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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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bekannt waren, Brouillonö, welche über seine Factur Auskunft gaben, waren
ihm ein Fund, über den er manche Widerwärtigkeiten vergaß, und er trieb
diese Arbeit mit einem Enthusiasmus, der auch seine jüngern Schüler ergriff.
Wenn er zuerst zu einem gründlichern Studium der Neuplatoniker, deren
Eklekticismus in vieler Beziehung an seine eigne Schule erinnerte, und der
Philosophen des Mittelalters aufmunterte, so concentrirt sich später seine
Hauptthätigkeit auf daS -17. Jahrhundert, und sür dieses hat er Vorstudien
gemacht, die der spätere Bearbeiter kaum noch wird übertreffen können. Freilich
ist das historische Talent Cousins geringer, als sein philologisches. Seine
Schilderungen aus dem -17. Jahrhundert zeichnen sich durch eine Fülle von
Notizen und durch feine Apercus aus. Eine zusammenhängende Darstellung
ist ihm nicht gelungen. Schon der Gesichtspunkt, von dem er ausgeht, ist
nicht der objectiv historische. Nachdem er ursprünglich die schottische, dann die
deutsche, dann die griechisch-alerandrinische Philosophie studirt hatte, begann
er 1834 seine Ausgabe des Cartesius, der bald sein Liebling wurde, zum Theil
weil er ein Franzose war, und weil durch den Anschluß an ihn die Philosophie
der Zukunft sich zugleich als eine nationale und patriotische Philosophie dar¬
stellen konnte. An Cartesius knüpfte sich die Schule der -Jansenisten, so wie
die italienischen Philosophen deS -17. Jahrhunderts, die der herrschenden
Hierarchie zum Opfer gefallen waren: Vanini, Bruno !c. Cousin hat über
alle diese Männer interessante Studien gegeben, die später durch seine Schüler
vervollständigt und in vielen Punkten verbessert sind. Die Reflcrion ist zu¬
weilen selbstgefälliger als nöthig, aber die Darstellung ist" sehr unterhaltend;
die Aufzählung der Thatsachen gründet sich auf sorgfältige Untersuchungen,
und nicht blos der politisch-religiöse Liberalismus, nicht blos das Interesse an
der allgemeinen Bildung, sondern ein edles Gefühl der Humanität tritt überall
erfreulich an den Tag. In der Abhandlung über Lanini ->8i3 wird der
Gegensatz zwischen dem 16. und -17. Jahrhundert fein charaklerisin. "Das
"!6. Jahrhundert ist ein Zeitalter der Revolution; es bricht mit dem Mittel¬
alter, es sucht mühsam und ängstlich und sieht das gelobte Land nur von
weitem. Es erschöpft sich in seinen Anstrengungen, ohne das ersehnte Ziel zu
"reichen. Das -17. Jahrhundert, vollständig befreit, hat mit dem Mittelalter
nichts mehr gemein; aber ebenso scheidet es sich von seiner unmittelbaren
Vergangenheit. An Stelle des unruhigen Ungestüms setzt es eine geregelte
Energie, die ihr Ziel kennt und mit Ordnung darauf zugeht. Der Verstand
und die Mäßigung überwachen alle Arbeiten, die von einer Solidität und
Schönheit sind, daß sie der Einwirkung der Zeiten trotzen. Um sich mit voll¬
kommener Freiheit zu entfalten, bedarf der Genius einer festen und anerkannten
Ordnung der Dinge, die ihn inspirirt und deren Vertreter er ist. Ohne diese
bewegt sich auch die mächtigste Imagination im Leeren, und ihre Schöpfungen


