Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

aufgetakelten Dcchabien macht nur den Eindruck einer Ausnahme von der Regel.
Ein Fabrikschornstein, um den sich Gruppen von Palmen erheben, und vor dem
in der Ferne aus andern Palmen Dutzende von Minarets auftauchen, sieht
selbst fast wie ein Minaret aus. Der daherschießende Bahnzug wird leicht ver¬
gessen, das Pfeifen der Locomotive leicht überhört, wenn sich vor den Thoren
des Bahnhofs beinahe stündlich Karavanen mit Hunderten brüllender Kameele
vorüberdrängen. Die Muökil) ferner ist ein bloßer Ansatz an dem Körper der
eigentlichen Stadt, von der überdies ihre Häuser nicht blos die platten Dächer
und ihre Bewohner nicht blos den rothen Tarbusch angenommen haben. Die
Rosselenker auf dem Bock der Modekarosse, die Bedienten hintendrauf sind gelb-
häutige schwarzäugige Turbanträger. Auf der Esbekicl) trifft das Auge noch
immer häusiger auf morgenländische als auf abendländische Trachten, und selbst
wo diese einmal an Zahl überwiegen, bleibt uns, ganz abgesehen von der Ve--
getation in den Anlagen dieses schönen Platzes und der Bauart der meisten
Häuser, die ihn umgeben, in den hellen Farben der Kopfbunde und Schuhe,
der Burnusse, Kaftane und Pumphosen, in den bunten Tressenjacken und Leib¬
binden, in der Pfeifenbewaffnung und Schleierverhüllung des andern Elements
der Spaziergänger eine sehr lebhafte Erinnerung daran, daß wir im Orient
sind. Im Innern der Stadt endlich, um Ende der großen Straße deS Franken-
Viertels, hört jede Spur eines Einflusses von Europa auf und man geht stun¬
denlang durch die bunten Bazars, durch die halbdunkeln kühlen Gassen, an
den stolzen Khanem und Moscheen hin, ohne anderen Gestalten, Farben und
Tönen zu begegnen, als solchen, welche die Natur Afrikas oder Asiens geboren-

Kairo liegt am Eingange des Thales von Oberägypten, etwa drei Stun¬
den südlich von dem sogenannten Kuhbauch, Batn El Bakkerah, der Stelle,
wo der Nil sich in den Damiette- und Nosettearm theilt und das Delta be¬
ginnt. Hart über dem Ostrande der Stadt, die sich mehr in die Länge als
in die Breite ausdehnt und einen Raum von ungefähr drei Fünfteln einer
Quadratmeile bedeckt, erheben sich die Wände der Mokattambcrge, mit denen
die Wüste anfängt. Der Strom ist von den nördlichen Theilen des Westendes
eine reichliche Viertelstunde, von den südlichen nicht viel über tausend Schritt
entfernt. Die Zahl der Einwohner berechnet man auf 230,000, doch ist in
dieser Beziehung bei der üblen Stellung, in der sich die Statistik hier den
Gesetzen des Harems gegenüber befindet, etwas Bestimmtes nicht zu sagen.

Schon von der Eisenbahn aus, die sich über die Thalsohle heraufwindet,
bietet Kairo durch den doppelten Contrast einerseits zwischen den elenden, in
Schutt und Schmuz erstickenden Städten und Dörfern, die man vorher ge¬
sehen, und der Pracht schöner Landhäuser und stolzer Minarets, die jetzt immer
dichter und deutlicher in der Tiefe und auf der Höhe vor und neben dem Zuge
auftauchen, andererseits zwischen der dürren mißfarbigen Wüste, die von Osten


aufgetakelten Dcchabien macht nur den Eindruck einer Ausnahme von der Regel.
Ein Fabrikschornstein, um den sich Gruppen von Palmen erheben, und vor dem
in der Ferne aus andern Palmen Dutzende von Minarets auftauchen, sieht
selbst fast wie ein Minaret aus. Der daherschießende Bahnzug wird leicht ver¬
gessen, das Pfeifen der Locomotive leicht überhört, wenn sich vor den Thoren
des Bahnhofs beinahe stündlich Karavanen mit Hunderten brüllender Kameele
vorüberdrängen. Die Muökil) ferner ist ein bloßer Ansatz an dem Körper der
eigentlichen Stadt, von der überdies ihre Häuser nicht blos die platten Dächer
und ihre Bewohner nicht blos den rothen Tarbusch angenommen haben. Die
Rosselenker auf dem Bock der Modekarosse, die Bedienten hintendrauf sind gelb-
häutige schwarzäugige Turbanträger. Auf der Esbekicl) trifft das Auge noch
immer häusiger auf morgenländische als auf abendländische Trachten, und selbst
wo diese einmal an Zahl überwiegen, bleibt uns, ganz abgesehen von der Ve--
getation in den Anlagen dieses schönen Platzes und der Bauart der meisten
Häuser, die ihn umgeben, in den hellen Farben der Kopfbunde und Schuhe,
der Burnusse, Kaftane und Pumphosen, in den bunten Tressenjacken und Leib¬
binden, in der Pfeifenbewaffnung und Schleierverhüllung des andern Elements
der Spaziergänger eine sehr lebhafte Erinnerung daran, daß wir im Orient
sind. Im Innern der Stadt endlich, um Ende der großen Straße deS Franken-
Viertels, hört jede Spur eines Einflusses von Europa auf und man geht stun¬
denlang durch die bunten Bazars, durch die halbdunkeln kühlen Gassen, an
den stolzen Khanem und Moscheen hin, ohne anderen Gestalten, Farben und
Tönen zu begegnen, als solchen, welche die Natur Afrikas oder Asiens geboren-

