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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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sächlich aus das Studium der Mathematik. Bon seinen Eltern hatte er eine
zarte Constitution geerbt, ein Temperament, welches sich durch die Lebhaftig¬
keit und Beweglichkeit der Eindrücke auszeichnete. Wie wir eS in Deutschland
bei dem Kreise der Nadel gewöhnt, war seine Seelenstimmung den Einflüssen
des Wetters ausgesetzt, und in seinen Tagebüchern finden wir die Beschaffen¬
heit desselben sorgfältig aufgezeichnet. Nichts lag ihm aber ferner, als ein
wissenschaftliches Studium der Natur; er beobachtete ihre Erscheinungen nur,
insofern sie auf seine Seele bestimmend einwirkten. Diese nervöse Empfäng¬
lichkeit gab seinen Studien die Richtung, die sich fast ausschließlich auf die
innern Bewegungen der Seele wandten. "Wenn man nur wenig Leben oder
nur ein schwaches Gefühl des Lebens in sich trägt, ist man um so eher ge¬
neigt, die innern Phänomene zu beobachten, deshalb bin ich so früh Psy¬
cholog geworden." Dieses Selbstgcständniß wird durch Cabanis ergänzt: "Die
Natur hatte ihm eine bewegliche und zarte Organisation gegeben, daher jene
feinen und vielfältigen Eindrücke, die in seinen Schriften so glänzend hervor-
treten, daher jenes Bedürfniß der Meditation." Die Aufgabe seines Lebens
war eine Analyse der eignen Zustände; die Erkenntniß der Außenwelt war
ihm gleichgiltig, über sich selbst zu grübeln war ihm Bedürfniß und Pflicht. Des
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porte, eomme par instinct,, ü, me reAiircler en äeclans pour 8av"ir
comment. je pouvais vivre et etre moi.

Nach Beendigung seiner Studien trat er -1784 in die adlige Leibgarde.
Er wurde hier der Liebling der feinen Welt, vielleicht, weil er ihr Gegensatz
war. Eine zarte, schüchterne, allen guten Gefühlen zugängliche und leicht
verletzte Natur, ein mädchenhafter Charakter, der in der mehr und mehr
um sich greifenden Verwirrung jener Zeit sich fremd vorkommen mußte.
Aus dieser Periode hatte, er jene ausgesuchte Feinheit des Benehmens, jene
Urbanität bewahrt, welche die gute alte Gesellschaft charakterisirten. Die
Revolution brach aus, er wurde am 5. October verwundet und zog sich auf
sein Landgut in der Nähe von Bergerac zurück. Gleichzeitig war sein Vater,
seine Mutter und zwei seiner Brüder gestorben. Die Revolution erregte ihm
Grauen und Abscheu, und er hat diesen Haß bis'in sein späteres Alter be¬
wahrt. Er vertiefte sich mit einer Art von Wuth in das Studium der
Philosophie, um sich von diesen beängstigenden Gedanken zu befreien. "Von
der Welt isolirt, fern von den bösen Menschen, habe ich nicht nöthig, Zeuge
von dem Elend meines Vaterlandes zu sein, und begehre nichts weiter, als
unbekannt in meiner Einsamkeit zu leben." Einige Male wurde er von den
Jakobinern beunruhigt, doch scheint er sich darüber mehr Sorge als nöthig
gemacht zu haben. Nach dem Ablauf der Schreckenszeit, Mai -I79ü, wurde er
zum Administrator seines Departements ernannt, und 1797 als leidenschaft-


sächlich aus das Studium der Mathematik. Bon seinen Eltern hatte er eine
zarte Constitution geerbt, ein Temperament, welches sich durch die Lebhaftig¬
keit und Beweglichkeit der Eindrücke auszeichnete. Wie wir eS in Deutschland
bei dem Kreise der Nadel gewöhnt, war seine Seelenstimmung den Einflüssen
des Wetters ausgesetzt, und in seinen Tagebüchern finden wir die Beschaffen¬
heit desselben sorgfältig aufgezeichnet. Nichts lag ihm aber ferner, als ein
wissenschaftliches Studium der Natur; er beobachtete ihre Erscheinungen nur,
insofern sie auf seine Seele bestimmend einwirkten. Diese nervöse Empfäng¬
lichkeit gab seinen Studien die Richtung, die sich fast ausschließlich auf die
innern Bewegungen der Seele wandten. „Wenn man nur wenig Leben oder
nur ein schwaches Gefühl des Lebens in sich trägt, ist man um so eher ge¬
neigt, die innern Phänomene zu beobachten, deshalb bin ich so früh Psy¬
cholog geworden." Dieses Selbstgcständniß wird durch Cabanis ergänzt: „Die
Natur hatte ihm eine bewegliche und zarte Organisation gegeben, daher jene
feinen und vielfältigen Eindrücke, die in seinen Schriften so glänzend hervor-
treten, daher jenes Bedürfniß der Meditation." Die Aufgabe seines Lebens
war eine Analyse der eignen Zustände; die Erkenntniß der Außenwelt war
ihm gleichgiltig, über sich selbst zu grübeln war ihm Bedürfniß und Pflicht. Des
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comment. je pouvais vivre et etre moi.

Nach Beendigung seiner Studien trat er -1784 in die adlige Leibgarde.
Er wurde hier der Liebling der feinen Welt, vielleicht, weil er ihr Gegensatz
war. Eine zarte, schüchterne, allen guten Gefühlen zugängliche und leicht
verletzte Natur, ein mädchenhafter Charakter, der in der mehr und mehr
um sich greifenden Verwirrung jener Zeit sich fremd vorkommen mußte.
Aus dieser Periode hatte, er jene ausgesuchte Feinheit des Benehmens, jene
Urbanität bewahrt, welche die gute alte Gesellschaft charakterisirten. Die
Revolution brach aus, er wurde am 5. October verwundet und zog sich auf
sein Landgut in der Nähe von Bergerac zurück. Gleichzeitig war sein Vater,
seine Mutter und zwei seiner Brüder gestorben. Die Revolution erregte ihm
Grauen und Abscheu, und er hat diesen Haß bis'in sein späteres Alter be¬
wahrt. Er vertiefte sich mit einer Art von Wuth in das Studium der
Philosophie, um sich von diesen beängstigenden Gedanken zu befreien. „Von
der Welt isolirt, fern von den bösen Menschen, habe ich nicht nöthig, Zeuge
von dem Elend meines Vaterlandes zu sein, und begehre nichts weiter, als
unbekannt in meiner Einsamkeit zu leben." Einige Male wurde er von den
Jakobinern beunruhigt, doch scheint er sich darüber mehr Sorge als nöthig
gemacht zu haben. Nach dem Ablauf der Schreckenszeit, Mai -I79ü, wurde er
zum Administrator seines Departements ernannt, und 1797 als leidenschaft-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/255>, abgerufen am 23.07.2024.