Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.consequent festgehaltenen Zweck dient, während ein gewöhnlicher Tyrann von Damit hängt der zweite Vorwurf der Gemüthlosigkeit zusammen. Ein consequent festgehaltenen Zweck dient, während ein gewöhnlicher Tyrann von Damit hängt der zweite Vorwurf der Gemüthlosigkeit zusammen. Ein <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0034" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/104235"/> <p xml:id="ID_79" prev="#ID_78"> consequent festgehaltenen Zweck dient, während ein gewöhnlicher Tyrann von<lb/> seinen Launen abhängig ist und die Welt von seinen Launen abhängig macht.<lb/> Freilich ist die Willenskraft eines großen Mannes, die ihm eine Welt unter¬<lb/> wirft', auch da vorhanden, wo eine so große Anstrengung nicht nöthig wäre,<lb/> und so widerfährt es ihm zuweilen, daß er seine Kraft mißbraucht. Aber<lb/> nach einzelnen Ausnahmefällen darf man ein Bild nicht entwerfen, und man<lb/> muß vollständig blind sein, um Friedrich einen Willkürherrscher im gewöhnlichen<lb/> Sinn zu nennen. Wer ihn aber erst aus Macaulay kennen lernen wollte,<lb/> hält ihn nothgedrungen für einen zweiten Caligula. Macaulay declamirt über<lb/> die Müller- Arnoldsche Geschichte, die wir gewiß nicht loben wollen; er vergißt<lb/> aber dabei die Mühle von Sanssouci und Aehnliches, was doch auch zur<lb/> Sache gehört. Ja selbst jene Geschichte zeigt, daß Friedrich eigentlich kein<lb/> Tyrann war. Sein Eingriff in die Justiz war eine Maßregel der Willkür,<lb/> aber unter einem Tyrannen würde die Aristokratie es nicht gewagt haben,<lb/> offen auf die Seite der abgesetzten Magistrate zu treten. Von den entsetzlichen<lb/> Folgen, die diese Geschichte nach Macaulay für das ganze Rechtssystem des<lb/> Landes gehabt haben soll, ist uns übrigens nichts bekannt; es ist eine bloße<lb/> Phantasie. Einen König einen Tyrannen zu schelten, der nicht blos während<lb/> des Krieges, sondern in 23 darauf folgenden Friedensjahren vom gesammten<lb/> Volk angebetet wurde, — das ist auch aus artistischen Gründen nicht hin¬<lb/> reichend motivirt.</p><lb/> <p xml:id="ID_80" next="#ID_81"> Damit hängt der zweite Vorwurf der Gemüthlosigkeit zusammen. Ein<lb/> weiches Gemüth war Friedrich wirklich nicht; ein großer Mann ist es selten.<lb/> Aus seinen poetischen Stilübungen darf man seinen Charakter nicht herleiten.<lb/> Friedrich war strenge, unerbittlich, mitunter selbst hart. Ein anderer Mann<lb/> hätte den preußischen Staat nicht gegründet. Freilich machte es ihm auch zu¬<lb/> weilen Vergnügen, seine Umgebungen, namentlich wenn er sie nicht achtete,<lb/> zu necken und zu ärgern, und es war nicht ganz sicher, dem König mit glei¬<lb/> cher Münze zu vergelten. Aber abgesehen von einzelnen Ausnahmen, wo er<lb/> wirklich und ernsthaft achtete, ist denn in der humoristischen Art und Weise,<lb/> wie er mit seinem Heer und seinem Volk verkehrte, keine Gemüthlichkeit, na¬<lb/> mentlich da er eS nicht bei Worten bewenden ließ, sondern ernstlich und durch¬<lb/> greifend half, wo er helfen konnte? Außer der Geschichte mit Voltaire gibt<lb/> auch Macaulay keine einzige Thatsache für seine Gemüthlosigkeit an; aber er<lb/> wiederholt die Behauptung so häufig und so geschickt, daß man zuletzt irre<lb/> wird und glaubt, er habe wirklich die haarsträubendsten Beweise geliefert. —<lb/> Von der Fratze, die Macaulay aus Friedrich Wilhelm I. gemacht hat, wollen<lb/> wir gar nicht reden. Was er erzählt, ist meistens richtig, wenn auch in der<lb/> Form übertrieben; aber er vergißt ganz und gar, daß die Geschichte in einer<lb/> Zeit spielt, deren Sitten von den unsrigen himmelweit abweichen. In Deutsch,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0034]
consequent festgehaltenen Zweck dient, während ein gewöhnlicher Tyrann von
seinen Launen abhängig ist und die Welt von seinen Launen abhängig macht.
