Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.dem Reisenden schon von weitem, wo sie ihr Lager aufgeschlagen. Unstet Schon unter der Regierung deS Fürsten Michael Sturdza im Anfange dem Reisenden schon von weitem, wo sie ihr Lager aufgeschlagen. Unstet Schon unter der Regierung deS Fürsten Michael Sturdza im Anfange <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0036" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/104237"/> <p xml:id="ID_84" prev="#ID_83"> dem Reisenden schon von weitem, wo sie ihr Lager aufgeschlagen. Unstet<lb/> ziehen sie im Lande umher, selten graben sie ihre Erdhütten für den Winter<lb/> da, wo im Sommer die Zelte gestanden. Ein Zug solcher Zigeuner zu einer<lb/> neuen Winteransiedluug hat etwas Ueberraschendes für den, der ihn zum<lb/> ersten Mal sieht. Gewöhnlich sind einige sehr hohe vierrädrige Karren von<lb/> eigenthümlicher Form dabei, von einem mageren Pferde ohne Halfter und<lb/> mehren halbnackten Männern gezogen; schwarzgestreifte wollene Zeltdecken und<lb/> schmuziges Gepäck füllen den Korb des Karrens; oben thront ein alles Weib<lb/> mit entblößter Brust, wie denn überhaupt die Zigeunerinnen eS nie für nö¬<lb/> thig halten, den Busen zu bedecken. Um die Alte herum liegen einige nackte<lb/> Kinder, die bei kalter Witterung nur die Köpfe unter den Decken hervorstecken.<lb/> Oft sitzt noch ein junges Weib mit einem Säugling an der Brust mit da oben,<lb/> und häßlich ist es selten; so lange die Jugendfrische dauert, sind diese Zigeu¬<lb/> nerinnen mit ihren großen schwarzen Augen oft von anziehender Schönheit.<lb/> Männer folgen dem Zuge mit Zeltstangen auf Veit Schultern, Kinder treiben<lb/> Schweine an Hanfschnüren vor sich her, Greise und Weiber schleppen Säcke<lb/> mit Kukuruzmehl und sonstigen Lebensmitteln. Keine lebhafte Farbe, als<lb/> vielleicht hin und wieder ein rother türkischer Feß mit blauer Seibenauaste<lb/> oder ein gelbes Tuch, daS sich ein Weib turbanartig um den Kopf gewunden,<lb/> blendet das Auge, und doch überrascht das Wilde, Malerische eines solchen Zuges.</p><lb/> <p xml:id="ID_85" next="#ID_86"> Schon unter der Regierung deS Fürsten Michael Sturdza im Anfange<lb/> der vierziger Jahre wurde der Anfang zur Aufhebung der Leibeigenschaft der<lb/> Zigeuner gemacht. Die der Regierung und den Klöstern gehörigen Zigeuner<lb/> wurden für frei erklärt, und der Ertrag der von den Freien zu bezahlenden<lb/> Kopfsteuer sollte dazu dienen, die Leibeigenen der Bojaren loszukaufen. Es<lb/> kamen auf diesem Wege nicht unbedeutende Summen ein — dieselben wurden<lb/> jedoch nur in seltenen Fällen zu dem ursprünglich bestimmten Zweck verwandt,<lb/> und die in Aussicht gestellte, allgemeine Befreiung machte nur unbedeutende<lb/> Fortschritte. Da entschloß sich endlich vor zwei Jahren der Hospodar Gregor<lb/> Ghika zu einer durchgreifenderen Maßregel: er decretirte die Aufhebung der<lb/> Leibeigenschaft und sicherte den Besitzern von Zigeunern eine von der Regierung<lb/> allmälig abzutragende Entschädigung. Es entstand damals das auch in deut¬<lb/> sche Zeitungen übergegangene Gerücht, die Moldauer seien höchst unzufrieden<lb/> gewesen mit dieser Maßregel; wir können als Augenzeugen mit gutem Ge¬<lb/> wissen das Gegentheil behaupten. Viele Bojaren entsagten der versprochenen<lb/> Entschädigung unter der Bedingung, daß ihre früheren Leibeigenen eine Reihe<lb/> von Jahren abgabenfrei bleiben müßten. Wenn nicht alle diesem Beispiel<lb/> folgten, so verdienten sie deshalb noch nicht den ihnen gemachten Vorwurf,<lb/> mit Menschenfleisch zu handeln; manche kleine Bojarenfamilie besaß kein an¬<lb/> deres Vermögen als eben nur einige Zigeunerfamilien, und eS wäre schwer</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0036]
