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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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Vater meinte, sie suchen ihn, er wollte sie ansprechen und bitten, ihn zu ver¬
schonen, da er in seiner Unschuld nur Nothwehr geübt habe. Doch derbarm-
herzige Gott gab, daß er schwieg, und daß dem Gegentheil die Augen zuge¬
halten wurden, daß sie ihn nicht sehen konnten.

In der Nacht brachten ihn die Mönche über die Mauer, so daß er längs
dem Damm in das Dorf Neukirchen am Ende des Dammes kommen konnte.
Dorthin hatte mein Stiesgroßvater einen Bauerwagen aus Leist bestellt, der
einen Sack mit Gerste, auch einen Futtersack und meinen Vater im Sack
verborgen nach Stralsund führte. Auf den Bauer ist Stocitentm in der Nacht
getroffen und hat gefragt, wo er hin wollte? Jener: "nach Stralsund." Er
hat auf die Säcke gestoßen und gefragt: was er geladen habe. Jener: "Gerste
und seinen Futtersack." Er: Ob er nicht jemand reiten oder laufen gesehen
hätte? Jener: "Ja, es wäre einer ganz eilend den Weg nach dem Dorf Horst
geritten, ihm hätte gedeucht, es wäre Sastrow von Greifswald, er verwunderte
sich, daß er in der Nacht so eilend mit dem Pferde rennte." So hat Doctor
Stocitentm ven Bauer verlassen und ist den horster Weg geritten; mein Vater
aber ist zu Stralsund angekommen und hat von dem Nath daselbst Geleit
erlangt.

Es hat aber mein Vater solchem Geleit allerdings nicht zu trauen ge¬
habt, weil der Entleibte selbst unter dem Geleit meines gnädigen Herrn Herzog
Georgs gestanden hatte, und Doctor Stocitentm, Sr. Fürstl. Gnaden Rath,
djeS Geleit gegen meinen Bater, trefflich geltend machte, und auch sonst der
Gegentheil reich, stolz und mächtig war. So ist er in Dänemark, auch zu
Lübeck, Hamburg und da umhergeschweift, bis er mit dem Landesfürsten um
eine ansehnliche Summe Geld vertragen wurde, die er auch baar erlegen mußte.

Und obgleich später nach vielfältigem Ansuchen, aufgewandten Fleiß und
Arbeit meines Stiefgroßvaters, mein Vater mit der beleidigten Partei auf Ent¬
richtung von 1000 Mark Blutgeld verglichen wurde, so konnte ihm doch wegen
der Gegner der Ausenthalt in der Stadt Greifswald nicht frei gemacht werden.
Wie aber solch Blutgeld dem Sohn und Erben des Entleibten, dem Brand
Hartmann, gediehen ist, hat der Augenschein ergeben, Unglück und Unheil
wurde an Leib, Gut, Nahrung, an Weib und Kindern gespüret.

So mußte meine Mutter in ihrer Jugend ohne Mann bei vier kleinen
unerzogenen Kindern haushalten, Daß sie mit schwermüthigen traurigen Ge¬
danken beladen gewesen, kann man leicht ermessen.

Sie ging gemeiniglich in der Hälfte des Nachmittags, sonderlich in der
Fastenzeit, an alle drei Altäre vor dem Chöre und betete, wie im Papstthum
gebräuchlich, vor einem jeden Altar ein Pater noster und ein Ave Maria. DaS
Barthelmeweselein mußte stets angehn. Einst setzte es sich am ersten Altar
zu der Mutter, legte dort ein Räucherwerk hin. Da ihm aber die Mutter


Vater meinte, sie suchen ihn, er wollte sie ansprechen und bitten, ihn zu ver¬
schonen, da er in seiner Unschuld nur Nothwehr geübt habe. Doch derbarm-
herzige Gott gab, daß er schwieg, und daß dem Gegentheil die Augen zuge¬
halten wurden, daß sie ihn nicht sehen konnten.

In der Nacht brachten ihn die Mönche über die Mauer, so daß er längs
dem Damm in das Dorf Neukirchen am Ende des Dammes kommen konnte.
Dorthin hatte mein Stiesgroßvater einen Bauerwagen aus Leist bestellt, der
einen Sack mit Gerste, auch einen Futtersack und meinen Vater im Sack
verborgen nach Stralsund führte. Auf den Bauer ist Stocitentm in der Nacht
getroffen und hat gefragt, wo er hin wollte? Jener: „nach Stralsund." Er
hat auf die Säcke gestoßen und gefragt: was er geladen habe. Jener: „Gerste
und seinen Futtersack." Er: Ob er nicht jemand reiten oder laufen gesehen
hätte? Jener: „Ja, es wäre einer ganz eilend den Weg nach dem Dorf Horst
geritten, ihm hätte gedeucht, es wäre Sastrow von Greifswald, er verwunderte
sich, daß er in der Nacht so eilend mit dem Pferde rennte." So hat Doctor
Stocitentm ven Bauer verlassen und ist den horster Weg geritten; mein Vater
aber ist zu Stralsund angekommen und hat von dem Nath daselbst Geleit
erlangt.

Es hat aber mein Vater solchem Geleit allerdings nicht zu trauen ge¬
habt, weil der Entleibte selbst unter dem Geleit meines gnädigen Herrn Herzog
Georgs gestanden hatte, und Doctor Stocitentm, Sr. Fürstl. Gnaden Rath,
djeS Geleit gegen meinen Bater, trefflich geltend machte, und auch sonst der
Gegentheil reich, stolz und mächtig war. So ist er in Dänemark, auch zu
Lübeck, Hamburg und da umhergeschweift, bis er mit dem Landesfürsten um
eine ansehnliche Summe Geld vertragen wurde, die er auch baar erlegen mußte.

Und obgleich später nach vielfältigem Ansuchen, aufgewandten Fleiß und
Arbeit meines Stiefgroßvaters, mein Vater mit der beleidigten Partei auf Ent¬
richtung von 1000 Mark Blutgeld verglichen wurde, so konnte ihm doch wegen
der Gegner der Ausenthalt in der Stadt Greifswald nicht frei gemacht werden.
Wie aber solch Blutgeld dem Sohn und Erben des Entleibten, dem Brand
Hartmann, gediehen ist, hat der Augenschein ergeben, Unglück und Unheil
wurde an Leib, Gut, Nahrung, an Weib und Kindern gespüret.

So mußte meine Mutter in ihrer Jugend ohne Mann bei vier kleinen
unerzogenen Kindern haushalten, Daß sie mit schwermüthigen traurigen Ge¬
danken beladen gewesen, kann man leicht ermessen.

Sie ging gemeiniglich in der Hälfte des Nachmittags, sonderlich in der
Fastenzeit, an alle drei Altäre vor dem Chöre und betete, wie im Papstthum
gebräuchlich, vor einem jeden Altar ein Pater noster und ein Ave Maria. DaS
Barthelmeweselein mußte stets angehn. Einst setzte es sich am ersten Altar
zu der Mutter, legte dort ein Räucherwerk hin. Da ihm aber die Mutter


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/18>, abgerufen am 12.12.2024.