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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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Die Stellung der einzelnen Mächte zu dieser Frage ist jetzt ziemlich klar
geworden. Rußland will die Vereinigung der Moldau und Walachei unter
einem christlichen Prinzen. Es wird wahrscheinlich mit großer Festigkeit darauf
bestehen, daß dieser Fürst die griechische Religion annehme, weil in solchem
Fall el" religiöser und bald ein Familienanschluß an Rußland unvermeidlich
wäre. Oestreich will die Vereinigung der Fürstenthümer nicht, weil jeder, auch
der schwächste Staatsbäu am Ausfluß der Donau die östreichischen Hoffnungen
auf die Fürstenthümer gefährdet. England will die Vereinigung nicht, weil
Lord Nedcliffe jeden Plan haßt, welcher seinem Vasallen und Clienten, der
Pforte, schaden müßte.

Preußen will die Vereinigung, weil Nußland sie wünscht und Oestreich
sie nicht will, und es wird schwer auszumachen sei", welches Motiv vorzugs¬
weise bestimmt hat. Nur eins ist sicher, daß die preußische Diplomatie in
ihrer Parteinahme grade nicht durch diejenige Politik bestimmt worden ist,
welche einen entschlossenen Staatsmann im gegenwärtigen Stadium der orien¬
talischen Frage allerdings auch für die Vereinigung hätte arbeiten lassen. Diese
Politik hier auseinanderzusetzen, wäre ebenso harmlos als unnütz, ihr Grund¬
gedanke würde Oestreich gegenüber kurz formulirt so lauten: für Preußen die
Herzogthümer, für Oestreich die Fürstenthümer. Zug um Zug.

Sardinien steht in der orientalischen Frage natürlich auf Seiten Frank¬
reichs. Die französische Politik aber, so weil dieselbe durch den Willen des
Kaisers bestimmt wird, wird am verschiedensten beurtheilt.

ES ist nicht vorzugsweise die Abneigung gegen Oestreichs Wünsche, in
Italien und am schwarzen Meere, obgleich Oestreichs Politik nach den inspi-
rirter Andeutungen der französischen Presse dem Kaiser keinerlei Hochachtung
und Zuneigung eingeflößt hat; es ist auch nicht vorzugsweise daS Bestreben,
Rußland zu verpflichten, obgleich der Kaiser mehrfach versucht worden ist, über
das englische Bündniß hinweg an ein russisches zu denken; sondern der letzte
Grund in der Politik des Kaisers scheint eine Lieblingsidee, welche auf alle
seine Actionen Einfluß hat, der Plan einer friedlichen Revision der
Karte von Europa durch einen europäischen Kongreß. Ueber die
Herzogthümer, über Italien, über die Türkei soll durch einen Rath der Gro߬
mächte entschieden werden, als dessen Vorsitzenden er sich selbst betrachten
möchte. Es war sein Wunsch, bei dem pariser Friede" eine solche Revision
durchzusetzen, und dabei alle schwebenden Fragen zu erledigen. Damals
scheiterte der kühne Plan an dem Widerstände Englands, welches vorstellte, daß
England für sich selbst dabei nichts erhalten könne, und Frankreich nichts er¬
halten dürfe. Die Bedenken seines Bu"desge"osse" und das Mißtrauen der
Meisten übrigen Regierungen bestimmten den Kaiser, diesen Plan als unzweck¬
mäßig bei Seite zu legen, aber aufgegeben ist er deshalb nicht. -- Und in


41 *

Die Stellung der einzelnen Mächte zu dieser Frage ist jetzt ziemlich klar
geworden. Rußland will die Vereinigung der Moldau und Walachei unter
einem christlichen Prinzen. Es wird wahrscheinlich mit großer Festigkeit darauf
bestehen, daß dieser Fürst die griechische Religion annehme, weil in solchem
Fall el» religiöser und bald ein Familienanschluß an Rußland unvermeidlich
wäre. Oestreich will die Vereinigung der Fürstenthümer nicht, weil jeder, auch
der schwächste Staatsbäu am Ausfluß der Donau die östreichischen Hoffnungen
auf die Fürstenthümer gefährdet. England will die Vereinigung nicht, weil
Lord Nedcliffe jeden Plan haßt, welcher seinem Vasallen und Clienten, der
Pforte, schaden müßte.

Preußen will die Vereinigung, weil Nußland sie wünscht und Oestreich
sie nicht will, und es wird schwer auszumachen sei», welches Motiv vorzugs¬
weise bestimmt hat. Nur eins ist sicher, daß die preußische Diplomatie in
ihrer Parteinahme grade nicht durch diejenige Politik bestimmt worden ist,
welche einen entschlossenen Staatsmann im gegenwärtigen Stadium der orien¬
talischen Frage allerdings auch für die Vereinigung hätte arbeiten lassen. Diese
Politik hier auseinanderzusetzen, wäre ebenso harmlos als unnütz, ihr Grund¬
gedanke würde Oestreich gegenüber kurz formulirt so lauten: für Preußen die
Herzogthümer, für Oestreich die Fürstenthümer. Zug um Zug.

