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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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in einem Bett. Einst am Morgen, als wir aufstanden und uns beide neben¬
einander auf der hohen Kiste am Fuß des Bettes anzogen, stieß er mich ohne
jeden Wortwechsel oder gegebene Ursach, sondern allein aus boshaftigen Muth¬
willen -- denn er war so gewöhnt, daß er seine unaussprechliche Bosheit
nicht unterlassen konnte -- vor die Brust, daß ich rückwärts von der Kiste
hinunterstürzte; wahrlich ein gefährlicher Fall! Und einst richtete der Gro߬
vater ein großes Nachtmahl an, wozu er nicht allein seine Kinder, sondern
auch andere lud. Am Abend, als die Knechte eines jeden ihrer Herren die
Leuchte brachten und bei dem Feuer saßen, kam dieser Lenker zu ihnen, und
trieb gegen sie allerlei Schalkheit. Die Knechte fürchteten den Vater und
ließen sich alles gefallen. Zuletzt unterstand er sich, einem nach dem andern
mit dem Finger an den Lippen zu brummen; da erdreistete sich einer und schlug
ihn aufs Maul., Er lief in die Stube hinter dem Vater und sagte dem,
welcher Knecht ihm die Maulschelle gegeben hatte. In der Nacht, als das Banket
geendigt war, die Gäste aufstünden nach Hause zu gehn, die Laternen an¬
gezündet wurden und man aus dem Hause auf die Gasse kam, und allent¬
halben und bei einem jeden nichts Anderes als Stille und guter Friede be¬
merkt wurde, entblößte der Vater des Knaben den Dussek, den er an der
Seite hatte und hieb dem Knecht, welcher vor seinem Herrn die Laterne trug,
eine greuliche Wunde in die Schulter hinein. Um mich unverletzt gegenüber
dem Lenker zu erhalten und nicht deswegen in noch größere Sorge zu gerathen,
mußte mich mein Großvater nach Stralsund zu den Eltern fahren lassen. In
solchem Muthrvillen wuchs der Knabe auf, worin der Vater ihn nicht allein
nicht strafte, sondern vielmehr seinen Gefallen daran hatte, so daß auch niemand
darüber klagen durfte. Als er nun erwachsen und an 27 Jahr alt war, wollte
er einst gen Rostock reiten und blieb in Röwershagen über Nacht. Im
andern Kruge gegenüber zog ein Wagen mit Kaufleuten ein, weil sie bei
diesem Menschen -- denn sie kannten seinen bösen Kopf wohl -- nicht sein
wollten. Der eine Kaufmann hatte einen Schießhund, der lief in den Krug,
worin Smiterlow war, und dieser band den Hund an, als wäre er sein, um
ihn zu behalten. Am Morgen, als sie aufbrechen wollten, vermißte der Kauf¬
mann seinen Hund und fand ihn bei Smiterlow, der auch aufgesessen war
und den Hund am Strick mit sich führte. Der Kaufmann begehrte seinen
Hund, Smiterlow wollte ihn nicht ablassen, sondern zog sein geladenes Rohr
auf den Kaufmann hervor. Der Kaufmann aber wurde eher fertig und schoß
ihn oben am Leibe durch den Schenkel. Er ritt wohl kümmerlich nach Rostock
und wurde dort verbunden, aber nach wenigen Tagen war er des Todes. Der
Kaufmann ritt seine Straße und kam davon, es krähte, wie man sagt, weder
Hund noch Hahn darnach, nur der Vater bekam das Kratzen im Nacken.
Solches schreib ich Herrn Bertram und seinen Kindern nicht zu Verdruß noch


in einem Bett. Einst am Morgen, als wir aufstanden und uns beide neben¬
einander auf der hohen Kiste am Fuß des Bettes anzogen, stieß er mich ohne
jeden Wortwechsel oder gegebene Ursach, sondern allein aus boshaftigen Muth¬
willen — denn er war so gewöhnt, daß er seine unaussprechliche Bosheit
nicht unterlassen konnte — vor die Brust, daß ich rückwärts von der Kiste
hinunterstürzte; wahrlich ein gefährlicher Fall! Und einst richtete der Gro߬
vater ein großes Nachtmahl an, wozu er nicht allein seine Kinder, sondern
auch andere lud. Am Abend, als die Knechte eines jeden ihrer Herren die
Leuchte brachten und bei dem Feuer saßen, kam dieser Lenker zu ihnen, und
trieb gegen sie allerlei Schalkheit. Die Knechte fürchteten den Vater und
ließen sich alles gefallen. Zuletzt unterstand er sich, einem nach dem andern
mit dem Finger an den Lippen zu brummen; da erdreistete sich einer und schlug
ihn aufs Maul., Er lief in die Stube hinter dem Vater und sagte dem,
welcher Knecht ihm die Maulschelle gegeben hatte. In der Nacht, als das Banket
geendigt war, die Gäste aufstünden nach Hause zu gehn, die Laternen an¬
gezündet wurden und man aus dem Hause auf die Gasse kam, und allent¬
halben und bei einem jeden nichts Anderes als Stille und guter Friede be¬
merkt wurde, entblößte der Vater des Knaben den Dussek, den er an der
Seite hatte und hieb dem Knecht, welcher vor seinem Herrn die Laterne trug,
eine greuliche Wunde in die Schulter hinein. Um mich unverletzt gegenüber
dem Lenker zu erhalten und nicht deswegen in noch größere Sorge zu gerathen,
mußte mich mein Großvater nach Stralsund zu den Eltern fahren lassen. In
solchem Muthrvillen wuchs der Knabe auf, worin der Vater ihn nicht allein
nicht strafte, sondern vielmehr seinen Gefallen daran hatte, so daß auch niemand
darüber klagen durfte. Als er nun erwachsen und an 27 Jahr alt war, wollte
er einst gen Rostock reiten und blieb in Röwershagen über Nacht. Im
andern Kruge gegenüber zog ein Wagen mit Kaufleuten ein, weil sie bei
diesem Menschen — denn sie kannten seinen bösen Kopf wohl — nicht sein
wollten. Der eine Kaufmann hatte einen Schießhund, der lief in den Krug,
worin Smiterlow war, und dieser band den Hund an, als wäre er sein, um
ihn zu behalten. Am Morgen, als sie aufbrechen wollten, vermißte der Kauf¬
mann seinen Hund und fand ihn bei Smiterlow, der auch aufgesessen war
und den Hund am Strick mit sich führte. Der Kaufmann begehrte seinen
Hund, Smiterlow wollte ihn nicht ablassen, sondern zog sein geladenes Rohr
auf den Kaufmann hervor. Der Kaufmann aber wurde eher fertig und schoß
ihn oben am Leibe durch den Schenkel. Er ritt wohl kümmerlich nach Rostock
und wurde dort verbunden, aber nach wenigen Tagen war er des Todes. Der
Kaufmann ritt seine Straße und kam davon, es krähte, wie man sagt, weder
Hund noch Hahn darnach, nur der Vater bekam das Kratzen im Nacken.
Solches schreib ich Herrn Bertram und seinen Kindern nicht zu Verdruß noch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/20>, abgerufen am 25.08.2024.