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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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sehr gebratenen Händen gleichen; viel saftiger und wohlschmeckender ist das
Fleisch des besonders in Esthland noch häufigen Elennthicres. Ferner wissen
die dortigen Hausfrauen den Ueberfluß der Natur an Beeren und Pilzen
trefflich für ihre Küchen zu benutzen, und vorzüglich die mit der Preiselbeere
verwandte, erst nach dem Winterfroste gesammelte Kransbeere (vaeoinium
ox^eoceos) gibt im Sommer die trefflichste Limonade und den Gelees die
schönste Farbe. Uebrigens hängen die Frauen in ihrer Wirthschaft ebenso
gern am Alten und Hergebrachten wie ihre Männer, und wenn man sieht,
daß sie in manchen Gegenden viele bei uns als Leckerbissen geltende Dinge dem
Gesinde oder den Hunden überlassen, so begreift man dies ebensowenig, als
man mit ihrer sonstigen Sparsamkeit die Unsitte zusammenreimen kann, die
Wäsche durch Schlagen mit starken Holzstücken reinigen zu lassen, was unseres
Wissens nur noch in Meriko sein Seitenstück findet, nur daß man hier anstatt
des Holzes Steine nimmt. Wir bewundern die Aufmerksamkeit, mit der' die
Hausfrau, welche, wie es sich geziemt, den Vorsitz bei Tische führt, ihre
Gäste leiblich und geistig zu unterhalten sich bestrebt, dagegen befremdet es
uns, daß die Unterhaltung der Herren und Damen dadurch behindert ist, daß
wir, wie eS die Sitte erheischt, auf verschiedenen Seiten der Tafel placirt
worden sind. Es ist dies aber nur ein Symptom der allgemeinen Zurück¬
haltung und der beinahe ängstlichen Scheu in geselligem Umgange, welche
die beiden Geschlechter gegeneinander beobachten und die theils in dem schon
berührten kleinstädtischen Wesen, theils in der strengen Erziehung des weib¬
lichen Geschlechts ihre Erklärung findet. Jeder junge Mann hütet sich, durch
Überschreitung der conventionellen Grenzen Hoffnungen oder Befürchtungen
Zu erregen; aber die Freiheit und Fröhlichkeit gemischter Gesellschaftskreise
leidet natürlich ungemein dabei. Nach Tische ziehen sich die Herrn in ein
besonderes Zimmer zurück, um nach russischer Manier aus langen "Stam-
bulken" den Rauch des nach türkischem Geschmack bereiteten Tabaks einzu¬
ziehen und in dicken Wolken wieder von sich zu stoßen. Unterdessen erscheinen
die Quadrigen von den bärtigen Kutschern gelenkt vor der Thüre, und die
nahe wohnenden Gäste empfehlen sich, um in abendlicher Tageshelle noch die
Heimath zu erreichen. Wir folgen der freundlichen Einladung zum Bleiben
und begeben uns in das uns angewiesene Schlafzimmer. Die mit seidenen
Steppdecken belegten Betten, die der Mitternacht sich nähernde Zeit, laden
uns zur Ruhe ein; aber die im Zimmer herrschende Helligkeit und das Schla¬
gen mehrer Nachtigallen in unserer Nähe bewegen uns, noch einen Blick inS
Freie zu thun, bevor wir uns dem Schlafe hingeben. Vor unserm Fenster
liegt ein kleiner Blumengarten mit blühenden Svringensträuchern; eine riesige
Birke streckt schützend ihr luftiges Blätterdach über die Beete aus und hinter
ihr beginnt eine weit ausgedehnte Wiese, von welcher das Schnarren des


