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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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Stunde auf dem Kampflatze auftretenden/am weitesten im Nachtrabe ver¬
bliebenen Linienschiffen anheimfällt. Ein vortrefflicher, praktisch wie theore¬
tisch gebildeter Seemann, der französische Admiral Juvien de la Graviere, will
in diesem successiven Erscheinen der Streitkräfte Nelsons auf dem Entscheidungs¬
felde ein Hauptmotiv des Sieges und, im Grunde genommen, das große
EntscheidungSprincip der Reserven wiedererkennen, welches in den gleichzeitigen
Landschlachten Napoleons eine so große und einflußreiche Rolle spielte. Wenn
man ihm in den betreffenden Fällen auch Recht geben möchte, würde es doch
wol schwer fallen, die allgemeine Geltung des Princips auch für unsere Tage
zu erweisen. , Man hat im Gegentheil Anlaß zu vermuthen, daß Admiral
Napier, wenn die Russen ihm Gelegenheit zum Treffen geboten hätten, auf
einmal und mit der ganzen Masse seiner Kräfte auf den Gegner gefallen sein
würde, und zwar aus dem doppelten Grunde: weil er es vermöge des ge¬
waltigen Bewegungsmittels seiner Linienschiffe, der Schraube, zu thun im
Stande war, und dann: weil keine andere Rücksicht bestand, die ihm hätte
davon "brachen können. Er durfte namentlich nicht fürchten, daß seine dem
feindlichen Feuer gleichzeitig ausgesetzten Schiffe schnell und total bewegungs¬
los werden würden, weil, auch nach der völligen Entmastung, ihnen immer
noch die Triebkraft der Schraube verblieben sein würde, durch welche sie an
und für sich selbst dem nur auf den Gebrauch seiner Segel angewiesenen
Feinde im Manövriren überlegen waren. Dabei habe ich zu bemerken, daß
auch in künftigen Fällen, wo zwei Schraubenflotten wider einander cigiren
werden, eine Rückstellung von Schiffen in weiter Distance seitens des An¬
greifenden schwerlich vorkommen, sondern die gleichzeitige Action mit der ganzen
Streitmacht stets vorgezogen werden dürfte, indem vorauszusehen ist, daß bei
der großen Entscheidungsgewalt, die heule in der schweren Schiffsartillerie be¬
ruht, namentlich die ersten Viertelstunden des Treffens Ausschlag gebend sein
werden; denn bei einer Action, in der wie in der heutigen, die Bombenkanone
das große und erste Wort redet, kommt es nicht mehr auf Entmastung und
Demontirung von Geschützen, sondern aus Senkung ganzer Linienschiffe durch
zwischen Wind und Wasser einschlagende und an günstiger Stelle crepirende
Hohlgeschosse an.

Wenn die im orientalischen Kriege obwaltenden Verhältnisse eine Antastung
der schwimmenden russischen Wehrmacht durch die der Verbündeten unmöglich
machten, so war diese Kampfperiode dagegen reich an Gelegenheiten für die
letztere, sich mit den feindlichen Küstenbefestigungen zu messen. Die Beschießung
von Odessa, die Einnahme von Bomarsund und der Angriff aus die aus¬
wärtigen Forts von Sebastopol sind die hauptsächlichsten durch die alliirten
Geschwader im ersten Kriegsjahre vollbrachten Waffenthaten. Im zweiten
Jahre wurde Kertsch eingenommen, das asowsche Meer besetzt, und Kinburn


Stunde auf dem Kampflatze auftretenden/am weitesten im Nachtrabe ver¬
bliebenen Linienschiffen anheimfällt. Ein vortrefflicher, praktisch wie theore¬
tisch gebildeter Seemann, der französische Admiral Juvien de la Graviere, will
in diesem successiven Erscheinen der Streitkräfte Nelsons auf dem Entscheidungs¬
felde ein Hauptmotiv des Sieges und, im Grunde genommen, das große
EntscheidungSprincip der Reserven wiedererkennen, welches in den gleichzeitigen
Landschlachten Napoleons eine so große und einflußreiche Rolle spielte. Wenn
man ihm in den betreffenden Fällen auch Recht geben möchte, würde es doch
wol schwer fallen, die allgemeine Geltung des Princips auch für unsere Tage
zu erweisen. , Man hat im Gegentheil Anlaß zu vermuthen, daß Admiral
Napier, wenn die Russen ihm Gelegenheit zum Treffen geboten hätten, auf
einmal und mit der ganzen Masse seiner Kräfte auf den Gegner gefallen sein
würde, und zwar aus dem doppelten Grunde: weil er es vermöge des ge¬
waltigen Bewegungsmittels seiner Linienschiffe, der Schraube, zu thun im
Stande war, und dann: weil keine andere Rücksicht bestand, die ihm hätte
davon «brachen können. Er durfte namentlich nicht fürchten, daß seine dem
feindlichen Feuer gleichzeitig ausgesetzten Schiffe schnell und total bewegungs¬
los werden würden, weil, auch nach der völligen Entmastung, ihnen immer
noch die Triebkraft der Schraube verblieben sein würde, durch welche sie an
und für sich selbst dem nur auf den Gebrauch seiner Segel angewiesenen
Feinde im Manövriren überlegen waren. Dabei habe ich zu bemerken, daß
auch in künftigen Fällen, wo zwei Schraubenflotten wider einander cigiren
werden, eine Rückstellung von Schiffen in weiter Distance seitens des An¬
greifenden schwerlich vorkommen, sondern die gleichzeitige Action mit der ganzen
Streitmacht stets vorgezogen werden dürfte, indem vorauszusehen ist, daß bei
der großen Entscheidungsgewalt, die heule in der schweren Schiffsartillerie be¬
ruht, namentlich die ersten Viertelstunden des Treffens Ausschlag gebend sein
werden; denn bei einer Action, in der wie in der heutigen, die Bombenkanone
das große und erste Wort redet, kommt es nicht mehr auf Entmastung und
Demontirung von Geschützen, sondern aus Senkung ganzer Linienschiffe durch
zwischen Wind und Wasser einschlagende und an günstiger Stelle crepirende
Hohlgeschosse an.

