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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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ser zum Unterpräfecten seines Departements. Wie geirissenhaft er auch seine
Pflicht zu erfüllen suchte, widerstrebte sie ihm um so mehr, da er öfters Ma߬
regeln ausführen mußte, die, wenn nicht seinem Gewissen, doch seinen Neigungen
widersprachen; und so nährte er einen stillen Groll gegen daS Kaiserreich,
welcher den alten Haß gegen die Revolution noch überwuchs. Seit 1809
Mitglied des Oorp8 IkAislatik, hatte er 1812 seinen bleibenden Aufenthalt in
Paris genommen und schloß sich im folgenden Jahr mit seinen Freunden, die
nicht blos seine politischen, sondern auch seine philosophischen Ansichten theil¬
ten, der Opposition an. Die Restauration begrüßte er als eifriger Royalist,
und es ist eine sonderbare Ironie, daß dieser Mann, dem eine jede lebhafte
Berührung mit der Außenwelt peinlich war, sich eine Reihe von Jahren hin¬
durch veranlaßt sah, an dem Parteileben Theil zu nehmen, für die Sache der
Ruhe und Ordnung zu wirken und Mittel anzuwenden, die wenigstens in
Bezug auf ihn selbst dem Zweck widersprachen. Er klagt selbst 1818: "Was
gehn mich diese Ministerwechsel an, diese kleinlichen Intriguen ehrgeiziger
Menschen, die in ihrem tollen Hochmuth das Geschick zu lenken glauben,
dessen Werkzeuge sie doch nur sind! Warum beschränke ich mich nicht auf die
Rolle eines Beobachters, die mir allein zukommt, dem traurigen Zeugen der
Auflösung meines Vaterlandes? Nur durch ohnmächtige Wünsche kann ich
ihm dienen, da mir die Natur die Energie versagt hat, auf andre zu wirken!
Und dennoch ereifere ich mich mit den andern! Ermüdet von diesen fruchtlosen
Anstrengungen, verliere ich alle Haltung, und mein Gewissen sagt mir, daß
ich eine falsche Rolle spiele." -- Das ist für einen Volksvertreter keine zweck¬
mäßige Gemüthsverfassung. Auch seine politische Ueberzeugung, so sehr sie mit
seinen philosophischen Grundsätzen übereinstimmte, war nicht geeignet, ihm die
sittliche Bedeutung der Bürgerrechte und Bürgerpflichten einzuschärfen. "Die
einzig gute Negierung ist diejenige, unter welcher der Mensch die meisten Mittel
findet, seine intellektuelle und sittliche Natur zu vervollkommnen und seine
irdische Bestimmung zu erfüllen." Diesem Ideal widerspricht nichts so sehr,
als die unruhige Massenherrschaft, die fieberhafte Betheiligung jedes Bürgers
an der allgemeinen Politik. "Die Volkssouveränetät entspricht in der Politik
dem Uebergewicht der sinnlichen Affecte und Leidenschaften in der Philosophie."
Er verlangt eine Autorität, die sich auf den Glauben des Volks stützt, nicht
auf die Waffengewalt und nicht aus die Leidenschaften der Menge, und deren
traditioneller Ursprung sie über jeden Streit der Meinungen hinaushebt. DaS
parlamentarische Leben war ihm zuwider, er bekämpfte zuerst die Ultraroyalisten,
dann die Liberalen, beide Mal im Sinn der monarchischen Ordnung. Er
verglich die Zustände der Gegenwart mit den byzantinischen und sah der Zu¬
kunft mit Schrecken entgegen. "Die Autorität deS Throns," sagt er, "ist
geschwächt, wahre Freiheitsliebe ist aber nicht denkbar ohne Selbstverleugnung,


ser zum Unterpräfecten seines Departements. Wie geirissenhaft er auch seine
Pflicht zu erfüllen suchte, widerstrebte sie ihm um so mehr, da er öfters Ma߬
regeln ausführen mußte, die, wenn nicht seinem Gewissen, doch seinen Neigungen
widersprachen; und so nährte er einen stillen Groll gegen daS Kaiserreich,
welcher den alten Haß gegen die Revolution noch überwuchs. Seit 1809
Mitglied des Oorp8 IkAislatik, hatte er 1812 seinen bleibenden Aufenthalt in
Paris genommen und schloß sich im folgenden Jahr mit seinen Freunden, die
nicht blos seine politischen, sondern auch seine philosophischen Ansichten theil¬
ten, der Opposition an. Die Restauration begrüßte er als eifriger Royalist,
und es ist eine sonderbare Ironie, daß dieser Mann, dem eine jede lebhafte
Berührung mit der Außenwelt peinlich war, sich eine Reihe von Jahren hin¬
durch veranlaßt sah, an dem Parteileben Theil zu nehmen, für die Sache der
Ruhe und Ordnung zu wirken und Mittel anzuwenden, die wenigstens in
Bezug auf ihn selbst dem Zweck widersprachen. Er klagt selbst 1818: „Was
gehn mich diese Ministerwechsel an, diese kleinlichen Intriguen ehrgeiziger
Menschen, die in ihrem tollen Hochmuth das Geschick zu lenken glauben,
dessen Werkzeuge sie doch nur sind! Warum beschränke ich mich nicht auf die
Rolle eines Beobachters, die mir allein zukommt, dem traurigen Zeugen der
Auflösung meines Vaterlandes? Nur durch ohnmächtige Wünsche kann ich
ihm dienen, da mir die Natur die Energie versagt hat, auf andre zu wirken!
Und dennoch ereifere ich mich mit den andern! Ermüdet von diesen fruchtlosen
Anstrengungen, verliere ich alle Haltung, und mein Gewissen sagt mir, daß
ich eine falsche Rolle spiele." — Das ist für einen Volksvertreter keine zweck¬
mäßige Gemüthsverfassung. Auch seine politische Ueberzeugung, so sehr sie mit
seinen philosophischen Grundsätzen übereinstimmte, war nicht geeignet, ihm die
sittliche Bedeutung der Bürgerrechte und Bürgerpflichten einzuschärfen. „Die
einzig gute Negierung ist diejenige, unter welcher der Mensch die meisten Mittel
findet, seine intellektuelle und sittliche Natur zu vervollkommnen und seine
irdische Bestimmung zu erfüllen." Diesem Ideal widerspricht nichts so sehr,
als die unruhige Massenherrschaft, die fieberhafte Betheiligung jedes Bürgers
an der allgemeinen Politik. „Die Volkssouveränetät entspricht in der Politik
dem Uebergewicht der sinnlichen Affecte und Leidenschaften in der Philosophie."
Er verlangt eine Autorität, die sich auf den Glauben des Volks stützt, nicht
auf die Waffengewalt und nicht aus die Leidenschaften der Menge, und deren
traditioneller Ursprung sie über jeden Streit der Meinungen hinaushebt. DaS
parlamentarische Leben war ihm zuwider, er bekämpfte zuerst die Ultraroyalisten,
dann die Liberalen, beide Mal im Sinn der monarchischen Ordnung. Er
verglich die Zustände der Gegenwart mit den byzantinischen und sah der Zu¬
kunft mit Schrecken entgegen. „Die Autorität deS Throns," sagt er, „ist
geschwächt, wahre Freiheitsliebe ist aber nicht denkbar ohne Selbstverleugnung,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/260>, abgerufen am 22.07.2024.