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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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über tüchtig auf dem Felde gearbeitet, schnitzen sie im Winter mancherlei ein¬
faches Hausgeräth aus Holz, besonders Löffel, waS ihnen auch, dem Worte
Lingura entlehnt, den Namen "Linguraren" erworben.

Wir kommen endlich zu der dritten Classe, den Vatraschi, die sich wahr¬
scheinlich im Lause der Zeit aus einzelnen, den beiden anderen Classen ent¬
lehnten Individuen gebildet. Diese wohnen in Häusern und liefern die Diener¬
schaft in den meisten moldauischen Familien. Anstellig wie sie sind, macht
mancher eine glänzende Carriere, reist als Koch oder Kammerdiener mit seinem
Herrn nach Paris, und kommt französisch parurent wieder heim. Ein solcher
flößt seinen früheren Kameraden den größten Respect ein, sie sind stolz aus
ihn, und fragt jemand: wer ist denn der Stutzer da? so antworten sie geheim¬
nißvoll: DaS ist der Jean ober Pierre, der früher Zigeuner war!

Obgleich man eS der ersten kaum anmerkt, gehören doch alle drei Classen
zur griechischen Kirche. Linguraren und Vatraschi sind sämmtlich Glieder be¬
stimmter Gemeinden, und beobachten gewissenhaft die Gebräuche ihrer Reli¬
gion; bei der Classe der rohen Lajeschi ist das anders; Rückerinnerungen aus
heidnischen Zeiten spielen noch eine große Rolle in dem, was man bei ihnen
etwa Religion nennen könnte, und der Schwur an einem fließenden Wasser
ist mehr werth als der in der Kirche geleistete. -- Alle drei Kategorien sprechen
rumänisch, die letzte aber unter sich lieber eine eigenthümliche, aus fortwähren¬
den Gurgeltönen zusammengesetzte Sprache.

Nach diesem Zigeunerintermezzo knüpfen wir an den früher besprochenen
Bauernstand die Classe der Neseschen oder Freibauern.

Während der Jahrhunderte, wo die Donauprovinzen von einheimischen
selbstgewählten Fürsten als unabhängige Staaten regiert wurden, hörten die
Kriege mit den benachbarten Völkern selten auf. Ein solcher Zustand der
Dinge hatte eine Art stehenden Heeres nothwendig gemacht, die Hauptstütze
des von Feinden bedrängten Thrones aber war das Ausgebot sämmtlicher
waffenfähiger Männer, die nach beendigtem Feldzuge zu ihren häuslichen Be¬
schäftigungen zurückkehrten. Diejenigen, die sich besonders durch Tapferkeit
hervorgethan hatten, erhielten von den Fürsten bedeutende Landstrecken
als Geschenk, siedelten sich auf denselben an, und bildeten aus diese Weise
ganze Dörfer von Gutsbesitzern, deren Nachkommen den Antheil ihrer
Eltern untereinander theilten. Diese von Generation zu Generation zu¬
nehmende Zerstückelung des Bodens mußte natürlich, nach Maßgabe der
Vermehrung der Bevölkerung in den Reseschendörfern, eine Abnahme ihres
Wohlstandes herbeiführen. Die seit Beginn der Türkenherrschaft herbeigeführten
Zustände thaten daS Uebrige, und heutzutage ist, mit einigen an den Fingern
herzuzählenden Ausnahmen , ein solches von kleinen Grundbesitzern bewohntes
Dorf der Sitz der bittersten Armuth. Die berühmtesten Säufer sind Neseschen.


über tüchtig auf dem Felde gearbeitet, schnitzen sie im Winter mancherlei ein¬
faches Hausgeräth aus Holz, besonders Löffel, waS ihnen auch, dem Worte
Lingura entlehnt, den Namen „Linguraren" erworben.

Wir kommen endlich zu der dritten Classe, den Vatraschi, die sich wahr¬
scheinlich im Lause der Zeit aus einzelnen, den beiden anderen Classen ent¬
lehnten Individuen gebildet. Diese wohnen in Häusern und liefern die Diener¬
schaft in den meisten moldauischen Familien. Anstellig wie sie sind, macht
mancher eine glänzende Carriere, reist als Koch oder Kammerdiener mit seinem
Herrn nach Paris, und kommt französisch parurent wieder heim. Ein solcher
flößt seinen früheren Kameraden den größten Respect ein, sie sind stolz aus
ihn, und fragt jemand: wer ist denn der Stutzer da? so antworten sie geheim¬
nißvoll: DaS ist der Jean ober Pierre, der früher Zigeuner war!

Obgleich man eS der ersten kaum anmerkt, gehören doch alle drei Classen
zur griechischen Kirche. Linguraren und Vatraschi sind sämmtlich Glieder be¬
stimmter Gemeinden, und beobachten gewissenhaft die Gebräuche ihrer Reli¬
gion; bei der Classe der rohen Lajeschi ist das anders; Rückerinnerungen aus
heidnischen Zeiten spielen noch eine große Rolle in dem, was man bei ihnen
etwa Religion nennen könnte, und der Schwur an einem fließenden Wasser
ist mehr werth als der in der Kirche geleistete. — Alle drei Kategorien sprechen
rumänisch, die letzte aber unter sich lieber eine eigenthümliche, aus fortwähren¬
den Gurgeltönen zusammengesetzte Sprache.

Nach diesem Zigeunerintermezzo knüpfen wir an den früher besprochenen
Bauernstand die Classe der Neseschen oder Freibauern.

Während der Jahrhunderte, wo die Donauprovinzen von einheimischen
selbstgewählten Fürsten als unabhängige Staaten regiert wurden, hörten die
Kriege mit den benachbarten Völkern selten auf. Ein solcher Zustand der
Dinge hatte eine Art stehenden Heeres nothwendig gemacht, die Hauptstütze
des von Feinden bedrängten Thrones aber war das Ausgebot sämmtlicher
waffenfähiger Männer, die nach beendigtem Feldzuge zu ihren häuslichen Be¬
schäftigungen zurückkehrten. Diejenigen, die sich besonders durch Tapferkeit
hervorgethan hatten, erhielten von den Fürsten bedeutende Landstrecken
als Geschenk, siedelten sich auf denselben an, und bildeten aus diese Weise
ganze Dörfer von Gutsbesitzern, deren Nachkommen den Antheil ihrer
Eltern untereinander theilten. Diese von Generation zu Generation zu¬
nehmende Zerstückelung des Bodens mußte natürlich, nach Maßgabe der
Vermehrung der Bevölkerung in den Reseschendörfern, eine Abnahme ihres
Wohlstandes herbeiführen. Die seit Beginn der Türkenherrschaft herbeigeführten
Zustände thaten daS Uebrige, und heutzutage ist, mit einigen an den Fingern
herzuzählenden Ausnahmen , ein solches von kleinen Grundbesitzern bewohntes
Dorf der Sitz der bittersten Armuth. Die berühmtesten Säufer sind Neseschen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/38>, abgerufen am 28.09.2024.