Freilich ist die Willenskraft eines großen Mannes, die ihm eine Welt unter¬
wirft', auch da vorhanden, wo eine so große Anstrengung nicht nöthig wäre,
und so widerfährt es ihm zuweilen, daß er seine Kraft mißbraucht. Aber
nach einzelnen Ausnahmefällen darf man ein Bild nicht entwerfen, und man
muß vollständig blind sein, um Friedrich einen Willkürherrscher im gewöhnlichen
Sinn zu nennen. Wer ihn aber erst aus Macaulay kennen lernen wollte,
hält ihn nothgedrungen für einen zweiten Caligula. Macaulay declamirt über
die Müller- Arnoldsche Geschichte, die wir gewiß nicht loben wollen; er vergißt
aber dabei die Mühle von Sanssouci und Aehnliches, was doch auch zur
Sache gehört. Ja selbst jene Geschichte zeigt, daß Friedrich eigentlich kein
Tyrann war. Sein Eingriff in die Justiz war eine Maßregel der Willkür,
aber unter einem Tyrannen würde die Aristokratie es nicht gewagt haben,
offen auf die Seite der abgesetzten Magistrate zu treten. Von den entsetzlichen
Folgen, die diese Geschichte nach Macaulay für das ganze Rechtssystem des
Landes gehabt haben soll, ist uns übrigens nichts bekannt; es ist eine bloße
Phantasie. Einen König einen Tyrannen zu schelten, der nicht blos während
des Krieges, sondern in 23 darauf folgenden Friedensjahren vom gesammten
Volk angebetet wurde, — das ist auch aus artistischen Gründen nicht hin¬
reichend motivirt.
Damit hängt der zweite Vorwurf der Gemüthlosigkeit zusammen. Ein
weiches Gemüth war Friedrich wirklich nicht; ein großer Mann ist es selten.
Aus seinen poetischen Stilübungen darf man seinen Charakter nicht herleiten.
Friedrich war strenge, unerbittlich, mitunter selbst hart. Ein anderer Mann
hätte den preußischen Staat nicht gegründet. Freilich machte es ihm auch zu¬
weilen Vergnügen, seine Umgebungen, namentlich wenn er sie nicht achtete,
zu necken und zu ärgern, und es war nicht ganz sicher, dem König mit glei¬
cher Münze zu vergelten. Aber abgesehen von einzelnen Ausnahmen, wo er
wirklich und ernsthaft achtete, ist denn in der humoristischen Art und Weise,
wie er mit seinem Heer und seinem Volk verkehrte, keine Gemüthlichkeit, na¬
mentlich da er eS nicht bei Worten bewenden ließ, sondern ernstlich und durch¬
greifend half, wo er helfen konnte? Außer der Geschichte mit Voltaire gibt
auch Macaulay keine einzige Thatsache für seine Gemüthlosigkeit an; aber er
wiederholt die Behauptung so häufig und so geschickt, daß man zuletzt irre
wird und glaubt, er habe wirklich die haarsträubendsten Beweise geliefert. —
Von der Fratze, die Macaulay aus Friedrich Wilhelm I. gemacht hat, wollen
wir gar nicht reden. Was er erzählt, ist meistens richtig, wenn auch in der
Form übertrieben; aber er vergißt ganz und gar, daß die Geschichte in einer
Zeit spielt, deren Sitten von den unsrigen himmelweit abweichen. In Deutsch,
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