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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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ließen bald das schwere Geschütz ihrer lateinischen Gründe folgen, und wie
grimmig Priesterhaß sei, zeigte z. B. das Consistorium zu Wittenberg, als es den
Kippern den Genuß deS Abendmahls und ehrliches Begräbniß versagen wollte.
Endlich kamen auch die Juristen mit ihren Fragen, Bedenken, ausführlichen
Münzbedenken und Necapitulationen. Die Antworten, welche sie in dicken
Broschüren gaben, waren fast immer sehr weitschweifig und ihre Argumente
nicht selten spitzfindig, aber sie waren doch dringend nöthig geworden, denn
der Seen über Mein und Dein, zwischen Gläubiger und Schuldner, schien
unabsehbar, und unzählige Rechtshändel drohten die Leiden des Volkes ins
Unerträgliche zu verlängern. Ob, wer schweres Geld ausgeliehen, Capital
und Zinsen in leichtem Geld zurücknehmen müsse, und wieder, ob einer, der
leichtes Geld ausgeliehen, die Rückzahlung der vollen Capilalsumme in schwerem
Geld beanspruchen dürfe, das war am häufigsten Gegenstand der Untersuchung.
ES muß hier bemerkt werden, daß in vielen Fällen, wo das Gesetz
und der Scharfsinn der streitenden Juristen nicht ausreichten, ein gutes
Billigkeitsgefühl, welches im Volke lebte, den Streit beendigte. Denn damals,
wo die Regierungen im Allgemeinen schlecht, und auch das gewissenhafte Recht
sehr umständlich und kostspielig war, mußte der praktische Sinn den Einzelnen
über vieles weghelfen. Ein kleines Flugblatt, worin erzählt wird, wie sich in
einem bestimmten Falle der gesunde Menschenverstand des Dorfschulzen zu
Justiz geholfen hatte, hat sicher nicht weniger genützt als eine massive, halb
lateinische, halb deutsche ,,Informativ."

In der papiernen Fluth, welche uns von der damaligen Aufregung Kunde
gibt, sind eS einzelne Bogen, an denen unser Interesse am meisten haftet; die
Aeußerungen gebildeter und welterfahrener Männer, welche in populärer Form
kurz und wirksam zu sagen wissen, worauf es ankommt. Aus verschiedenen
Zeiten des 30 jährigen Krieges sind uns einzelne solcher Flugschriften erhalten,
M denen wir noch heute entweder Energie deS Charakters ober Kraft der
Sprache oder echt staatsmännische Einsicht zu bewundern haben. Vergebens
fragen wir nach den Verfassern. Der Zufall hat Exemplare dieser Flugblätter
in unsern großen Bibliotheken erhalten, im Antiquarhandel erscheinen sie nur
selten, und nur wenige Historiker haben sich um sie bekümmert. Hier sei an
eine solche Schrift erinnert, welche der Kipperzeit angehört. Ihr Titel ist:
"Lxpurxatio oder Ehrenrettung der armen Kipper und Wipper, gestellt durch
Kniphardum Wipperium. Fragfurt."

Der Verfasser hat den wackern Lanipe zum Gegenstand seines Angriffs
gewählt, der Fanatismus des sächsischen Geistlichen, dessen vornehme College"
selbst in dem Rufe standen, Kipper zu sein (z. B. der berüchtigte Hofprediger
Hoc, der böse Geist des Kurfürsten), hatte die Entrüstung eines stärkeren
Geistes hervorgerufen. Es ist ein männliches Urtheil und eine sehr berechtigte


ließen bald das schwere Geschütz ihrer lateinischen Gründe folgen, und wie
grimmig Priesterhaß sei, zeigte z. B. das Consistorium zu Wittenberg, als es den
Kippern den Genuß deS Abendmahls und ehrliches Begräbniß versagen wollte.
Endlich kamen auch die Juristen mit ihren Fragen, Bedenken, ausführlichen
Münzbedenken und Necapitulationen. Die Antworten, welche sie in dicken
Broschüren gaben, waren fast immer sehr weitschweifig und ihre Argumente
nicht selten spitzfindig, aber sie waren doch dringend nöthig geworden, denn
der Seen über Mein und Dein, zwischen Gläubiger und Schuldner, schien
unabsehbar, und unzählige Rechtshändel drohten die Leiden des Volkes ins
Unerträgliche zu verlängern. Ob, wer schweres Geld ausgeliehen, Capital
und Zinsen in leichtem Geld zurücknehmen müsse, und wieder, ob einer, der
leichtes Geld ausgeliehen, die Rückzahlung der vollen Capilalsumme in schwerem
Geld beanspruchen dürfe, das war am häufigsten Gegenstand der Untersuchung.
ES muß hier bemerkt werden, daß in vielen Fällen, wo das Gesetz
und der Scharfsinn der streitenden Juristen nicht ausreichten, ein gutes
Billigkeitsgefühl, welches im Volke lebte, den Streit beendigte. Denn damals,
wo die Regierungen im Allgemeinen schlecht, und auch das gewissenhafte Recht
sehr umständlich und kostspielig war, mußte der praktische Sinn den Einzelnen
über vieles weghelfen. Ein kleines Flugblatt, worin erzählt wird, wie sich in
einem bestimmten Falle der gesunde Menschenverstand des Dorfschulzen zu
Justiz geholfen hatte, hat sicher nicht weniger genützt als eine massive, halb
lateinische, halb deutsche ,,Informativ."

