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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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zu Zeit ein unarticulirtes gellendes Gekreisch hören lassen und dazu blaue
Tücher schwingen oder vor dem Gesichte zusammendrehen, während die wirklich
leidlragenden Frauen der Familie ihren Schmerz durch Ausrufe wie "O mein
Löwe! -- O mein Trost! O mein Kameel! O mein Vater!" kundgeben.

Die Vorübergehenden machen Front gegen den Zug und murmeln: "Gott ist
sehr groß! Gott ist sehr groß!" bis die Procession vorüber ist. Die Leiche wird
zunächst in die Moschee gebracht, wo eine Art Todtengottesdienst, bestehend in
Absingung von Korancapiteln und Gebeten um Erbarmen mit dem Verstorbe¬
nen, gehalten wird, nach welchem der Chatib die Versammelten auffordert, ihr
Zeugniß ub^r den Todten abzugeben, waS mit den Worten: "Er war einer
von den Gerechten" geschieht. Dann werden abermals Gebete gesprochen und
Korancapitel recitirt, und hierauf setzt sich der Zug in der Ordnung, wie er
gekommen, nach dem Begräbnißplatz in Bewegung, wo die Beerdigung ohne
weitere Ceremonie vor sich geht.

Kehren wir zu der Betrachtung deS Menschenstroms vor dem Hotel deS
Pyramidcs zurück. Ueber dem alten Gedränge von rothen, weißen und grünen
Turbanen und Kciftanen, weißen, braunen und schwarzen Gesichtern, Fu߬
gängern und Reitern zu Esel und zu Pferd ragen in der Ferne die Köpfe
von Kameelen. Die Karavane kommt näher, und eins nach dem andern
schreiten mit ihren Schlangenhälsen, ihren Hängelippen, ihren warzenbedeckten,
beschabten und beschundenen Leibern, die häßlichen und doch so nützlichen
Höckerthiere an uns vorüber. Die einen tragen in Bastnetzcn mächtige Mühl¬
steine, andere sind mit Bergen von Gras und Klee, wieder andere mit Kisten
oder Säcken beladen. Ihr rauhes Brüllen tönt noch lange nachdem sie vor¬
bei sind, durch die Straße wiederhallend in den Lärm herein, den die
Ausrufer machen, von welchen sich jetzt eine Menge auf dem Platz vor dem>
Hause eingefunden haben. "Die Lupinen von Jmbabi sind süßer als Mandeln!"
ruft ein Blankaftan mit einem Sack auf dem Rücken. Unmittelbar darauf
hallt das Geschrei eines Sakkas oder Wasserträgers: "Möge Gott mirs ver¬
gelten!" zu unserm Erker herauf. Bald nachher folgen sich die Rufe: "Gott
lasse mir sie leicht loswerden -- o Apfelsinen!" womit der Orangenverkäufer,
und: "Düfte des Paradieses!" womit der Händler mit Hennablüten seine
Waare anpreist. "O Mitleiderwecker, o Herr!" krächzt die Stimme eines
Bettlers, und ein Zunftgenosse schreit gleich nachher: "Ich bin der Gast Gottes
und deS Propheten!" während ein drittes Mitglied der in Kairo sehr zahl¬
reichen Gilde prosaischer gestimmt uns zuruft: "Ich suche von meinem Herrn
um Stück Brot!" Erscheint schon ein recht ansehnliches zu hat",,, aber hinter
'hin schreitet, ein paar Dutzend schlaff herabhängende Brotkuchen auf dem
Arme, der Bäcker, dem er es noch schuldet.

Dann tourne ein Scherbetverkäufer, der auf dem Kopfe einen großen


zu Zeit ein unarticulirtes gellendes Gekreisch hören lassen und dazu blaue
Tücher schwingen oder vor dem Gesichte zusammendrehen, während die wirklich
leidlragenden Frauen der Familie ihren Schmerz durch Ausrufe wie „O mein
Löwe! — O mein Trost! O mein Kameel! O mein Vater!" kundgeben.

Die Vorübergehenden machen Front gegen den Zug und murmeln: „Gott ist
sehr groß! Gott ist sehr groß!" bis die Procession vorüber ist. Die Leiche wird
zunächst in die Moschee gebracht, wo eine Art Todtengottesdienst, bestehend in
Absingung von Korancapiteln und Gebeten um Erbarmen mit dem Verstorbe¬
nen, gehalten wird, nach welchem der Chatib die Versammelten auffordert, ihr
Zeugniß ub^r den Todten abzugeben, waS mit den Worten: „Er war einer
von den Gerechten" geschieht. Dann werden abermals Gebete gesprochen und
Korancapitel recitirt, und hierauf setzt sich der Zug in der Ordnung, wie er
gekommen, nach dem Begräbnißplatz in Bewegung, wo die Beerdigung ohne
weitere Ceremonie vor sich geht.

