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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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zu zeitig aufstand und er ihr zum zweiren Altar folgte, that er desgleichen,
doch was er noch übrig behielt, brachte er vor den dritten Altar. Als nun
die Mutter aufstand und sah, wie ich vor allen drei Altären des Heiligthums
geweihräuchert und das Gebet so garstig beschlossen hatte, ist sie nach Haus
gegangen und hat die Magd mit einem Besen in die Kirche geschickt, das
Räucherwerk mit der Andacht aus der Kirche zu fegen. Man sagt mir, ich
soll in meinen kindlichen Jahren sehr wild gewesen sein, und daß ich manch¬
mal auf den Thurm von Se. Nicolaus gestiegen bin Und einst auf der Außen¬
seite deS Thurms in der Höhe der Glocken um den Thurm herumgegangen.
Da nun meine Mutter vor ihrer Thüre stand, die grade gegenüber dem
Thurm war und ihr Söhnlein so spazieren sah, ist sie sehr bekümmert gewesen,
bis er unverletzt wieder herunter kam. Dafür hat sie auch dem BarthelmeweS
gegeben, waS er wohl verdient hatte. -- Während meine Mutter zu Greifs-
wald wohnte, ging ich daselbst in die Schule, lernte nicht allein lesen sondern
auch aus dem Donat decimiren, compariren, conjugiren. Am Palmsonntage
mußte ich auch das "guantus" singen, nachdem ich die vorhergehenden Jahre,
erstlich das kleine, nachher daS große "rlio "se" gesungen hatte. Das war
den Knaben eine große Ehre und ihren Eltern keine geringe Freude, denn
man brauchte dazu aus den Schulen die wackersten Knaben, die sich nicht ent¬
setzten vor der großen Menge der Klerisei, auch weltlicher Personen und mit
Heller Stimme besonders das guantus herausheben konnten.

Anno 1328, da meine Eltern spürten, daß der hartmannsche Anhang
durch nichts zu erweichen war, meinen Vater in die Stadt und Nahrung zu
lassen, wollten sie, wie frommen Eheleuten geburt, die Last der Haushaltung
miteinander tragen, und so hat meine Mutter meinem Vater nachziehn müssen.
Deswegen hat mein Vater das Bürgerrecht zu Stralsund gewonnen und ein
Haus daselbst gekauft, meine Mutter ist von Greifswald aufgebrochen, hat ihr
Haus daselbst verhandelt und ist so im Frühlinge nach dem Sunde gezogen.
Um dieselbe Zeit hat mein Stiefgrvßvater, der damals Kämmerer zu Greifs¬
wald war, mich zu sich genommen, daselbst zu studiren. -- Ich studirte aber
gar wenig, hatte die Pferde, um daraus spazieren zu reiten und mit dem
Großvater auf die Stadtdörfer zu fahren, lieber, als die Bücher, weshalb ich
auch in studiis wenig fortschritt.

Der älteste Sohn von Herrn Bertram Smiterlow, Claus genannt, fünf
Jahr alt, aber länger und stärker von Gliedern als ich, war ein verzweifelter
Schalk; er that den Kindern in der Nachbarschaft viel Gewalt und Unrecht,
von seinem Vater wurde er nicht allein nicht gestraft, sondern auch gegen die
Klagen der Nachbarn mit großer Rauheit vertheidigt, so daß der Großvater, um
ein großes Parlament, ja Mord und Todschlag zwischen dem Vater und den Nach¬
barn zu verhüten, den Jungen zu sich nahm. Er schlief mit mir in der Kammer


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zu zeitig aufstand und er ihr zum zweiren Altar folgte, that er desgleichen,
doch was er noch übrig behielt, brachte er vor den dritten Altar. Als nun
die Mutter aufstand und sah, wie ich vor allen drei Altären des Heiligthums
geweihräuchert und das Gebet so garstig beschlossen hatte, ist sie nach Haus
gegangen und hat die Magd mit einem Besen in die Kirche geschickt, das
Räucherwerk mit der Andacht aus der Kirche zu fegen. Man sagt mir, ich
soll in meinen kindlichen Jahren sehr wild gewesen sein, und daß ich manch¬
mal auf den Thurm von Se. Nicolaus gestiegen bin Und einst auf der Außen¬
seite deS Thurms in der Höhe der Glocken um den Thurm herumgegangen.
Da nun meine Mutter vor ihrer Thüre stand, die grade gegenüber dem
Thurm war und ihr Söhnlein so spazieren sah, ist sie sehr bekümmert gewesen,
bis er unverletzt wieder herunter kam. Dafür hat sie auch dem BarthelmeweS
gegeben, waS er wohl verdient hatte. — Während meine Mutter zu Greifs-
wald wohnte, ging ich daselbst in die Schule, lernte nicht allein lesen sondern
auch aus dem Donat decimiren, compariren, conjugiren. Am Palmsonntage
mußte ich auch das „guantus" singen, nachdem ich die vorhergehenden Jahre,
erstlich das kleine, nachher daS große „rlio «se" gesungen hatte. Das war
den Knaben eine große Ehre und ihren Eltern keine geringe Freude, denn
man brauchte dazu aus den Schulen die wackersten Knaben, die sich nicht ent¬
setzten vor der großen Menge der Klerisei, auch weltlicher Personen und mit
Heller Stimme besonders das guantus herausheben konnten.

Anno 1328, da meine Eltern spürten, daß der hartmannsche Anhang
durch nichts zu erweichen war, meinen Vater in die Stadt und Nahrung zu
lassen, wollten sie, wie frommen Eheleuten geburt, die Last der Haushaltung
miteinander tragen, und so hat meine Mutter meinem Vater nachziehn müssen.
Deswegen hat mein Vater das Bürgerrecht zu Stralsund gewonnen und ein
Haus daselbst gekauft, meine Mutter ist von Greifswald aufgebrochen, hat ihr
Haus daselbst verhandelt und ist so im Frühlinge nach dem Sunde gezogen.
Um dieselbe Zeit hat mein Stiefgrvßvater, der damals Kämmerer zu Greifs¬
wald war, mich zu sich genommen, daselbst zu studiren. — Ich studirte aber
gar wenig, hatte die Pferde, um daraus spazieren zu reiten und mit dem
Großvater auf die Stadtdörfer zu fahren, lieber, als die Bücher, weshalb ich
auch in studiis wenig fortschritt.

Der älteste Sohn von Herrn Bertram Smiterlow, Claus genannt, fünf
Jahr alt, aber länger und stärker von Gliedern als ich, war ein verzweifelter
Schalk; er that den Kindern in der Nachbarschaft viel Gewalt und Unrecht,
von seinem Vater wurde er nicht allein nicht gestraft, sondern auch gegen die
Klagen der Nachbarn mit großer Rauheit vertheidigt, so daß der Großvater, um
ein großes Parlament, ja Mord und Todschlag zwischen dem Vater und den Nach¬
barn zu verhüten, den Jungen zu sich nahm. Er schlief mit mir in der Kammer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/19>, abgerufen am 25.08.2024.