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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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Unausführbar also und ungerecht, so stellten sich uns die Forde¬
rungen der Handwerker, mit denen sie die Rückkehr zum Alten, die
Wiedereinführung der frühern, beschränkenden Gewerbeverfassung einzuleiten
suchen, bei genauerer Prüfung dar. Sobald wir daher nur noch bei dem schon
oben angedeuteten Satz etwas länger verweilt haben werden: "daß ihre Ver¬
wirklichung, wenn sie überhaupt möglich wäre, von den gemeinverderblichsten
Folgen für die ganze Gesellschaft, die Handwerker selbst mit eingeschlossen, be¬
gleitet sein würde, können wir den gegenwärtigen Abschnitt schließen.

Wenn man die verschiedenartigen Bedürfnisse der Menschen ins Auge
faßt, so drängt sich einem die zwar trivial erscheinende, aber doch höchst folge¬
reiche Wahrheit auf, die jeder im täglichen Leben an sich und andern, so wie
in der Geschichte aller Zeiten und Völker erproben kann: daß die Thätigkeit
der Menschen zunächst von der Befriedigung der zu ihrer Existenz unumgäng¬
lich nothwendigen Bedürfnisse in Anspruch genommen wird, und daß erst,
wenn diesen genügt ist, andere Bestrebungen an die Reihe kommen. Ganz
natürlich. Zuerst muß die Existenz selbst gesichert sein, ehe man dazu kommen
kann, sie seinen Wünschen und Neigungen gemäß auszuschmücken. So folgt
dem Nothwendigen das Nützliche, diesem das Angenehme. Erst muß für Nah¬
rung, Kleidung und Wohnung nothdürftig gesorgt sein, ehe man an den Wohl¬
geschmack, die Bequemlichkeit, das Schöne in diesen Dingen denken kann. In
solcher natürlichen Stufenfolge ringt sich die Thätigkeit des einzelnen Men¬
schen zu immer höhern Aufgaben hinauf; in ihr sehen wir zugleich das Leben
der Völker sich aus den rohesten Anfängen zu cultivirten Zuständen emporarbeiten,
weshalb wir in ihr den untrüglichen Culturmesser begrüßen. So beruht denn
aller Fortschritt in Wissenschaft und Kunst, in Bildung und Gesittung, wesent¬
lich auf dem Ueberschuß ,an Kräften, welcher der Menschheit nach
Befriedrigung der dringenden materiellen Bedürfnisse sür jene
höhern Aufgaben übrig bleibt, in deren Lösung sie erst ihre volle Be¬
stimmung erfüllt. Denken wir uns beispielshalber Menschen zu einem
Gemeinwesen vereinigt, so können unter denselben, sobald die Kräfte von 9^0
ausreichen, die Gesammtheit mit allen zu ihrem Dasein erforderlichen noth¬
wendigen und nützlichen Gegenständen und Dienstleistungen zu versorgen, mit
andern Worten: wenn die 9S0 in sämmtlichen Industriezweigen so viel pro-
duciren, daß alle daran genug haben, die übrigen durch diese Production nicht
in Anspruch genommenen 30 sich den angedeuteten nicht productiven Bestrebungen
widmen, als Gelehrte und Künstler, Lehrer und Beamte, die geistigen Interessen
und Güter der Gesellschaft wahrnehmen und hüten. Hieraus geht hervor, wie
wesentlich jeder nachhaltige Fortschritt auf industriellem Gebiet auf die Civili¬
sation und deren höchste Aufgaben zurückwirkt. Indem durch Vervollkomm¬
nung der Betriebsweise eine Menge von Arbeit und Capital gespart wird,


Grenzboten III. -I8S7. 34

Unausführbar also und ungerecht, so stellten sich uns die Forde¬
rungen der Handwerker, mit denen sie die Rückkehr zum Alten, die
Wiedereinführung der frühern, beschränkenden Gewerbeverfassung einzuleiten
suchen, bei genauerer Prüfung dar. Sobald wir daher nur noch bei dem schon
oben angedeuteten Satz etwas länger verweilt haben werden: „daß ihre Ver¬
wirklichung, wenn sie überhaupt möglich wäre, von den gemeinverderblichsten
Folgen für die ganze Gesellschaft, die Handwerker selbst mit eingeschlossen, be¬
gleitet sein würde, können wir den gegenwärtigen Abschnitt schließen.