In der papiernen Fluth, welche uns von der damaligen Aufregung Kunde
gibt, sind eS einzelne Bogen, an denen unser Interesse am meisten haftet; die
Aeußerungen gebildeter und welterfahrener Männer, welche in populärer Form
kurz und wirksam zu sagen wissen, worauf es ankommt. Aus verschiedenen
Zeiten des 30 jährigen Krieges sind uns einzelne solcher Flugschriften erhalten,
M denen wir noch heute entweder Energie deS Charakters ober Kraft der
Sprache oder echt staatsmännische Einsicht zu bewundern haben. Vergebens
fragen wir nach den Verfassern. Der Zufall hat Exemplare dieser Flugblätter
in unsern großen Bibliotheken erhalten, im Antiquarhandel erscheinen sie nur
selten, und nur wenige Historiker haben sich um sie bekümmert. Hier sei an
eine solche Schrift erinnert, welche der Kipperzeit angehört. Ihr Titel ist:
»Lxpurxatio oder Ehrenrettung der armen Kipper und Wipper, gestellt durch
Kniphardum Wipperium. Fragfurt."

Der Verfasser hat den wackern Lanipe zum Gegenstand seines Angriffs
gewählt, der Fanatismus des sächsischen Geistlichen, dessen vornehme College»
selbst in dem Rufe standen, Kipper zu sein (z. B. der berüchtigte Hofprediger
Hoc, der böse Geist des Kurfürsten), hatte die Entrüstung eines stärkeren
Geistes hervorgerufen. Es ist ein männliches Urtheil und eine sehr berechtigte


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[0301] ließen bald das schwere Geschütz ihrer lateinischen Gründe folgen, und wie grimmig Priesterhaß sei, zeigte z. B. das Consistorium zu Wittenberg, als es den Kippern den Genuß deS Abendmahls und ehrliches Begräbniß versagen wollte. Endlich kamen auch die Juristen mit ihren Fragen, Bedenken, ausführlichen Münzbedenken und Necapitulationen. Die Antworten, welche sie in dicken Broschüren gaben, waren fast immer sehr weitschweifig und ihre Argumente nicht selten spitzfindig, aber sie waren doch dringend nöthig geworden, denn der Seen über Mein und Dein, zwischen Gläubiger und Schuldner, schien unabsehbar, und unzählige Rechtshändel drohten die Leiden des Volkes ins Unerträgliche zu verlängern. Ob, wer schweres Geld ausgeliehen, Capital und Zinsen in leichtem Geld zurücknehmen müsse, und wieder, ob einer, der leichtes Geld ausgeliehen, die Rückzahlung der vollen Capilalsumme in schwerem Geld beanspruchen dürfe, das war am häufigsten Gegenstand der Untersuchung. ES muß hier bemerkt werden, daß in vielen Fällen, wo das Gesetz und der Scharfsinn der streitenden Juristen nicht ausreichten, ein gutes Billigkeitsgefühl, welches im Volke lebte, den Streit beendigte. Denn damals, wo die Regierungen im Allgemeinen schlecht, und auch das gewissenhafte Recht sehr umständlich und kostspielig war, mußte der praktische Sinn den Einzelnen über vieles weghelfen. Ein kleines Flugblatt, worin erzählt wird, wie sich in einem bestimmten Falle der gesunde Menschenverstand des Dorfschulzen zu Justiz geholfen hatte, hat sicher nicht weniger genützt als eine massive, halb lateinische, halb deutsche ,,Informativ." In der papiernen Fluth, welche uns von der damaligen Aufregung Kunde gibt, sind eS einzelne Bogen, an denen unser Interesse am meisten haftet; die Aeußerungen gebildeter und welterfahrener Männer, welche in populärer Form kurz und wirksam zu sagen wissen, worauf es ankommt. Aus verschiedenen Zeiten des 30 jährigen Krieges sind uns einzelne solcher Flugschriften erhalten, M denen wir noch heute entweder Energie deS Charakters ober Kraft der Sprache oder echt staatsmännische Einsicht zu bewundern haben. Vergebens fragen wir nach den Verfassern. Der Zufall hat Exemplare dieser Flugblätter in unsern großen Bibliotheken erhalten, im Antiquarhandel erscheinen sie nur selten, und nur wenige Historiker haben sich um sie bekümmert. Hier sei an eine solche Schrift erinnert, welche der Kipperzeit angehört. Ihr Titel ist: »Lxpurxatio oder Ehrenrettung der armen Kipper und Wipper, gestellt durch Kniphardum Wipperium. Fragfurt." Der Verfasser hat den wackern Lanipe zum Gegenstand seines Angriffs gewählt, der Fanatismus des sächsischen Geistlichen, dessen vornehme College» selbst in dem Rufe standen, Kipper zu sein (z. B. der berüchtigte Hofprediger Hoc, der böse Geist des Kurfürsten), hatte die Entrüstung eines stärkeren Geistes hervorgerufen. Es ist ein männliches Urtheil und eine sehr berechtigte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/301>, abgerufen am 24.08.2024.