigentlich gar nicht berührt.
Es ist, nach dem, was wir vorher bemerkt haben, wahrscheinlich genug, daß
die indische Verwaltung den unabhängigen Mann ungern sah, daß aber auch
er durch Inconsequenz und Schroffheit sein Ziel verfehlte, und man um so
eher über sein Urtheil hinwegsehen zu können glaubte, als man in ihm eben
ein Mitglied jener querköpfigen Familie der Napiers sah, er auch in seinen
Ansichten fast allein stand. Es war daS unstreitig ein Fehler, der sich eben
nur aus der guten Schulung der oski'ndischen Bureaukratie erklären läßt. Aber
was soll man dazu sagen, daß fast im ganze-n indischen Offiziercorps (aus
Europäern bestehend) daS Vertrauen zu den Sipoys so felsenfest war, daß in
ungünstigen Fällen schon nach dem Beginn deö Aufstandes und dessen ärgsten
Ausschreitungen die Offiziere selbst da die Sipoys nicht entwaffnen wollten,
wo sie eS noch ungefährdet thun konnten, weil jeder Offizier mindestens
seinem Corps trauen zu können glaubte, zuweilen wenige Stunden, be->
vor die Sipoys, die sich inzwischen in bessere Verfassung gesetzt hatten, die¬
selben Offiziere plötzlich niederschössen. So wenig Gefahr sah der größere
Theil derselben während, geschweige denn vor der Katastrophe.


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[0391] indischen Freibriefs (18S3) Minister gewesen, nicht zu, über die Jahre lang fort¬ gehende Blindheit aller Verwaltungen in Bezug auf Ostindien sich beschwerend zu äußern. Aber wie immer auch Englands Parlament oder Presse die Sache auf¬ faßten, der Verwaltung Ostindiens in ihren verschiedenen Körpern lag eS mindestens ob, auf jene Warnungen zu hören. Wir können indeß in dieser Beziehung eine Wahrnehmung nicht unterdrücken. Gegenüber den vielen schwarzen Schilderungen, wie sie vor allem Sir C. Napier hören ließ, stehen bis auf die neueste Zeit ebenso beachtenswerthe Auffassungen anderer Art und zu seiner Zeit nicht minder entschiedene jenes Feldherrn selbst. Bekannt ist das Schicksal jenes napierschen Documents, dessen Druck von Disraeli und anderen so eifrig gefordert ward, weil sie darin eine Uebereinstimmung mit den im später gedruckten Buche ausgesprochenen Ansichten erwarteten, in dem sie aber nachher dessen Gegentheil fanden. Ebenso hat Sir C. Napier niemals dem damaligen Generalgouvemeur Lord Hardinge, der von einer zu massen- haften Ansammlung von Sipoys Konspirationen fürchtete, aus seiner acht¬ jährigen Kenntniß indischer Verhältnisse entschieden- widersprochen. Sir C. Napier hat von jeher mit der indischen Verwaltung in Streit gelebt, erst als Be- sieger von Seirbe wegen seiner großen* Kriegslust, wofür er später auch Jahre lang aufs heftigste im Parlamente angegriffen wurde, sodann aber (18i9 bis -1851) als Oberbefehlshaber des ostindischen Heeres, wo er indeß factisch viel weniger zur Reform der Armee that, als er Anstalt dazu nahm. Das, waS man später und er selbst in dem bekannten Buche als die schreiendsten Mißbräuche aufstellte, hat er in jener Stellung eigentlich gar nicht berührt. Es ist, nach dem, was wir vorher bemerkt haben, wahrscheinlich genug, daß die indische Verwaltung den unabhängigen Mann ungern sah, daß aber auch er durch Inconsequenz und Schroffheit sein Ziel verfehlte, und man um so eher über sein Urtheil hinwegsehen zu können glaubte, als man in ihm eben ein Mitglied jener querköpfigen Familie der Napiers sah, er auch in seinen Ansichten fast allein stand. Es war daS unstreitig ein Fehler, der sich eben nur aus der guten Schulung der oski'ndischen Bureaukratie erklären läßt. Aber was soll man dazu sagen, daß fast im ganze-n indischen Offiziercorps (aus Europäern bestehend) daS Vertrauen zu den Sipoys so felsenfest war, daß in ungünstigen Fällen schon nach dem Beginn deö Aufstandes und dessen ärgsten Ausschreitungen die Offiziere selbst da die Sipoys nicht entwaffnen wollten, wo sie eS noch ungefährdet thun konnten, weil jeder Offizier mindestens seinem Corps trauen zu können glaubte, zuweilen wenige Stunden, be-> vor die Sipoys, die sich inzwischen in bessere Verfassung gesetzt hatten, die¬ selben Offiziere plötzlich niederschössen. So wenig Gefahr sah der größere Theil derselben während, geschweige denn vor der Katastrophe.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/391>, abgerufen am 12.12.2024.