Grenzbote" III, I8k>7. 4j,

bekannt waren, Brouillonö, welche über seine Factur Auskunft gaben, waren
ihm ein Fund, über den er manche Widerwärtigkeiten vergaß, und er trieb
diese Arbeit mit einem Enthusiasmus, der auch seine jüngern Schüler ergriff.
Wenn er zuerst zu einem gründlichern Studium der Neuplatoniker, deren
Eklekticismus in vieler Beziehung an seine eigne Schule erinnerte, und der
Philosophen des Mittelalters aufmunterte, so concentrirt sich später seine
Hauptthätigkeit auf daS -17. Jahrhundert, und sür dieses hat er Vorstudien
gemacht, die der spätere Bearbeiter kaum noch wird übertreffen können. Freilich
ist das historische Talent Cousins geringer, als sein philologisches. Seine
Schilderungen aus dem -17. Jahrhundert zeichnen sich durch eine Fülle von
Notizen und durch feine Apercus aus. Eine zusammenhängende Darstellung
ist ihm nicht gelungen. Schon der Gesichtspunkt, von dem er ausgeht, ist
nicht der objectiv historische. Nachdem er ursprünglich die schottische, dann die
deutsche, dann die griechisch-alerandrinische Philosophie studirt hatte, begann
er 1834 seine Ausgabe des Cartesius, der bald sein Liebling wurde, zum Theil
weil er ein Franzose war, und weil durch den Anschluß an ihn die Philosophie
der Zukunft sich zugleich als eine nationale und patriotische Philosophie dar¬
stellen konnte. An Cartesius knüpfte sich die Schule der -Jansenisten, so wie
die italienischen Philosophen deS -17. Jahrhunderts, die der herrschenden
Hierarchie zum Opfer gefallen waren: Vanini, Bruno !c. Cousin hat über
alle diese Männer interessante Studien gegeben, die später durch seine Schüler
vervollständigt und in vielen Punkten verbessert sind. Die Reflcrion ist zu¬
weilen selbstgefälliger als nöthig, aber die Darstellung ist» sehr unterhaltend;
die Aufzählung der Thatsachen gründet sich auf sorgfältige Untersuchungen,
und nicht blos der politisch-religiöse Liberalismus, nicht blos das Interesse an
der allgemeinen Bildung, sondern ein edles Gefühl der Humanität tritt überall
erfreulich an den Tag. In der Abhandlung über Lanini ->8i3 wird der
Gegensatz zwischen dem 16. und -17. Jahrhundert fein charaklerisin. „Das
"!6. Jahrhundert ist ein Zeitalter der Revolution; es bricht mit dem Mittel¬
alter, es sucht mühsam und ängstlich und sieht das gelobte Land nur von
weitem. Es erschöpft sich in seinen Anstrengungen, ohne das ersehnte Ziel zu
"reichen. Das -17. Jahrhundert, vollständig befreit, hat mit dem Mittelalter
nichts mehr gemein; aber ebenso scheidet es sich von seiner unmittelbaren
Vergangenheit. An Stelle des unruhigen Ungestüms setzt es eine geregelte
Energie, die ihr Ziel kennt und mit Ordnung darauf zugeht. Der Verstand
und die Mäßigung überwachen alle Arbeiten, die von einer Solidität und
Schönheit sind, daß sie der Einwirkung der Zeiten trotzen. Um sich mit voll¬
kommener Freiheit zu entfalten, bedarf der Genius einer festen und anerkannten
Ordnung der Dinge, die ihn inspirirt und deren Vertreter er ist. Ohne diese
bewegt sich auch die mächtigste Imagination im Leeren, und ihre Schöpfungen


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[0353] bekannt waren, Brouillonö, welche über seine Factur Auskunft gaben, waren ihm ein Fund, über den er manche Widerwärtigkeiten vergaß, und er trieb diese Arbeit mit einem Enthusiasmus, der auch seine jüngern Schüler ergriff. Wenn er zuerst zu einem gründlichern Studium der Neuplatoniker, deren Eklekticismus in vieler Beziehung an seine eigne Schule erinnerte, und der Philosophen des Mittelalters aufmunterte, so concentrirt sich später seine Hauptthätigkeit auf daS -17. Jahrhundert, und sür dieses hat er Vorstudien gemacht, die der spätere Bearbeiter kaum noch wird übertreffen können. Freilich ist das historische Talent Cousins geringer, als sein philologisches. Seine Schilderungen aus dem -17. Jahrhundert zeichnen sich durch eine Fülle von Notizen und durch feine Apercus aus. Eine zusammenhängende Darstellung ist ihm nicht gelungen. Schon der Gesichtspunkt, von dem er ausgeht, ist nicht der objectiv historische. Nachdem er ursprünglich die schottische, dann die deutsche, dann die griechisch-alerandrinische Philosophie studirt hatte, begann er 1834 seine Ausgabe des Cartesius, der bald sein Liebling wurde, zum Theil weil er ein Franzose war, und weil durch den Anschluß an ihn die Philosophie der Zukunft sich zugleich als eine nationale und patriotische Philosophie dar¬ stellen konnte. An Cartesius knüpfte sich die Schule der -Jansenisten, so wie die italienischen Philosophen deS -17. Jahrhunderts, die der herrschenden Hierarchie zum Opfer gefallen waren: Vanini, Bruno !c. Cousin hat über alle diese Männer interessante Studien gegeben, die später durch seine Schüler vervollständigt und in vielen Punkten verbessert sind. Die Reflcrion ist zu¬ weilen selbstgefälliger als nöthig, aber die Darstellung ist» sehr unterhaltend; die Aufzählung der Thatsachen gründet sich auf sorgfältige Untersuchungen, und nicht blos der politisch-religiöse Liberalismus, nicht blos das Interesse an der allgemeinen Bildung, sondern ein edles Gefühl der Humanität tritt überall erfreulich an den Tag. In der Abhandlung über Lanini ->8i3 wird der Gegensatz zwischen dem 16. und -17. Jahrhundert fein charaklerisin. „Das "!6. Jahrhundert ist ein Zeitalter der Revolution; es bricht mit dem Mittel¬ alter, es sucht mühsam und ängstlich und sieht das gelobte Land nur von weitem. Es erschöpft sich in seinen Anstrengungen, ohne das ersehnte Ziel zu "reichen. Das -17. Jahrhundert, vollständig befreit, hat mit dem Mittelalter nichts mehr gemein; aber ebenso scheidet es sich von seiner unmittelbaren Vergangenheit. An Stelle des unruhigen Ungestüms setzt es eine geregelte Energie, die ihr Ziel kennt und mit Ordnung darauf zugeht. Der Verstand und die Mäßigung überwachen alle Arbeiten, die von einer Solidität und Schönheit sind, daß sie der Einwirkung der Zeiten trotzen. Um sich mit voll¬ kommener Freiheit zu entfalten, bedarf der Genius einer festen und anerkannten Ordnung der Dinge, die ihn inspirirt und deren Vertreter er ist. Ohne diese bewegt sich auch die mächtigste Imagination im Leeren, und ihre Schöpfungen Grenzbote» III, I8k>7. 4j,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/353>, abgerufen am 12.12.2024.