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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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runden Präsentirteller von Kupferblech trägt, auf welchem Näpfe und Kannen
mit kühlender Dattclbrühe stehen. Dann ein Mann, der, ebenfalls auf dem
Kopfe, einen schweren Korb mit Pfeifenköpfen schleppt, die er als Waare von
Siut ausfahren. Dann verschiedene DellalS, Makler der Gasse, die gegen
gewisse Procente Privatleuten Dinge, welche sie los sein wollen, durch öffent¬
lichen Ausruf an den Mann bringen.

Neben dem Nubier, mit dem jetzt zwei Nankinghelme um ein Nitterschwert
feilschen, welches in der deutschen Fabrik, aus der es unzweifelhaft stammt,
einen Thaler gekostet haben wird, während es hier als in Habesch geschmiedet
vermuthlich zwei Pfund werth sein soll, hat sich ein zerlumpter Bursch gelagert,
dessen unförmliche balkcndicke Füße zeigen, daß er von der Elephantiasis heim¬
gesucht ist. Neben dem Krüppel wieder tanzt "mit gemüthlos frechem Stei߬
wurf" nach der Pauke eines Musikanten und dem Takte von kleinen messingnen
Castagnetten, die sie über dem Kopfe mit Daumen und Mittelfinger zusammen¬
schlägt, ein barfüßiges Weib vom Stamm der Ghawassi die üppigen Tänze
ihrer Zunft, die, wie die Monumente erzählen, aus der Pharaonenzeit stammen,
und die sie mit einem tremulirenden Gesänge voll Obscönitäten begleitet. Auf
dem Kopfe trägt sie einen mit Goldmünzen berasten Tarbusch, die Augenlider
sind schwarz geschminkt, die Wangen tättowirt, unter dem flatternden blauen
Hemde, welches den Busen nur halb verhüllt, sehen weite gelb und rothge¬
streifte Hosen hervor. Der Paukenschläger ist ihr Mann und -- ihr Kuppler.
Unter Mehemed Ali wurden die Ghawassis aus der Hauptstadt nach Ober¬
ägypten verbannt. Jetzt sind sie wieder da, und "Allah kerim!" sagen die
Vorübergehenden. Gott ist gütig -- und barmherzig! Und Said Paschas Ne¬
gierung -- ist anch barmherzig.

Auffallend groß ist die Zahl der Blinden und Einäugigen, welche vorüber¬
gehen , und wir sangen jetzt an zu glauben, daß der Freund in Alerandrien,
der uns erzählte, daß von den fünfmalhunderttausend Augen in Masr bestimmt
hunderttausend die Sonne nicht sehen, nicht sehr übertrieben hat. In dem
Kreise von blauen und braunen Kaftans wenigstens, der jetzt unter der Nilakazie
drüben das Schischi, die Wasserpfeife aus Kokosnuß, von Mund zu Mund
gehen läßt, befinden sich unter zwölf Augen fünf geschlossene, und zahlreich
waren, seit wir zu zeichnen anfingen, die Erscheinungen bettelnder Belisars,
die von Mädchen geführt, sich ihren Weg durch das Getümmel unter uns
tasteten, zahlreich auch blinde und triefäugige Kinder.

Man kann stundenlang sitzen und beobachten und immer Neues sehen,
und wir saßen stundenlang, ohne des Anblicks müde zu werden. Da ertönte
von ferne arabische Musik, Geklirr von Becken, Gequiek von Flöten und das
dumpfe Rollen von Trommel und Pauke. Es war ein Hochzeitszug, der von
der Esbekieh in das Innere der Stadt ging. Wir betrachteten ihn, bis er vor


runden Präsentirteller von Kupferblech trägt, auf welchem Näpfe und Kannen
mit kühlender Dattclbrühe stehen. Dann ein Mann, der, ebenfalls auf dem
Kopfe, einen schweren Korb mit Pfeifenköpfen schleppt, die er als Waare von
Siut ausfahren. Dann verschiedene DellalS, Makler der Gasse, die gegen
gewisse Procente Privatleuten Dinge, welche sie los sein wollen, durch öffent¬
lichen Ausruf an den Mann bringen.

Neben dem Nubier, mit dem jetzt zwei Nankinghelme um ein Nitterschwert
feilschen, welches in der deutschen Fabrik, aus der es unzweifelhaft stammt,
einen Thaler gekostet haben wird, während es hier als in Habesch geschmiedet
vermuthlich zwei Pfund werth sein soll, hat sich ein zerlumpter Bursch gelagert,
dessen unförmliche balkcndicke Füße zeigen, daß er von der Elephantiasis heim¬
gesucht ist. Neben dem Krüppel wieder tanzt „mit gemüthlos frechem Stei߬
wurf" nach der Pauke eines Musikanten und dem Takte von kleinen messingnen
Castagnetten, die sie über dem Kopfe mit Daumen und Mittelfinger zusammen¬
schlägt, ein barfüßiges Weib vom Stamm der Ghawassi die üppigen Tänze
ihrer Zunft, die, wie die Monumente erzählen, aus der Pharaonenzeit stammen,
und die sie mit einem tremulirenden Gesänge voll Obscönitäten begleitet. Auf
dem Kopfe trägt sie einen mit Goldmünzen berasten Tarbusch, die Augenlider
sind schwarz geschminkt, die Wangen tättowirt, unter dem flatternden blauen
Hemde, welches den Busen nur halb verhüllt, sehen weite gelb und rothge¬
streifte Hosen hervor. Der Paukenschläger ist ihr Mann und — ihr Kuppler.
Unter Mehemed Ali wurden die Ghawassis aus der Hauptstadt nach Ober¬
ägypten verbannt. Jetzt sind sie wieder da, und „Allah kerim!" sagen die
Vorübergehenden. Gott ist gütig — und barmherzig! Und Said Paschas Ne¬
gierung — ist anch barmherzig.

Auffallend groß ist die Zahl der Blinden und Einäugigen, welche vorüber¬
gehen , und wir sangen jetzt an zu glauben, daß der Freund in Alerandrien,
der uns erzählte, daß von den fünfmalhunderttausend Augen in Masr bestimmt
hunderttausend die Sonne nicht sehen, nicht sehr übertrieben hat. In dem
Kreise von blauen und braunen Kaftans wenigstens, der jetzt unter der Nilakazie
drüben das Schischi, die Wasserpfeife aus Kokosnuß, von Mund zu Mund
gehen läßt, befinden sich unter zwölf Augen fünf geschlossene, und zahlreich
waren, seit wir zu zeichnen anfingen, die Erscheinungen bettelnder Belisars,
die von Mädchen geführt, sich ihren Weg durch das Getümmel unter uns
tasteten, zahlreich auch blinde und triefäugige Kinder.

Man kann stundenlang sitzen und beobachten und immer Neues sehen,
und wir saßen stundenlang, ohne des Anblicks müde zu werden. Da ertönte
von ferne arabische Musik, Geklirr von Becken, Gequiek von Flöten und das
dumpfe Rollen von Trommel und Pauke. Es war ein Hochzeitszug, der von
der Esbekieh in das Innere der Stadt ging. Wir betrachteten ihn, bis er vor


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/382>, abgerufen am 24.08.2024.