dem Reisenden schon von weitem, wo sie ihr Lager aufgeschlagen. Unstet
ziehen sie im Lande umher, selten graben sie ihre Erdhütten für den Winter
da, wo im Sommer die Zelte gestanden. Ein Zug solcher Zigeuner zu einer
neuen Winteransiedluug hat etwas Ueberraschendes für den, der ihn zum
ersten Mal sieht. Gewöhnlich sind einige sehr hohe vierrädrige Karren von
eigenthümlicher Form dabei, von einem mageren Pferde ohne Halfter und
mehren halbnackten Männern gezogen; schwarzgestreifte wollene Zeltdecken und
schmuziges Gepäck füllen den Korb des Karrens; oben thront ein alles Weib
mit entblößter Brust, wie denn überhaupt die Zigeunerinnen eS nie für nö¬
thig halten, den Busen zu bedecken. Um die Alte herum liegen einige nackte
Kinder, die bei kalter Witterung nur die Köpfe unter den Decken hervorstecken.
Oft sitzt noch ein junges Weib mit einem Säugling an der Brust mit da oben,
und häßlich ist es selten; so lange die Jugendfrische dauert, sind diese Zigeu¬
nerinnen mit ihren großen schwarzen Augen oft von anziehender Schönheit.
Männer folgen dem Zuge mit Zeltstangen auf Veit Schultern, Kinder treiben
Schweine an Hanfschnüren vor sich her, Greise und Weiber schleppen Säcke
mit Kukuruzmehl und sonstigen Lebensmitteln. Keine lebhafte Farbe, als
vielleicht hin und wieder ein rother türkischer Feß mit blauer Seibenauaste
oder ein gelbes Tuch, daS sich ein Weib turbanartig um den Kopf gewunden,
blendet das Auge, und doch überrascht das Wilde, Malerische eines solchen Zuges.
Schon unter der Regierung deS Fürsten Michael Sturdza im Anfange
der vierziger Jahre wurde der Anfang zur Aufhebung der Leibeigenschaft der
Zigeuner gemacht. Die der Regierung und den Klöstern gehörigen Zigeuner
wurden für frei erklärt, und der Ertrag der von den Freien zu bezahlenden
Kopfsteuer sollte dazu dienen, die Leibeigenen der Bojaren loszukaufen. Es
kamen auf diesem Wege nicht unbedeutende Summen ein — dieselben wurden
jedoch nur in seltenen Fällen zu dem ursprünglich bestimmten Zweck verwandt,
und die in Aussicht gestellte, allgemeine Befreiung machte nur unbedeutende
Fortschritte. Da entschloß sich endlich vor zwei Jahren der Hospodar Gregor
Ghika zu einer durchgreifenderen Maßregel: er decretirte die Aufhebung der
Leibeigenschaft und sicherte den Besitzern von Zigeunern eine von der Regierung
allmälig abzutragende Entschädigung. Es entstand damals das auch in deut¬
sche Zeitungen übergegangene Gerücht, die Moldauer seien höchst unzufrieden
gewesen mit dieser Maßregel; wir können als Augenzeugen mit gutem Ge¬
wissen das Gegentheil behaupten. Viele Bojaren entsagten der versprochenen
Entschädigung unter der Bedingung, daß ihre früheren Leibeigenen eine Reihe
von Jahren abgabenfrei bleiben müßten. Wenn nicht alle diesem Beispiel
folgten, so verdienten sie deshalb noch nicht den ihnen gemachten Vorwurf,
mit Menschenfleisch zu handeln; manche kleine Bojarenfamilie besaß kein an¬
deres Vermögen als eben nur einige Zigeunerfamilien, und eS wäre schwer
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