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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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fiel der Obrigkeit und den Unterthanen der Münzstciar von den Augen, daß
sie erkannten, wie ihr Silber Schaum gewesen war. Etliche vornehme Städte
verarmten darüber und machten Bankerott." -- So weit Samuel Müller, aus
dessen Bericht nur eines nicht unehr zu erkennen ist, der heftige Zorn, mit
welchem im Jahre der Noth das Volk die Fäuste ballte.

Wie im Volke erhob sich auch der gewaltige Sturm unter den Gebildeten.
Die Pfarrgeistlichen schrien und verdammten laut, nicht nur von der Kanzel,
auch durch Flugschriften. Eine Broschürenliteratur begann, welche anschwoll
wie ein Meer. Einer der ersten, welche gegen das neue Geld schrieben, war
W. Andreas Lampe, Pfarrer zu Halle. Ju einer kräftigen Flugschrift: "Von
der letzten Brut und Frucht des Teufels, Leipzig 1621," bewies er mit zahl¬
reichen Citaten aus dem alten und neuen Testament, daß alle Handwerke und
Berufsarten durch göttliche Anordnung in die Welt gekommen seien, sogar die
Scharfrichter; die Kipper aber durch den Teufel, worauf er mit guten Strichen
ins Einzelne das Unheil, welches sie angerichtet, charakteristrte. Er hatte
noch harte Anfechtungen zu erdulden, und wie loyal er auch die Obrigkeit ge¬
schont hatte, es wurde ihm doch mit Klagen gedroht, so daß er für gut fand,
ein rechtfertigendes Urtheil des Schöppenstuhls zu Halle zu erwerben. Bald
aber folgten ihm zahlreiche Amtsbruder. Die Streitschriften dieser geistlichen
Herrn erscheinen uns unbehilflich; man thut doch gut, sie mit Achtung
durchzusehen, denn obgleich die protestantische Geistlichkeit, in abgeschmack¬
ten theologischen Zänkereien, in Engherzigkeit nach unten und Servilis-
mus nach oben, große Blößen gegeben hatte, sie vertrat doch immer noch
die Bildung und Redlichkeit des Volkes. Bis gegen Ende des -17. Jahr¬
hunderts sind die protestantischen Geistlichen auch die geistigen Führer ihrer
Landschaften, und man darf ohne Uebertreibung sagen, daß sie in dem Kriege
der einzige Halt waren, welcher verhinderte, daß das protestantische Deutsch¬
land eine Wüste voll Näubergesindel wurde und daß jetzt französische und
vielleicht russische Präfecten am Harz und der Elbe über erobertes Land herr¬
schen. Sie haben in jenem Kriege mit dem Volke Hunger, Schläge, Wunden,
jede Art von Mißhandlungen ertragen, sie waren die vorzugsweise gequälten
Opfer der schweren Zeit, und doch haben sie in den ausgebrannten Kirchen
und auf freiem Felde immer wieder ihre verwilderte Gemeinde zusammengerufen
und haben hinter dein Dornenversteck im tiefen Walde die Verzweifelnden
daran erinnert, daß noch ein Anderer in der Welt regiere, als die Mordbrenner
und Missethäter. Im Jahre 1621 freilich waren sie nicht gewöhnt, irdisches
Behagen zu entbehren und die Rücksicht auf ihre eignes Wohlbefinden hatte
einen reichlichen Antheil an dem Feuer, mit welchem sie die Kipperei ver¬
folgten.

Die Prediger erorcisirten den bösen Feind, die theologischen Facultäten


fiel der Obrigkeit und den Unterthanen der Münzstciar von den Augen, daß
sie erkannten, wie ihr Silber Schaum gewesen war. Etliche vornehme Städte
verarmten darüber und machten Bankerott." — So weit Samuel Müller, aus
dessen Bericht nur eines nicht unehr zu erkennen ist, der heftige Zorn, mit
welchem im Jahre der Noth das Volk die Fäuste ballte.

Wie im Volke erhob sich auch der gewaltige Sturm unter den Gebildeten.
Die Pfarrgeistlichen schrien und verdammten laut, nicht nur von der Kanzel,
auch durch Flugschriften. Eine Broschürenliteratur begann, welche anschwoll
wie ein Meer. Einer der ersten, welche gegen das neue Geld schrieben, war
W. Andreas Lampe, Pfarrer zu Halle. Ju einer kräftigen Flugschrift: „Von
der letzten Brut und Frucht des Teufels, Leipzig 1621," bewies er mit zahl¬
reichen Citaten aus dem alten und neuen Testament, daß alle Handwerke und
Berufsarten durch göttliche Anordnung in die Welt gekommen seien, sogar die
Scharfrichter; die Kipper aber durch den Teufel, worauf er mit guten Strichen
ins Einzelne das Unheil, welches sie angerichtet, charakteristrte. Er hatte
noch harte Anfechtungen zu erdulden, und wie loyal er auch die Obrigkeit ge¬
schont hatte, es wurde ihm doch mit Klagen gedroht, so daß er für gut fand,
ein rechtfertigendes Urtheil des Schöppenstuhls zu Halle zu erwerben. Bald
aber folgten ihm zahlreiche Amtsbruder. Die Streitschriften dieser geistlichen
Herrn erscheinen uns unbehilflich; man thut doch gut, sie mit Achtung
durchzusehen, denn obgleich die protestantische Geistlichkeit, in abgeschmack¬
ten theologischen Zänkereien, in Engherzigkeit nach unten und Servilis-
mus nach oben, große Blößen gegeben hatte, sie vertrat doch immer noch
die Bildung und Redlichkeit des Volkes. Bis gegen Ende des -17. Jahr¬
hunderts sind die protestantischen Geistlichen auch die geistigen Führer ihrer
Landschaften, und man darf ohne Uebertreibung sagen, daß sie in dem Kriege
der einzige Halt waren, welcher verhinderte, daß das protestantische Deutsch¬
land eine Wüste voll Näubergesindel wurde und daß jetzt französische und
vielleicht russische Präfecten am Harz und der Elbe über erobertes Land herr¬
schen. Sie haben in jenem Kriege mit dem Volke Hunger, Schläge, Wunden,
jede Art von Mißhandlungen ertragen, sie waren die vorzugsweise gequälten
Opfer der schweren Zeit, und doch haben sie in den ausgebrannten Kirchen
und auf freiem Felde immer wieder ihre verwilderte Gemeinde zusammengerufen
und haben hinter dein Dornenversteck im tiefen Walde die Verzweifelnden
daran erinnert, daß noch ein Anderer in der Welt regiere, als die Mordbrenner
und Missethäter. Im Jahre 1621 freilich waren sie nicht gewöhnt, irdisches
Behagen zu entbehren und die Rücksicht auf ihre eignes Wohlbefinden hatte
einen reichlichen Antheil an dem Feuer, mit welchem sie die Kipperei ver¬
folgten.

Die Prediger erorcisirten den bösen Feind, die theologischen Facultäten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/300>, abgerufen am 23.07.2024.