Grenzboten III.-1837. 40

sehr gebratenen Händen gleichen; viel saftiger und wohlschmeckender ist das
Fleisch des besonders in Esthland noch häufigen Elennthicres. Ferner wissen
die dortigen Hausfrauen den Ueberfluß der Natur an Beeren und Pilzen
trefflich für ihre Küchen zu benutzen, und vorzüglich die mit der Preiselbeere
verwandte, erst nach dem Winterfroste gesammelte Kransbeere (vaeoinium
ox^eoceos) gibt im Sommer die trefflichste Limonade und den Gelees die
schönste Farbe. Uebrigens hängen die Frauen in ihrer Wirthschaft ebenso
gern am Alten und Hergebrachten wie ihre Männer, und wenn man sieht,
daß sie in manchen Gegenden viele bei uns als Leckerbissen geltende Dinge dem
Gesinde oder den Hunden überlassen, so begreift man dies ebensowenig, als
man mit ihrer sonstigen Sparsamkeit die Unsitte zusammenreimen kann, die
Wäsche durch Schlagen mit starken Holzstücken reinigen zu lassen, was unseres
Wissens nur noch in Meriko sein Seitenstück findet, nur daß man hier anstatt
des Holzes Steine nimmt. Wir bewundern die Aufmerksamkeit, mit der' die
Hausfrau, welche, wie es sich geziemt, den Vorsitz bei Tische führt, ihre
Gäste leiblich und geistig zu unterhalten sich bestrebt, dagegen befremdet es
uns, daß die Unterhaltung der Herren und Damen dadurch behindert ist, daß
wir, wie eS die Sitte erheischt, auf verschiedenen Seiten der Tafel placirt
worden sind. Es ist dies aber nur ein Symptom der allgemeinen Zurück¬
haltung und der beinahe ängstlichen Scheu in geselligem Umgange, welche
die beiden Geschlechter gegeneinander beobachten und die theils in dem schon
berührten kleinstädtischen Wesen, theils in der strengen Erziehung des weib¬
lichen Geschlechts ihre Erklärung findet. Jeder junge Mann hütet sich, durch
Überschreitung der conventionellen Grenzen Hoffnungen oder Befürchtungen
Zu erregen; aber die Freiheit und Fröhlichkeit gemischter Gesellschaftskreise
leidet natürlich ungemein dabei. Nach Tische ziehen sich die Herrn in ein
besonderes Zimmer zurück, um nach russischer Manier aus langen „Stam-
bulken" den Rauch des nach türkischem Geschmack bereiteten Tabaks einzu¬
ziehen und in dicken Wolken wieder von sich zu stoßen. Unterdessen erscheinen
die Quadrigen von den bärtigen Kutschern gelenkt vor der Thüre, und die
nahe wohnenden Gäste empfehlen sich, um in abendlicher Tageshelle noch die
Heimath zu erreichen. Wir folgen der freundlichen Einladung zum Bleiben
und begeben uns in das uns angewiesene Schlafzimmer. Die mit seidenen
Steppdecken belegten Betten, die der Mitternacht sich nähernde Zeit, laden
uns zur Ruhe ein; aber die im Zimmer herrschende Helligkeit und das Schla¬
gen mehrer Nachtigallen in unserer Nähe bewegen uns, noch einen Blick inS
Freie zu thun, bevor wir uns dem Schlafe hingeben. Vor unserm Fenster
liegt ein kleiner Blumengarten mit blühenden Svringensträuchern; eine riesige
Birke streckt schützend ihr luftiges Blätterdach über die Beete aus und hinter
ihr beginnt eine weit ausgedehnte Wiese, von welcher das Schnarren des


Grenzboten III.-1837. 40
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[0321] sehr gebratenen Händen gleichen; viel saftiger und wohlschmeckender ist das Fleisch des besonders in Esthland noch häufigen Elennthicres. Ferner wissen die dortigen Hausfrauen den Ueberfluß der Natur an Beeren und Pilzen trefflich für ihre Küchen zu benutzen, und vorzüglich die mit der Preiselbeere verwandte, erst nach dem Winterfroste gesammelte Kransbeere (vaeoinium ox^eoceos) gibt im Sommer die trefflichste Limonade und den Gelees die schönste Farbe. Uebrigens hängen die Frauen in ihrer Wirthschaft ebenso gern am Alten und Hergebrachten wie ihre Männer, und wenn man sieht, daß sie in manchen Gegenden viele bei uns als Leckerbissen geltende Dinge dem Gesinde oder den Hunden überlassen, so begreift man dies ebensowenig, als man mit ihrer sonstigen Sparsamkeit die Unsitte zusammenreimen kann, die Wäsche durch Schlagen mit starken Holzstücken reinigen zu lassen, was unseres Wissens nur noch in Meriko sein Seitenstück findet, nur daß man hier anstatt des Holzes Steine nimmt. Wir bewundern die Aufmerksamkeit, mit der' die Hausfrau, welche, wie es sich geziemt, den Vorsitz bei Tische führt, ihre Gäste leiblich und geistig zu unterhalten sich bestrebt, dagegen befremdet es uns, daß die Unterhaltung der Herren und Damen dadurch behindert ist, daß wir, wie eS die Sitte erheischt, auf verschiedenen Seiten der Tafel placirt worden sind. Es ist dies aber nur ein Symptom der allgemeinen Zurück¬ haltung und der beinahe ängstlichen Scheu in geselligem Umgange, welche die beiden Geschlechter gegeneinander beobachten und die theils in dem schon berührten kleinstädtischen Wesen, theils in der strengen Erziehung des weib¬ lichen Geschlechts ihre Erklärung findet. Jeder junge Mann hütet sich, durch Überschreitung der conventionellen Grenzen Hoffnungen oder Befürchtungen Zu erregen; aber die Freiheit und Fröhlichkeit gemischter Gesellschaftskreise leidet natürlich ungemein dabei. Nach Tische ziehen sich die Herrn in ein besonderes Zimmer zurück, um nach russischer Manier aus langen „Stam- bulken" den Rauch des nach türkischem Geschmack bereiteten Tabaks einzu¬ ziehen und in dicken Wolken wieder von sich zu stoßen. Unterdessen erscheinen die Quadrigen von den bärtigen Kutschern gelenkt vor der Thüre, und die nahe wohnenden Gäste empfehlen sich, um in abendlicher Tageshelle noch die Heimath zu erreichen. Wir folgen der freundlichen Einladung zum Bleiben und begeben uns in das uns angewiesene Schlafzimmer. Die mit seidenen Steppdecken belegten Betten, die der Mitternacht sich nähernde Zeit, laden uns zur Ruhe ein; aber die im Zimmer herrschende Helligkeit und das Schla¬ gen mehrer Nachtigallen in unserer Nähe bewegen uns, noch einen Blick inS Freie zu thun, bevor wir uns dem Schlafe hingeben. Vor unserm Fenster liegt ein kleiner Blumengarten mit blühenden Svringensträuchern; eine riesige Birke streckt schützend ihr luftiges Blätterdach über die Beete aus und hinter ihr beginnt eine weit ausgedehnte Wiese, von welcher das Schnarren des Grenzboten III.-1837. 40

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/321>, abgerufen am 12.12.2024.