Kairo liegt am Eingange des Thales von Oberägypten, etwa drei Stun¬
den südlich von dem sogenannten Kuhbauch, Batn El Bakkerah, der Stelle,
wo der Nil sich in den Damiette- und Nosettearm theilt und das Delta be¬
ginnt. Hart über dem Ostrande der Stadt, die sich mehr in die Länge als
in die Breite ausdehnt und einen Raum von ungefähr drei Fünfteln einer
Quadratmeile bedeckt, erheben sich die Wände der Mokattambcrge, mit denen
die Wüste anfängt. Der Strom ist von den nördlichen Theilen des Westendes
eine reichliche Viertelstunde, von den südlichen nicht viel über tausend Schritt
entfernt. Die Zahl der Einwohner berechnet man auf 230,000, doch ist in
dieser Beziehung bei der üblen Stellung, in der sich die Statistik hier den
Gesetzen des Harems gegenüber befindet, etwas Bestimmtes nicht zu sagen.

Schon von der Eisenbahn aus, die sich über die Thalsohle heraufwindet,
bietet Kairo durch den doppelten Contrast einerseits zwischen den elenden, in
Schutt und Schmuz erstickenden Städten und Dörfern, die man vorher ge¬
sehen, und der Pracht schöner Landhäuser und stolzer Minarets, die jetzt immer
dichter und deutlicher in der Tiefe und auf der Höhe vor und neben dem Zuge
auftauchen, andererseits zwischen der dürren mißfarbigen Wüste, die von Osten


