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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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zurückruft, daß die bedeutendste der Weltstraßen, welche England mit Indien
verbinden, hart an Kairo vorüberführt. Allein jene Reformen haben im Ganzen
doch nur die Oberfläche berührt und ihre Ergebnisse liegen zum Theil schon
in Trümmern, zum Theil hat der arabische Geist sie sich assimilirt, so daß ihre
Herkunft aus der Fremde kaum noch zu erkennen ist. Gegen die Einwirkung
der Straße von London nach Bombay und Kalkutta aber lieferten eine Be¬
völkerung von mehr als zweimalhunderttausend Mohammedanern, die sich fort¬
während aus den Ländern, wo noch der echte unverfälschte und ungebrochne
Islam herrscht, ergänzen, die Rechts- und Theologenschulen, deren Hauptsitz
Kairo ist, und der Hadsch, die große Pilgerkaravane, die alljährlich zu bestimm¬
ter Zeit die Stadt zweimal mit Tausenden eifriger Moslemin füllt, ein mehr
als genügendes Gegengewicht.

Mögen jene Einwirkungen aber auch tiefer in das Innere gedrungen sein,
das Aeußere, mit dem wir eS zunächst zu thun haben, ist von ihnen nur wenig
verändert worden.

ES ist wahr, auf dem Nil schwimmen funfzehn oder zwanzig elegante
Dampfer, und an seinen Ufern stehen Zuckersiet>ereien mit denselben hohen
Fabrikschornsteinen wie bei uns. Eine Eisenbahn mit bequemen Wagen, mit
einer ersten, zweiten, dritten Classe, mit einem hübschen Bahnhofe mündet vor
dem einen Thor. In der Muökih, dem Frankenviertel, begegnen wir einigen
Dutzend Häusern, die in einer italienischen Stadt nicht sehr auffallen würden,
begegnen wir bisweilen Kutschen aus wiener oder londoner Werkstätten. Es
gibt in diesem Quartier Gasthöfe, wo man beinahe so gut speist wie in Paris
und Läden, wo so ziemlich alles zu haben ist, was europäischer Lurus Bedürf¬
niß nennt. Auf der Esbekieh mag man an Sonntagen, wo die Kante volvv
der hier wohnenden Franken lustwandelt, zuweilen auf Augenblicke fast auf
einem französischen Boulevard zu sein wähnen. Niemand hat mehr die unan¬
genehme Ueberraschung zu fürchten, sich den schwarzen Ofenrohrhut der Civili¬
sation, wie bekannt und begreiflich ein Hauptgrcuel für den beturbanten Orient,
unversehens vom Kopfe geschlagen zu sehen. Bis vor kurzem gesetzlich auf
Eselsrücken beschränkt, dürfen die Ungläubigen sich stolz zu Rosse zeigen, ja
selbst das Recht, Bekenner des Islam auf offner Straße mit Schimpfworten,
Fußtritten und der gewichtigen Nilpferdkurbatsche zu tractiren, scheint ihnen
von der Nachgiebigkeit, die unter Mehxmed Ali Gebrauch wurde, zu ihren
übrigen Privilegien geschrieben worden zu sein.

Damit ist aber auch ziemlich alles erschöpft, was die neueste Zeit zu der
ursprünglichen Gestalt der Kalifenstadt am M hinzugefügt hat, und dieses
alles wird, zusammengehalten mit dem Strome echt morgenländischen Wesens,
welcher es umflutet und durchdringt, zum Verschwinden unbedeutend. Ein
Dampfer im Hafen von Bulak, umgeben von zahllosen, seltsam gebauten und


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zurückruft, daß die bedeutendste der Weltstraßen, welche England mit Indien
verbinden, hart an Kairo vorüberführt. Allein jene Reformen haben im Ganzen
doch nur die Oberfläche berührt und ihre Ergebnisse liegen zum Theil schon
in Trümmern, zum Theil hat der arabische Geist sie sich assimilirt, so daß ihre
Herkunft aus der Fremde kaum noch zu erkennen ist. Gegen die Einwirkung
der Straße von London nach Bombay und Kalkutta aber lieferten eine Be¬
völkerung von mehr als zweimalhunderttausend Mohammedanern, die sich fort¬
während aus den Ländern, wo noch der echte unverfälschte und ungebrochne
Islam herrscht, ergänzen, die Rechts- und Theologenschulen, deren Hauptsitz
Kairo ist, und der Hadsch, die große Pilgerkaravane, die alljährlich zu bestimm¬
ter Zeit die Stadt zweimal mit Tausenden eifriger Moslemin füllt, ein mehr
als genügendes Gegengewicht.

Mögen jene Einwirkungen aber auch tiefer in das Innere gedrungen sein,
das Aeußere, mit dem wir eS zunächst zu thun haben, ist von ihnen nur wenig
verändert worden.

ES ist wahr, auf dem Nil schwimmen funfzehn oder zwanzig elegante
Dampfer, und an seinen Ufern stehen Zuckersiet>ereien mit denselben hohen
Fabrikschornsteinen wie bei uns. Eine Eisenbahn mit bequemen Wagen, mit
einer ersten, zweiten, dritten Classe, mit einem hübschen Bahnhofe mündet vor
dem einen Thor. In der Muökih, dem Frankenviertel, begegnen wir einigen
Dutzend Häusern, die in einer italienischen Stadt nicht sehr auffallen würden,
begegnen wir bisweilen Kutschen aus wiener oder londoner Werkstätten. Es
gibt in diesem Quartier Gasthöfe, wo man beinahe so gut speist wie in Paris
und Läden, wo so ziemlich alles zu haben ist, was europäischer Lurus Bedürf¬
niß nennt. Auf der Esbekieh mag man an Sonntagen, wo die Kante volvv
der hier wohnenden Franken lustwandelt, zuweilen auf Augenblicke fast auf
einem französischen Boulevard zu sein wähnen. Niemand hat mehr die unan¬
genehme Ueberraschung zu fürchten, sich den schwarzen Ofenrohrhut der Civili¬
sation, wie bekannt und begreiflich ein Hauptgrcuel für den beturbanten Orient,
unversehens vom Kopfe geschlagen zu sehen. Bis vor kurzem gesetzlich auf
Eselsrücken beschränkt, dürfen die Ungläubigen sich stolz zu Rosse zeigen, ja
selbst das Recht, Bekenner des Islam auf offner Straße mit Schimpfworten,
Fußtritten und der gewichtigen Nilpferdkurbatsche zu tractiren, scheint ihnen
von der Nachgiebigkeit, die unter Mehxmed Ali Gebrauch wurde, zu ihren
übrigen Privilegien geschrieben worden zu sein.

Damit ist aber auch ziemlich alles erschöpft, was die neueste Zeit zu der
ursprünglichen Gestalt der Kalifenstadt am M hinzugefügt hat, und dieses
alles wird, zusammengehalten mit dem Strome echt morgenländischen Wesens,
welcher es umflutet und durchdringt, zum Verschwinden unbedeutend. Ein
Dampfer im Hafen von Bulak, umgeben von zahllosen, seltsam gebauten und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/371>, abgerufen am 22.07.2024.