Kehren wir zu der Betrachtung deS Menschenstroms vor dem Hotel deS
Pyramidcs zurück. Ueber dem alten Gedränge von rothen, weißen und grünen
Turbanen und Kciftanen, weißen, braunen und schwarzen Gesichtern, Fu߬
gängern und Reitern zu Esel und zu Pferd ragen in der Ferne die Köpfe
von Kameelen. Die Karavane kommt näher, und eins nach dem andern
schreiten mit ihren Schlangenhälsen, ihren Hängelippen, ihren warzenbedeckten,
beschabten und beschundenen Leibern, die häßlichen und doch so nützlichen
Höckerthiere an uns vorüber. Die einen tragen in Bastnetzcn mächtige Mühl¬
steine, andere sind mit Bergen von Gras und Klee, wieder andere mit Kisten
oder Säcken beladen. Ihr rauhes Brüllen tönt noch lange nachdem sie vor¬
bei sind, durch die Straße wiederhallend in den Lärm herein, den die
Ausrufer machen, von welchen sich jetzt eine Menge auf dem Platz vor dem>
Hause eingefunden haben. „Die Lupinen von Jmbabi sind süßer als Mandeln!"
ruft ein Blankaftan mit einem Sack auf dem Rücken. Unmittelbar darauf
hallt das Geschrei eines Sakkas oder Wasserträgers: „Möge Gott mirs ver¬
gelten!" zu unserm Erker herauf. Bald nachher folgen sich die Rufe: „Gott
lasse mir sie leicht loswerden — o Apfelsinen!" womit der Orangenverkäufer,
und: „Düfte des Paradieses!" womit der Händler mit Hennablüten seine
Waare anpreist. „O Mitleiderwecker, o Herr!" krächzt die Stimme eines
Bettlers, und ein Zunftgenosse schreit gleich nachher: „Ich bin der Gast Gottes
und deS Propheten!" während ein drittes Mitglied der in Kairo sehr zahl¬
reichen Gilde prosaischer gestimmt uns zuruft: „Ich suche von meinem Herrn
um Stück Brot!" Erscheint schon ein recht ansehnliches zu hat»,,, aber hinter
'hin schreitet, ein paar Dutzend schlaff herabhängende Brotkuchen auf dem
Arme, der Bäcker, dem er es noch schuldet.

Dann tourne ein Scherbetverkäufer, der auf dem Kopfe einen großen


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[0381] zu Zeit ein unarticulirtes gellendes Gekreisch hören lassen und dazu blaue Tücher schwingen oder vor dem Gesichte zusammendrehen, während die wirklich leidlragenden Frauen der Familie ihren Schmerz durch Ausrufe wie „O mein Löwe! — O mein Trost! O mein Kameel! O mein Vater!" kundgeben. Die Vorübergehenden machen Front gegen den Zug und murmeln: „Gott ist sehr groß! Gott ist sehr groß!" bis die Procession vorüber ist. Die Leiche wird zunächst in die Moschee gebracht, wo eine Art Todtengottesdienst, bestehend in Absingung von Korancapiteln und Gebeten um Erbarmen mit dem Verstorbe¬ nen, gehalten wird, nach welchem der Chatib die Versammelten auffordert, ihr Zeugniß ub^r den Todten abzugeben, waS mit den Worten: „Er war einer von den Gerechten" geschieht. Dann werden abermals Gebete gesprochen und Korancapitel recitirt, und hierauf setzt sich der Zug in der Ordnung, wie er gekommen, nach dem Begräbnißplatz in Bewegung, wo die Beerdigung ohne weitere Ceremonie vor sich geht. Kehren wir zu der Betrachtung deS Menschenstroms vor dem Hotel deS Pyramidcs zurück. Ueber dem alten Gedränge von rothen, weißen und grünen Turbanen und Kciftanen, weißen, braunen und schwarzen Gesichtern, Fu߬ gängern und Reitern zu Esel und zu Pferd ragen in der Ferne die Köpfe von Kameelen. Die Karavane kommt näher, und eins nach dem andern schreiten mit ihren Schlangenhälsen, ihren Hängelippen, ihren warzenbedeckten, beschabten und beschundenen Leibern, die häßlichen und doch so nützlichen Höckerthiere an uns vorüber. Die einen tragen in Bastnetzcn mächtige Mühl¬ steine, andere sind mit Bergen von Gras und Klee, wieder andere mit Kisten oder Säcken beladen. Ihr rauhes Brüllen tönt noch lange nachdem sie vor¬ bei sind, durch die Straße wiederhallend in den Lärm herein, den die Ausrufer machen, von welchen sich jetzt eine Menge auf dem Platz vor dem> Hause eingefunden haben. „Die Lupinen von Jmbabi sind süßer als Mandeln!" ruft ein Blankaftan mit einem Sack auf dem Rücken. Unmittelbar darauf hallt das Geschrei eines Sakkas oder Wasserträgers: „Möge Gott mirs ver¬ gelten!" zu unserm Erker herauf. Bald nachher folgen sich die Rufe: „Gott lasse mir sie leicht loswerden — o Apfelsinen!" womit der Orangenverkäufer, und: „Düfte des Paradieses!" womit der Händler mit Hennablüten seine Waare anpreist. „O Mitleiderwecker, o Herr!" krächzt die Stimme eines Bettlers, und ein Zunftgenosse schreit gleich nachher: „Ich bin der Gast Gottes und deS Propheten!" während ein drittes Mitglied der in Kairo sehr zahl¬ reichen Gilde prosaischer gestimmt uns zuruft: „Ich suche von meinem Herrn um Stück Brot!" Erscheint schon ein recht ansehnliches zu hat»,,, aber hinter 'hin schreitet, ein paar Dutzend schlaff herabhängende Brotkuchen auf dem Arme, der Bäcker, dem er es noch schuldet. Dann tourne ein Scherbetverkäufer, der auf dem Kopfe einen großen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/381>, abgerufen am 24.08.2024.