Sardinien steht in der orientalischen Frage natürlich auf Seiten Frank¬
reichs. Die französische Politik aber, so weil dieselbe durch den Willen des
Kaisers bestimmt wird, wird am verschiedensten beurtheilt.

ES ist nicht vorzugsweise die Abneigung gegen Oestreichs Wünsche, in
Italien und am schwarzen Meere, obgleich Oestreichs Politik nach den inspi-
rirter Andeutungen der französischen Presse dem Kaiser keinerlei Hochachtung
und Zuneigung eingeflößt hat; es ist auch nicht vorzugsweise daS Bestreben,
Rußland zu verpflichten, obgleich der Kaiser mehrfach versucht worden ist, über
das englische Bündniß hinweg an ein russisches zu denken; sondern der letzte
Grund in der Politik des Kaisers scheint eine Lieblingsidee, welche auf alle
seine Actionen Einfluß hat, der Plan einer friedlichen Revision der
Karte von Europa durch einen europäischen Kongreß. Ueber die
Herzogthümer, über Italien, über die Türkei soll durch einen Rath der Gro߬
mächte entschieden werden, als dessen Vorsitzenden er sich selbst betrachten
möchte. Es war sein Wunsch, bei dem pariser Friede» eine solche Revision
durchzusetzen, und dabei alle schwebenden Fragen zu erledigen. Damals
scheiterte der kühne Plan an dem Widerstände Englands, welches vorstellte, daß
England für sich selbst dabei nichts erhalten könne, und Frankreich nichts er¬
halten dürfe. Die Bedenken seines Bu»desge»osse» und das Mißtrauen der
Meisten übrigen Regierungen bestimmten den Kaiser, diesen Plan als unzweck¬
mäßig bei Seite zu legen, aber aufgegeben ist er deshalb nicht. — Und in


41 *
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[0331] Die Stellung der einzelnen Mächte zu dieser Frage ist jetzt ziemlich klar geworden. Rußland will die Vereinigung der Moldau und Walachei unter einem christlichen Prinzen. Es wird wahrscheinlich mit großer Festigkeit darauf bestehen, daß dieser Fürst die griechische Religion annehme, weil in solchem Fall el» religiöser und bald ein Familienanschluß an Rußland unvermeidlich wäre. Oestreich will die Vereinigung der Fürstenthümer nicht, weil jeder, auch der schwächste Staatsbäu am Ausfluß der Donau die östreichischen Hoffnungen auf die Fürstenthümer gefährdet. England will die Vereinigung nicht, weil Lord Nedcliffe jeden Plan haßt, welcher seinem Vasallen und Clienten, der Pforte, schaden müßte. Preußen will die Vereinigung, weil Nußland sie wünscht und Oestreich sie nicht will, und es wird schwer auszumachen sei», welches Motiv vorzugs¬ weise bestimmt hat. Nur eins ist sicher, daß die preußische Diplomatie in ihrer Parteinahme grade nicht durch diejenige Politik bestimmt worden ist, welche einen entschlossenen Staatsmann im gegenwärtigen Stadium der orien¬ talischen Frage allerdings auch für die Vereinigung hätte arbeiten lassen. Diese Politik hier auseinanderzusetzen, wäre ebenso harmlos als unnütz, ihr Grund¬ gedanke würde Oestreich gegenüber kurz formulirt so lauten: für Preußen die Herzogthümer, für Oestreich die Fürstenthümer. Zug um Zug. Sardinien steht in der orientalischen Frage natürlich auf Seiten Frank¬ reichs. Die französische Politik aber, so weil dieselbe durch den Willen des Kaisers bestimmt wird, wird am verschiedensten beurtheilt. ES ist nicht vorzugsweise die Abneigung gegen Oestreichs Wünsche, in Italien und am schwarzen Meere, obgleich Oestreichs Politik nach den inspi- rirter Andeutungen der französischen Presse dem Kaiser keinerlei Hochachtung und Zuneigung eingeflößt hat; es ist auch nicht vorzugsweise daS Bestreben, Rußland zu verpflichten, obgleich der Kaiser mehrfach versucht worden ist, über das englische Bündniß hinweg an ein russisches zu denken; sondern der letzte Grund in der Politik des Kaisers scheint eine Lieblingsidee, welche auf alle seine Actionen Einfluß hat, der Plan einer friedlichen Revision der Karte von Europa durch einen europäischen Kongreß. Ueber die Herzogthümer, über Italien, über die Türkei soll durch einen Rath der Gro߬ mächte entschieden werden, als dessen Vorsitzenden er sich selbst betrachten möchte. Es war sein Wunsch, bei dem pariser Friede» eine solche Revision durchzusetzen, und dabei alle schwebenden Fragen zu erledigen. Damals scheiterte der kühne Plan an dem Widerstände Englands, welches vorstellte, daß England für sich selbst dabei nichts erhalten könne, und Frankreich nichts er¬ halten dürfe. Die Bedenken seines Bu»desge»osse» und das Mißtrauen der Meisten übrigen Regierungen bestimmten den Kaiser, diesen Plan als unzweck¬ mäßig bei Seite zu legen, aber aufgegeben ist er deshalb nicht. — Und in 41 *

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/331>, abgerufen am 03.07.2024.