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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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äußerung an die Behörden zu gehen hat, und das in einem Lande, das die
Beherrscher nur in seinen allgemeinen Zügen kennen, wo also daS Auge der
Regierung durch die Einsicht der Einzelnen so sehr geschärft werden muß.

Diese büreaukratische Tendenz hat denn in Indien zu einer weitern Folge
geführt, zu der eines unvernünftigen Strebens nach Centralisation. Wegen
der bessern Aufsicht von England aus hat man es für zweckmäßig erachtet,
in den Händen des Generalgouverneurs möglichst viel Amtsthätigkeit zu ver¬
einen und im gleichen Maße die Hände aller übrigen Beamten, die der beiden
andern Präsidenten eingeschlossen, zu binden. Diese Centralisation, die hier
Und da sich das französische Vorbild zum Muster genommen zu haben scheint,
war in dem wunderlichen Chaos der ostindischen Verhältnisse sicher am wenig¬
sten angebracht, und hat die Thatkraft der Negierung von Kalkutta gewiß
nicht verstärkt, und vielleicht läßt sich manches Versäumnis? aus dieser An¬
schwellung von unbedeutenden Sachen erklären. Aber ein unverzeihlicher Fehler
war.es, daß diese Centralisativnssucht sich selbst bis zum Heere verstieg, in¬
dem man die Strafbefugnisse der höhern Militäre, sämmtlich Europäer, wesent¬
lich einschränkte, und dadurch deren Stellung zu dem eingebornen Heere ganz
unnöthig verschob. Der Orientale versteht nur eine selbstthätig wirkende
Macht.

Es ist begreiflich genug, daß alle kräftigern Geister solche Zustände gründ¬
lich verabscheuten und mit unverkennbarer Behaglichkeit sich darüber hinweg¬
setzten, wo sie es nur vermochten; ebenso begreiflich aber, daß die constituirten
Behörden solche Mißlrauensnoten mit Empfindlichkeit wahrnahmen, und ans
der Form ihrer Kundgebung gern Veranlassung nahmen, den Inhalt bei Seile
zu schieben oder gering zu achten.

Wir gelangen hier an das in jüngster Zeit von der englischen Presse mit
so großer Vorliebe behandelte Capitel der Warnungen über den bevorstehen¬
den Ausbruch, welche den ostindischen Behörden hätten zukommen müssen und
zugekommen wären. Wir müssen indeß offen gestehen, die englische Presse ist
zu diesem Ton nicht berechtigt; alle Andeutungen über den bevorstehenden
Ausbruch, namentlich die Sir C. Napiers waren schon seit Jahren allgemein
bekannt, und wir erinnern uns nicht, sie in den letzten Jahren von einem
Blatte d er indischen Verwaltung gegenüber vertreten gesehen zu haben. Die
Times feierte noch jüngsthin den Tag der Schlacht bei Plassy mit einer
scherzenden Anspielung auf die Worte deS Fürsten von Schwarzenberg: man
könne sich nicht aus Bajonette stützen. DaS, sagte die Times, wäre grade das
Kunststück, welches die Engländer mit so vielem Erfolge in Ostindien machten.
Dasselbe gilt vom Parlament; auch dort ist man erst nachdem das Unheil
geschehen, auf den klugen Gedanken gekommen, es wäre eigentlich abzuwenden
gewesen. Namentlich stand es Disraeli, der bei der letzten Revision deS oft-


äußerung an die Behörden zu gehen hat, und das in einem Lande, das die
Beherrscher nur in seinen allgemeinen Zügen kennen, wo also daS Auge der
Regierung durch die Einsicht der Einzelnen so sehr geschärft werden muß.

Diese büreaukratische Tendenz hat denn in Indien zu einer weitern Folge
geführt, zu der eines unvernünftigen Strebens nach Centralisation. Wegen
der bessern Aufsicht von England aus hat man es für zweckmäßig erachtet,
in den Händen des Generalgouverneurs möglichst viel Amtsthätigkeit zu ver¬
einen und im gleichen Maße die Hände aller übrigen Beamten, die der beiden
andern Präsidenten eingeschlossen, zu binden. Diese Centralisation, die hier
Und da sich das französische Vorbild zum Muster genommen zu haben scheint,
war in dem wunderlichen Chaos der ostindischen Verhältnisse sicher am wenig¬
sten angebracht, und hat die Thatkraft der Negierung von Kalkutta gewiß
nicht verstärkt, und vielleicht läßt sich manches Versäumnis? aus dieser An¬
schwellung von unbedeutenden Sachen erklären. Aber ein unverzeihlicher Fehler
war.es, daß diese Centralisativnssucht sich selbst bis zum Heere verstieg, in¬
dem man die Strafbefugnisse der höhern Militäre, sämmtlich Europäer, wesent¬
lich einschränkte, und dadurch deren Stellung zu dem eingebornen Heere ganz
unnöthig verschob. Der Orientale versteht nur eine selbstthätig wirkende
Macht.

Es ist begreiflich genug, daß alle kräftigern Geister solche Zustände gründ¬
lich verabscheuten und mit unverkennbarer Behaglichkeit sich darüber hinweg¬
setzten, wo sie es nur vermochten; ebenso begreiflich aber, daß die constituirten
Behörden solche Mißlrauensnoten mit Empfindlichkeit wahrnahmen, und ans
der Form ihrer Kundgebung gern Veranlassung nahmen, den Inhalt bei Seile
zu schieben oder gering zu achten.

Wir gelangen hier an das in jüngster Zeit von der englischen Presse mit
so großer Vorliebe behandelte Capitel der Warnungen über den bevorstehen¬
den Ausbruch, welche den ostindischen Behörden hätten zukommen müssen und
zugekommen wären. Wir müssen indeß offen gestehen, die englische Presse ist
zu diesem Ton nicht berechtigt; alle Andeutungen über den bevorstehenden
Ausbruch, namentlich die Sir C. Napiers waren schon seit Jahren allgemein
bekannt, und wir erinnern uns nicht, sie in den letzten Jahren von einem
Blatte d er indischen Verwaltung gegenüber vertreten gesehen zu haben. Die
Times feierte noch jüngsthin den Tag der Schlacht bei Plassy mit einer
scherzenden Anspielung auf die Worte deS Fürsten von Schwarzenberg: man
könne sich nicht aus Bajonette stützen. DaS, sagte die Times, wäre grade das
Kunststück, welches die Engländer mit so vielem Erfolge in Ostindien machten.
Dasselbe gilt vom Parlament; auch dort ist man erst nachdem das Unheil
geschehen, auf den klugen Gedanken gekommen, es wäre eigentlich abzuwenden
gewesen. Namentlich stand es Disraeli, der bei der letzten Revision deS oft-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/390>, abgerufen am 25.08.2024.