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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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nicht mehr dazu bestimmt, die Courtoiste und die feinen Formen des fürstlichen
Familienverkehrö zu repräsentiren, ja sie sind in der Negel nicht viel mehr als
politische Agenten und Briefbesteller und ihre Selbstständigkeit und Autorität
hat schwer darunter gelitten, daß der Telegraph ihnen Gelegenheit gibt, jede
Stunde wegen der geringsten Kleinigkeit zu Hause anzufragen und Befehle zu
empfangen.

Trotzdem aber erinnere man sich, daß Konstantinopel in der diplomatischen
Welt deshalb berüchtigt ist, weil alle politischen Fragen durch die persönlichen
Händel der Gesandten gekreuzt und verwirrt werden. Nur zu häufig wird
dort nach persönlichen Sympathien und Antipathien der politischen Agenten
die Parteinahme der Regierungen bestimmt. Auch die letzte Gesandtenkatastrophe,
ist zum großen Theil eine persönliche Händelei zwischen Lord Stratford-Ned-
cliffe und Baron Thouvenel, dessen Partei die andern Herren zu nehmen für
gut fanden. Das schroffe und abfällige Benehmen des englischen Gesandten
ist bekannt. Seine merkwürdige Persönlichkeit, in welcher die schlaue Zähigkeit
eines türkischen Diplomaten mit der brüsten suffisance eines englischen Aristokraten
zusammenfällt, hat mehr als einmal seiner Negierung ernste Verlegenheiten bereitet.
Er ist vielleicht der ungehorsamste und widersetzlichste Gesandte, den je eine Ne¬
gierung accreditirt hat; hochfahrend, eigensinnig, voll Vorurtheile würde er mit
einer entschlossenen Regierung von festem Willen nicht ein Jahr zusammen
arbeiten können; das Aristokraten- und Familienregiment in England erträgt seine
Launen und seinen Ungehorsam mit Ruhe, weil er mehr als alle Mitglieder
des Ministeriums das ist, was man eilten großen Herrn nennt. Freilich
auch deswegen, weil er einen sehr entschiedenen patriotischen Willen geltend
zu machen weiß, und in manchen Beziehungen die Kenntniß der orientalischen
Verhältnisse besitzt, welche der heimischen Regierung nur zu sehr fehlt. Sein
Haß gegen Frankreich hat in dem orientalischen Kriege mehr als einmal Ver¬
legenheiten bereitet; und sein Arion, daß die Türkei allerdings die Fähigkeit
besitze, sich durch sich selbst politisch zu regeneriren, trägt wesentlich dazu bei,
die Entscheidung über die orientalische Frage zu erschweren. Häufig, hat sein
Hochmuth die Gesandten anderer Staaten verletzt, jetzt hat die dreiste Thätig¬
keit eines jungen französischen Diplomaten in den Donaufürstenthümern den
alten Herrn vollends gereizt. Den französischen Diplomaten aber -- gehorsame"
Agenten des kaiserlichen Telegraphen -- scheint schon seit dem orientalischen Kriege
der Despotismus des vornehmen Engländers unerträglich gewesen zu sein, und
der nächste Zweck der letzten Gesandtenintriguen war, seinem Ansehen bei den
Türken einen tödtlichen Stoß zu geben, wo möglich ihn selbst aus dem Amte
zu entfernen.

Dahinter stehen freilich die entgegengesetzten Ansichten der europäischen
Regierungen über die Zukunft der Moldau und Walachei.


nicht mehr dazu bestimmt, die Courtoiste und die feinen Formen des fürstlichen
Familienverkehrö zu repräsentiren, ja sie sind in der Negel nicht viel mehr als
politische Agenten und Briefbesteller und ihre Selbstständigkeit und Autorität
hat schwer darunter gelitten, daß der Telegraph ihnen Gelegenheit gibt, jede
Stunde wegen der geringsten Kleinigkeit zu Hause anzufragen und Befehle zu
empfangen.

Trotzdem aber erinnere man sich, daß Konstantinopel in der diplomatischen
Welt deshalb berüchtigt ist, weil alle politischen Fragen durch die persönlichen
Händel der Gesandten gekreuzt und verwirrt werden. Nur zu häufig wird
dort nach persönlichen Sympathien und Antipathien der politischen Agenten
die Parteinahme der Regierungen bestimmt. Auch die letzte Gesandtenkatastrophe,
ist zum großen Theil eine persönliche Händelei zwischen Lord Stratford-Ned-
cliffe und Baron Thouvenel, dessen Partei die andern Herren zu nehmen für
gut fanden. Das schroffe und abfällige Benehmen des englischen Gesandten
ist bekannt. Seine merkwürdige Persönlichkeit, in welcher die schlaue Zähigkeit
eines türkischen Diplomaten mit der brüsten suffisance eines englischen Aristokraten
zusammenfällt, hat mehr als einmal seiner Negierung ernste Verlegenheiten bereitet.
Er ist vielleicht der ungehorsamste und widersetzlichste Gesandte, den je eine Ne¬
gierung accreditirt hat; hochfahrend, eigensinnig, voll Vorurtheile würde er mit
einer entschlossenen Regierung von festem Willen nicht ein Jahr zusammen
arbeiten können; das Aristokraten- und Familienregiment in England erträgt seine
Launen und seinen Ungehorsam mit Ruhe, weil er mehr als alle Mitglieder
des Ministeriums das ist, was man eilten großen Herrn nennt. Freilich
auch deswegen, weil er einen sehr entschiedenen patriotischen Willen geltend
zu machen weiß, und in manchen Beziehungen die Kenntniß der orientalischen
Verhältnisse besitzt, welche der heimischen Regierung nur zu sehr fehlt. Sein
Haß gegen Frankreich hat in dem orientalischen Kriege mehr als einmal Ver¬
legenheiten bereitet; und sein Arion, daß die Türkei allerdings die Fähigkeit
besitze, sich durch sich selbst politisch zu regeneriren, trägt wesentlich dazu bei,
die Entscheidung über die orientalische Frage zu erschweren. Häufig, hat sein
Hochmuth die Gesandten anderer Staaten verletzt, jetzt hat die dreiste Thätig¬
keit eines jungen französischen Diplomaten in den Donaufürstenthümern den
alten Herrn vollends gereizt. Den französischen Diplomaten aber — gehorsame»
Agenten des kaiserlichen Telegraphen — scheint schon seit dem orientalischen Kriege
der Despotismus des vornehmen Engländers unerträglich gewesen zu sein, und
der nächste Zweck der letzten Gesandtenintriguen war, seinem Ansehen bei den
Türken einen tödtlichen Stoß zu geben, wo möglich ihn selbst aus dem Amte
zu entfernen.

Dahinter stehen freilich die entgegengesetzten Ansichten der europäischen
Regierungen über die Zukunft der Moldau und Walachei.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/330>, abgerufen am 12.12.2024.