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0372" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/104573"/>
            <p xml:id="ID_960" prev="#ID_959"> aufgetakelten Dcchabien macht nur den Eindruck einer Ausnahme von der Regel.<lb/>
Ein Fabrikschornstein, um den sich Gruppen von Palmen erheben, und vor dem<lb/>
in der Ferne aus andern Palmen Dutzende von Minarets auftauchen, sieht<lb/>
selbst fast wie ein Minaret aus. Der daherschießende Bahnzug wird leicht ver¬<lb/>
gessen, das Pfeifen der Locomotive leicht überhört, wenn sich vor den Thoren<lb/>
des Bahnhofs beinahe stündlich Karavanen mit Hunderten brüllender Kameele<lb/>
vorüberdrängen. Die Muökil) ferner ist ein bloßer Ansatz an dem Körper der<lb/>
eigentlichen Stadt, von der überdies ihre Häuser nicht blos die platten Dächer<lb/>
und ihre Bewohner nicht blos den rothen Tarbusch angenommen haben. Die<lb/>
Rosselenker auf dem Bock der Modekarosse, die Bedienten hintendrauf sind gelb-<lb/>
häutige schwarzäugige Turbanträger. Auf der Esbekicl) trifft das Auge noch<lb/>
immer häusiger auf morgenländische als auf abendländische Trachten, und selbst<lb/>
wo diese einmal an Zahl überwiegen, bleibt uns, ganz abgesehen von der Ve--<lb/>
getation in den Anlagen dieses schönen Platzes und der Bauart der meisten<lb/>
Häuser, die ihn umgeben, in den hellen Farben der Kopfbunde und Schuhe,<lb/>
der Burnusse, Kaftane und Pumphosen, in den bunten Tressenjacken und Leib¬<lb/>
binden, in der Pfeifenbewaffnung und Schleierverhüllung des andern Elements<lb/>
der Spaziergänger eine sehr lebhafte Erinnerung daran, daß wir im Orient<lb/>
sind. Im Innern der Stadt endlich, um Ende der großen Straße deS Franken-<lb/>
Viertels, hört jede Spur eines Einflusses von Europa auf und man geht stun¬<lb/>
denlang durch die bunten Bazars, durch die halbdunkeln kühlen Gassen, an<lb/>
den stolzen Khanem und Moscheen hin, ohne anderen Gestalten, Farben und<lb/>
Tönen zu begegnen, als solchen, welche die Natur Afrikas oder Asiens geboren-</p><lb/>
            <p xml:id="ID_961"> Kairo liegt am Eingange des Thales von Oberägypten, etwa drei Stun¬<lb/>
den südlich von dem sogenannten Kuhbauch, Batn El Bakkerah, der Stelle,<lb/>
wo der Nil sich in den Damiette- und Nosettearm theilt und das Delta be¬<lb/>
ginnt. Hart über dem Ostrande der Stadt, die sich mehr in die Länge als<lb/>
in die Breite ausdehnt und einen Raum von ungefähr drei Fünfteln einer<lb/>
Quadratmeile bedeckt, erheben sich die Wände der Mokattambcrge, mit denen<lb/>
die Wüste anfängt. Der Strom ist von den nördlichen Theilen des Westendes<lb/>
eine reichliche Viertelstunde, von den südlichen nicht viel über tausend Schritt<lb/>
entfernt. Die Zahl der Einwohner berechnet man auf 230,000, doch ist in<lb/>
dieser Beziehung bei der üblen Stellung, in der sich die Statistik hier den<lb/>
Gesetzen des Harems gegenüber befindet, etwas Bestimmtes nicht zu sagen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_962" next="#ID_963"> Schon von der Eisenbahn aus, die sich über die Thalsohle heraufwindet,<lb/>
bietet Kairo durch den doppelten Contrast einerseits zwischen den elenden, in<lb/>
Schutt und Schmuz erstickenden Städten und Dörfern, die man vorher ge¬<lb/>
sehen, und der Pracht schöner Landhäuser und stolzer Minarets, die jetzt immer<lb/>
dichter und deutlicher in der Tiefe und auf der Höhe vor und neben dem Zuge<lb/>
auftauchen, andererseits zwischen der dürren mißfarbigen Wüste, die von Osten</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0372] aufgetakelten Dcchabien macht nur den Eindruck einer Ausnahme von der Regel. Ein Fabrikschornstein, um den sich Gruppen von Palmen erheben, und vor dem in der Ferne aus andern Palmen Dutzende von Minarets auftauchen, sieht selbst fast wie ein Minaret aus. Der daherschießende Bahnzug wird leicht ver¬ gessen, das Pfeifen der Locomotive leicht überhört, wenn sich vor den Thoren des Bahnhofs beinahe stündlich Karavanen mit Hunderten brüllender Kameele vorüberdrängen. Die Muökil) ferner ist ein bloßer Ansatz an dem Körper der eigentlichen Stadt, von der überdies ihre Häuser nicht blos die platten Dächer und ihre Bewohner nicht blos den rothen Tarbusch angenommen haben. Die Rosselenker auf dem Bock der Modekarosse, die Bedienten hintendrauf sind gelb- häutige schwarzäugige Turbanträger. Auf der Esbekicl) trifft das Auge noch immer häusiger auf morgenländische als auf abendländische Trachten, und selbst wo diese einmal an Zahl überwiegen, bleibt uns, ganz abgesehen von der Ve-- getation in den Anlagen dieses schönen Platzes und der Bauart der meisten Häuser, die ihn umgeben, in den hellen Farben der Kopfbunde und Schuhe, der Burnusse, Kaftane und Pumphosen, in den bunten Tressenjacken und Leib¬ binden, in der Pfeifenbewaffnung und Schleierverhüllung des andern Elements der Spaziergänger eine sehr lebhafte Erinnerung daran, daß wir im Orient sind. Im Innern der Stadt endlich, um Ende der großen Straße deS Franken- Viertels, hört jede Spur eines Einflusses von Europa auf und man geht stun¬ denlang durch die bunten Bazars, durch die halbdunkeln kühlen Gassen, an den stolzen Khanem und Moscheen hin, ohne anderen Gestalten, Farben und Tönen zu begegnen, als solchen, welche die Natur Afrikas oder Asiens geboren- Kairo liegt am Eingange des Thales von Oberägypten, etwa drei Stun¬ den südlich von dem sogenannten Kuhbauch, Batn El Bakkerah, der Stelle, wo der Nil sich in den Damiette- und Nosettearm theilt und das Delta be¬ ginnt. Hart über dem Ostrande der Stadt, die sich mehr in die Länge als in die Breite ausdehnt und einen Raum von ungefähr drei Fünfteln einer Quadratmeile bedeckt, erheben sich die Wände der Mokattambcrge, mit denen die Wüste anfängt. Der Strom ist von den nördlichen Theilen des Westendes eine reichliche Viertelstunde, von den südlichen nicht viel über tausend Schritt entfernt. Die Zahl der Einwohner berechnet man auf 230,000, doch ist in dieser Beziehung bei der üblen Stellung, in der sich die Statistik hier den Gesetzen des Harems gegenüber befindet, etwas Bestimmtes nicht zu sagen. Schon von der Eisenbahn aus, die sich über die Thalsohle heraufwindet, bietet Kairo durch den doppelten Contrast einerseits zwischen den elenden, in Schutt und Schmuz erstickenden Städten und Dörfern, die man vorher ge¬ sehen, und der Pracht schöner Landhäuser und stolzer Minarets, die jetzt immer dichter und deutlicher in der Tiefe und auf der Höhe vor und neben dem Zuge auftauchen, andererseits zwischen der dürren mißfarbigen Wüste, die von Osten

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/372
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/372>, abgerufen am 22.07.2024.