Wenn die im orientalischen Kriege obwaltenden Verhältnisse eine Antastung
der schwimmenden russischen Wehrmacht durch die der Verbündeten unmöglich
machten, so war diese Kampfperiode dagegen reich an Gelegenheiten für die
letztere, sich mit den feindlichen Küstenbefestigungen zu messen. Die Beschießung
von Odessa, die Einnahme von Bomarsund und der Angriff aus die aus¬
wärtigen Forts von Sebastopol sind die hauptsächlichsten durch die alliirten
Geschwader im ersten Kriegsjahre vollbrachten Waffenthaten. Im zweiten
Jahre wurde Kertsch eingenommen, das asowsche Meer besetzt, und Kinburn


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[0178] Stunde auf dem Kampflatze auftretenden/am weitesten im Nachtrabe ver¬ bliebenen Linienschiffen anheimfällt. Ein vortrefflicher, praktisch wie theore¬ tisch gebildeter Seemann, der französische Admiral Juvien de la Graviere, will in diesem successiven Erscheinen der Streitkräfte Nelsons auf dem Entscheidungs¬ felde ein Hauptmotiv des Sieges und, im Grunde genommen, das große EntscheidungSprincip der Reserven wiedererkennen, welches in den gleichzeitigen Landschlachten Napoleons eine so große und einflußreiche Rolle spielte. Wenn man ihm in den betreffenden Fällen auch Recht geben möchte, würde es doch wol schwer fallen, die allgemeine Geltung des Princips auch für unsere Tage zu erweisen. , Man hat im Gegentheil Anlaß zu vermuthen, daß Admiral Napier, wenn die Russen ihm Gelegenheit zum Treffen geboten hätten, auf einmal und mit der ganzen Masse seiner Kräfte auf den Gegner gefallen sein würde, und zwar aus dem doppelten Grunde: weil er es vermöge des ge¬ waltigen Bewegungsmittels seiner Linienschiffe, der Schraube, zu thun im Stande war, und dann: weil keine andere Rücksicht bestand, die ihm hätte davon «brachen können. Er durfte namentlich nicht fürchten, daß seine dem feindlichen Feuer gleichzeitig ausgesetzten Schiffe schnell und total bewegungs¬ los werden würden, weil, auch nach der völligen Entmastung, ihnen immer noch die Triebkraft der Schraube verblieben sein würde, durch welche sie an und für sich selbst dem nur auf den Gebrauch seiner Segel angewiesenen Feinde im Manövriren überlegen waren. Dabei habe ich zu bemerken, daß auch in künftigen Fällen, wo zwei Schraubenflotten wider einander cigiren werden, eine Rückstellung von Schiffen in weiter Distance seitens des An¬ greifenden schwerlich vorkommen, sondern die gleichzeitige Action mit der ganzen Streitmacht stets vorgezogen werden dürfte, indem vorauszusehen ist, daß bei der großen Entscheidungsgewalt, die heule in der schweren Schiffsartillerie be¬ ruht, namentlich die ersten Viertelstunden des Treffens Ausschlag gebend sein werden; denn bei einer Action, in der wie in der heutigen, die Bombenkanone das große und erste Wort redet, kommt es nicht mehr auf Entmastung und Demontirung von Geschützen, sondern aus Senkung ganzer Linienschiffe durch zwischen Wind und Wasser einschlagende und an günstiger Stelle crepirende Hohlgeschosse an. Wenn die im orientalischen Kriege obwaltenden Verhältnisse eine Antastung der schwimmenden russischen Wehrmacht durch die der Verbündeten unmöglich machten, so war diese Kampfperiode dagegen reich an Gelegenheiten für die letztere, sich mit den feindlichen Küstenbefestigungen zu messen. Die Beschießung von Odessa, die Einnahme von Bomarsund und der Angriff aus die aus¬ wärtigen Forts von Sebastopol sind die hauptsächlichsten durch die alliirten Geschwader im ersten Kriegsjahre vollbrachten Waffenthaten. Im zweiten Jahre wurde Kertsch eingenommen, das asowsche Meer besetzt, und Kinburn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/178>, abgerufen am 24.08.2024.