Wenn man die verschiedenartigen Bedürfnisse der Menschen ins Auge
faßt, so drängt sich einem die zwar trivial erscheinende, aber doch höchst folge¬
reiche Wahrheit auf, die jeder im täglichen Leben an sich und andern, so wie
in der Geschichte aller Zeiten und Völker erproben kann: daß die Thätigkeit
der Menschen zunächst von der Befriedigung der zu ihrer Existenz unumgäng¬
lich nothwendigen Bedürfnisse in Anspruch genommen wird, und daß erst,
wenn diesen genügt ist, andere Bestrebungen an die Reihe kommen. Ganz
natürlich. Zuerst muß die Existenz selbst gesichert sein, ehe man dazu kommen
kann, sie seinen Wünschen und Neigungen gemäß auszuschmücken. So folgt
dem Nothwendigen das Nützliche, diesem das Angenehme. Erst muß für Nah¬
rung, Kleidung und Wohnung nothdürftig gesorgt sein, ehe man an den Wohl¬
geschmack, die Bequemlichkeit, das Schöne in diesen Dingen denken kann. In
solcher natürlichen Stufenfolge ringt sich die Thätigkeit des einzelnen Men¬
schen zu immer höhern Aufgaben hinauf; in ihr sehen wir zugleich das Leben
der Völker sich aus den rohesten Anfängen zu cultivirten Zuständen emporarbeiten,
weshalb wir in ihr den untrüglichen Culturmesser begrüßen. So beruht denn
aller Fortschritt in Wissenschaft und Kunst, in Bildung und Gesittung, wesent¬
lich auf dem Ueberschuß ,an Kräften, welcher der Menschheit nach
Befriedrigung der dringenden materiellen Bedürfnisse sür jene
höhern Aufgaben übrig bleibt, in deren Lösung sie erst ihre volle Be¬
stimmung erfüllt. Denken wir uns beispielshalber Menschen zu einem
Gemeinwesen vereinigt, so können unter denselben, sobald die Kräfte von 9^0
ausreichen, die Gesammtheit mit allen zu ihrem Dasein erforderlichen noth¬
wendigen und nützlichen Gegenständen und Dienstleistungen zu versorgen, mit
andern Worten: wenn die 9S0 in sämmtlichen Industriezweigen so viel pro-
duciren, daß alle daran genug haben, die übrigen durch diese Production nicht
in Anspruch genommenen 30 sich den angedeuteten nicht productiven Bestrebungen
widmen, als Gelehrte und Künstler, Lehrer und Beamte, die geistigen Interessen
und Güter der Gesellschaft wahrnehmen und hüten. Hieraus geht hervor, wie
wesentlich jeder nachhaltige Fortschritt auf industriellem Gebiet auf die Civili¬
sation und deren höchste Aufgaben zurückwirkt. Indem durch Vervollkomm¬
nung der Betriebsweise eine Menge von Arbeit und Capital gespart wird,


Grenzboten III. -I8S7. 34
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[0273] Unausführbar also und ungerecht, so stellten sich uns die Forde¬ rungen der Handwerker, mit denen sie die Rückkehr zum Alten, die Wiedereinführung der frühern, beschränkenden Gewerbeverfassung einzuleiten suchen, bei genauerer Prüfung dar. Sobald wir daher nur noch bei dem schon oben angedeuteten Satz etwas länger verweilt haben werden: „daß ihre Ver¬ wirklichung, wenn sie überhaupt möglich wäre, von den gemeinverderblichsten Folgen für die ganze Gesellschaft, die Handwerker selbst mit eingeschlossen, be¬ gleitet sein würde, können wir den gegenwärtigen Abschnitt schließen. Wenn man die verschiedenartigen Bedürfnisse der Menschen ins Auge faßt, so drängt sich einem die zwar trivial erscheinende, aber doch höchst folge¬ reiche Wahrheit auf, die jeder im täglichen Leben an sich und andern, so wie in der Geschichte aller Zeiten und Völker erproben kann: daß die Thätigkeit der Menschen zunächst von der Befriedigung der zu ihrer Existenz unumgäng¬ lich nothwendigen Bedürfnisse in Anspruch genommen wird, und daß erst, wenn diesen genügt ist, andere Bestrebungen an die Reihe kommen. Ganz natürlich. Zuerst muß die Existenz selbst gesichert sein, ehe man dazu kommen kann, sie seinen Wünschen und Neigungen gemäß auszuschmücken. So folgt dem Nothwendigen das Nützliche, diesem das Angenehme. Erst muß für Nah¬ rung, Kleidung und Wohnung nothdürftig gesorgt sein, ehe man an den Wohl¬ geschmack, die Bequemlichkeit, das Schöne in diesen Dingen denken kann. In solcher natürlichen Stufenfolge ringt sich die Thätigkeit des einzelnen Men¬ schen zu immer höhern Aufgaben hinauf; in ihr sehen wir zugleich das Leben der Völker sich aus den rohesten Anfängen zu cultivirten Zuständen emporarbeiten, weshalb wir in ihr den untrüglichen Culturmesser begrüßen. So beruht denn aller Fortschritt in Wissenschaft und Kunst, in Bildung und Gesittung, wesent¬ lich auf dem Ueberschuß ,an Kräften, welcher der Menschheit nach Befriedrigung der dringenden materiellen Bedürfnisse sür jene höhern Aufgaben übrig bleibt, in deren Lösung sie erst ihre volle Be¬ stimmung erfüllt. Denken wir uns beispielshalber Menschen zu einem Gemeinwesen vereinigt, so können unter denselben, sobald die Kräfte von 9^0 ausreichen, die Gesammtheit mit allen zu ihrem Dasein erforderlichen noth¬ wendigen und nützlichen Gegenständen und Dienstleistungen zu versorgen, mit andern Worten: wenn die 9S0 in sämmtlichen Industriezweigen so viel pro- duciren, daß alle daran genug haben, die übrigen durch diese Production nicht in Anspruch genommenen 30 sich den angedeuteten nicht productiven Bestrebungen widmen, als Gelehrte und Künstler, Lehrer und Beamte, die geistigen Interessen und Güter der Gesellschaft wahrnehmen und hüten. Hieraus geht hervor, wie wesentlich jeder nachhaltige Fortschritt auf industriellem Gebiet auf die Civili¬ sation und deren höchste Aufgaben zurückwirkt. Indem durch Vervollkomm¬ nung der Betriebsweise eine Menge von Arbeit und Capital gespart wird, Grenzboten III. -I8S7. 34

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/273>, abgerufen am 03.07.2024.