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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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Oder soll das nicht übertrieben sein? Erzählt er nicht die Schlachten deS
siebenjährigen Krieges? Analysirt er nicht daS militärische Talent seines
Helden, daS sich im Unglück am glänzendsten bewährt, auf eine meisterhafte
Weise? -- Er thut es, aber er gruppirt die Thatsachen so, daß die Schlachten
des siebenjährigen Krieges als die Nebensache, die Oden dagegen und die
Episteln, so wie die ästhetischen Thees zu Sanssouci als die Hauptsache er¬
scheinen. Und damit nicht genug, mitten in seinen Schlachtgemälden geberdet
er-sich zuweilen, als ob er der College Gellerts in der Professur der Moral
zu Leipzig wäre, oder ein Quäker, ein Apostel der Friedensfreunde, ein Elihu
Bnrrit mit dem Oelblatt. Der Biograph von Lord Clive verbreitet sich weit¬
läufig über die Moralität der Eroberungen. Alexander von Makedonien,
Hannibal, Karl der Franke, Napoleon w. haben auch an das Elend nicht ge¬
dacht, welches ihre Ruhmsucht über die Völker verbreitete; die Geschichte nennt
sie groß, aber nach Gellerts Moral kommen sie nicht in den Himmel. Es ist
ganz unglaublich, wie weit daS geht. Daß Macaulay den ersten schlestschen
Krieg verdammt, -- von einem Mitglied deS Ministeriums, welches die in¬
dischen Kriege führte, sieht eS spaßhaft genug aus, aber wir lassen eS uns ge¬
fallen, denn die Rechtsfrage ist nicht zu umgehen. Aber mitten im sieben¬
jährigen Kriege fängt er an zu predigen. So und so viel Tausende fallen zu
seiner Seite, der entsetzliche Mensch läßt nicht nach! Die Dörfer werden ver¬
brannt, die Städte geplündert, der Kaufmann GorzkowSki verliert sein Ver¬
mögen, und der Tiger läßt seine Beute nicht loSN Das Geld ist zu Ende,
man findet fast keine Recruten mehr, und diese eiserne Hand packt doch noch
immer fest die schlesische Eroberung!!!

In einem Roman würde das alles sich ganz herrlich ausnehmen, bei
einem historischen Versuch muß man aber doch einigermaßen den Kopf darüber
schütteln. Das sind indeß Nebensachen; denn die Facta werden nicht alterirt,
und wie man darüber zu empfinden hat, das möge jeder mit sich selbst aus¬
machen. Bedenklicher ist indeß ein anderer Theil seiner Methode.

Wir bemerkten vorher, daß er sehr geschickt die Thatsachen gruppirt, die
zu seiner Beleuchtung passen. Darin ist er unzweifelhaft in seinem Recht.
Aber er läßt zugleich diejenigen Thatsachen aus, die dazu nicht passen, und
dagegen müssen wir uns verwahren.

Durch seine ganze Darstellung geht die Idee, Friedrich sei einer der furcht¬
barsten Tyrannen der Weltgeschichte gewesen. Wenn man denjenigen einen
Tyrannen nennt, der seinen Willen durchsetzt, gleich viel was für Hindernisse
ihm entgegenstehen, so war Friedrich gewiß ein Tyrann. Die meisten großen
Männer sind es. Aber von dem, was man gewöhnlich einen Tyrannen nennt,
unterscheiden sich die großen Männer dadurch, daß sie sich selbst ebenso be¬
herrschen wie die andern, daß die Macht ihres Willens einem vernünftigen,


Grenzboten III. 18K7. 4

Oder soll das nicht übertrieben sein? Erzählt er nicht die Schlachten deS
siebenjährigen Krieges? Analysirt er nicht daS militärische Talent seines
Helden, daS sich im Unglück am glänzendsten bewährt, auf eine meisterhafte
Weise? — Er thut es, aber er gruppirt die Thatsachen so, daß die Schlachten
des siebenjährigen Krieges als die Nebensache, die Oden dagegen und die
Episteln, so wie die ästhetischen Thees zu Sanssouci als die Hauptsache er¬
scheinen. Und damit nicht genug, mitten in seinen Schlachtgemälden geberdet
er-sich zuweilen, als ob er der College Gellerts in der Professur der Moral
zu Leipzig wäre, oder ein Quäker, ein Apostel der Friedensfreunde, ein Elihu
Bnrrit mit dem Oelblatt. Der Biograph von Lord Clive verbreitet sich weit¬
läufig über die Moralität der Eroberungen. Alexander von Makedonien,
Hannibal, Karl der Franke, Napoleon w. haben auch an das Elend nicht ge¬
dacht, welches ihre Ruhmsucht über die Völker verbreitete; die Geschichte nennt
sie groß, aber nach Gellerts Moral kommen sie nicht in den Himmel. Es ist
ganz unglaublich, wie weit daS geht. Daß Macaulay den ersten schlestschen
Krieg verdammt, — von einem Mitglied deS Ministeriums, welches die in¬
dischen Kriege führte, sieht eS spaßhaft genug aus, aber wir lassen eS uns ge¬
fallen, denn die Rechtsfrage ist nicht zu umgehen. Aber mitten im sieben¬
jährigen Kriege fängt er an zu predigen. So und so viel Tausende fallen zu
seiner Seite, der entsetzliche Mensch läßt nicht nach! Die Dörfer werden ver¬
brannt, die Städte geplündert, der Kaufmann GorzkowSki verliert sein Ver¬
mögen, und der Tiger läßt seine Beute nicht loSN Das Geld ist zu Ende,
man findet fast keine Recruten mehr, und diese eiserne Hand packt doch noch
immer fest die schlesische Eroberung!!!

In einem Roman würde das alles sich ganz herrlich ausnehmen, bei
einem historischen Versuch muß man aber doch einigermaßen den Kopf darüber
schütteln. Das sind indeß Nebensachen; denn die Facta werden nicht alterirt,
und wie man darüber zu empfinden hat, das möge jeder mit sich selbst aus¬
machen. Bedenklicher ist indeß ein anderer Theil seiner Methode.

Wir bemerkten vorher, daß er sehr geschickt die Thatsachen gruppirt, die
zu seiner Beleuchtung passen. Darin ist er unzweifelhaft in seinem Recht.
Aber er läßt zugleich diejenigen Thatsachen aus, die dazu nicht passen, und
dagegen müssen wir uns verwahren.

Durch seine ganze Darstellung geht die Idee, Friedrich sei einer der furcht¬
barsten Tyrannen der Weltgeschichte gewesen. Wenn man denjenigen einen
Tyrannen nennt, der seinen Willen durchsetzt, gleich viel was für Hindernisse
ihm entgegenstehen, so war Friedrich gewiß ein Tyrann. Die meisten großen
Männer sind es. Aber von dem, was man gewöhnlich einen Tyrannen nennt,
unterscheiden sich die großen Männer dadurch, daß sie sich selbst ebenso be¬
herrschen wie die andern, daß die Macht ihres Willens einem vernünftigen,


Grenzboten III. 18K7. 4
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/33>, abgerufen am 03.07.2024.