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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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zu zeigen, wie man das Wort eomkort praktisch inS Moldauische übersetzt. Die
Landgüter, auf denen die großen Familien gewöhnlich die schöne Jahreszeit zu¬
bringen, liegen oft weit von jeder Stadt, und doch kommt man nie auf den
Gedanken: dies oder jenes muß ich entbehren, weil ich auf dem Lande bin.

Wer von der heutigen Generation der moldauischen Bojaren nicht im Aus¬
lande erzogen worden ist, hat wenigstens fast ohne Ausnahme eine Reise gemacht,
und spricht französisch und deutsch. Ueberraschend ist es, bisweilen deutsche
Studentenausdrueke in ihrer ganzen Reinheit auf moldauischen Gefilden zu hören.
Man behauptet nicht ohne Unrecht, eS liege eine gewisse Verschmitztheit im
Charakter sämmtlicher Classen des Volkes, und man wisse dieselbe zu benutzen,
um seine Geschäfte auf eine nicht immer tadellose Weise in Ordnung zu bringen;
wir geben das zu -- es kommen nicht selten befremdende Wendungen in Pro¬
cessen und sonstigen Angelegenheiten vor; auch vor Bestechlichkeit bewahren
sich die Bojaren bei weitem nicht alle, und doch lebt eS sich angenehm mit
ihnen! In der fremden Umgebung legt man unwillkürlich allen Dingen einen
anderen Maßstab an; man sieht, daß in materieller Hinsicht noch so unendlich
viel nachzuholen ist, nimmt dann in Betracht, daß die moralische Erziehung
des Volkes erst in den letzten Jahrzehnten begonnen, und liebt in dem Mol¬
dauer noch mehr, waS er offenbar zu werden verspricht, als waS er schon ist.
Hat man aber keine Geschäfte mit ihm, so vergißt man ganz, waS noch so
manchem abgeht, denn in keinem Cirkel wird man sich leichter heimisch fühlen
als in einem rumänischen. Bei aller Feinheit der äußeren Erscheinung stellt sich
sehr bald eine Familiarität ein, die dem Fremden hinüberhilft über daS Pein¬
liche des Auftretens in einer ganz neuen Gesellschaft; alles Steife fällt weg;
man dreht sich auch in Damengesellschaft nach der ersten Viertelstunde seine
Cigarette; während man im Westen oft jahrelang neben jemand hergehn kann,
ohne zu wissen, wie es mit seinen persönlichen Verhältnissen aussieht,, macht
der Moldauer selten ein Geheimniß aus Dingen, die ihn betreffen.

Nicht wenig trägt das schöne Geschlecht, das den Namen deS schönen in der
Moldau vorzugsweise verdient, dazu bei, den gesellschaftlichen Ton so überaus an¬
genehm zu machen. Den letzten Firniß seiner Salonerziehung erhält der Mann
von der Frau, und die gebildete Moldauerin ist Meisterin in der Kunst, der
Familiarität ihre fein gezeichneten Grenzen vorzuschreiben. Man hört in
Deutschland häufig die Meinung aussprechen, die Damen der Moldau be¬
trachteten im Allgemeinen die Tugend nicht von einem sehr strengen Ge¬
sichtspunkte. Vor Zeiten mag das wirklich der Fall gewesen sein. Wir haben
gesehn, wie die Ehen durchaus nicht im Himmel, sondern auf Befehl der
Eltern nach genossener türkischer Badstube geschlossen wurden; ein solches
System ist nicht geeignet, ein Rosengewinde um die Gatten zu flechten, und
man erzählt sich aus der Vergangenheit manche ergötzliche Anekdote. In Be-


20*

zu zeigen, wie man das Wort eomkort praktisch inS Moldauische übersetzt. Die
Landgüter, auf denen die großen Familien gewöhnlich die schöne Jahreszeit zu¬
bringen, liegen oft weit von jeder Stadt, und doch kommt man nie auf den
Gedanken: dies oder jenes muß ich entbehren, weil ich auf dem Lande bin.

Wer von der heutigen Generation der moldauischen Bojaren nicht im Aus¬
lande erzogen worden ist, hat wenigstens fast ohne Ausnahme eine Reise gemacht,
und spricht französisch und deutsch. Ueberraschend ist es, bisweilen deutsche
Studentenausdrueke in ihrer ganzen Reinheit auf moldauischen Gefilden zu hören.
Man behauptet nicht ohne Unrecht, eS liege eine gewisse Verschmitztheit im
Charakter sämmtlicher Classen des Volkes, und man wisse dieselbe zu benutzen,
um seine Geschäfte auf eine nicht immer tadellose Weise in Ordnung zu bringen;
wir geben das zu — es kommen nicht selten befremdende Wendungen in Pro¬
cessen und sonstigen Angelegenheiten vor; auch vor Bestechlichkeit bewahren
sich die Bojaren bei weitem nicht alle, und doch lebt eS sich angenehm mit
ihnen! In der fremden Umgebung legt man unwillkürlich allen Dingen einen
anderen Maßstab an; man sieht, daß in materieller Hinsicht noch so unendlich
viel nachzuholen ist, nimmt dann in Betracht, daß die moralische Erziehung
des Volkes erst in den letzten Jahrzehnten begonnen, und liebt in dem Mol¬
dauer noch mehr, waS er offenbar zu werden verspricht, als waS er schon ist.
Hat man aber keine Geschäfte mit ihm, so vergißt man ganz, waS noch so
manchem abgeht, denn in keinem Cirkel wird man sich leichter heimisch fühlen
als in einem rumänischen. Bei aller Feinheit der äußeren Erscheinung stellt sich
sehr bald eine Familiarität ein, die dem Fremden hinüberhilft über daS Pein¬
liche des Auftretens in einer ganz neuen Gesellschaft; alles Steife fällt weg;
man dreht sich auch in Damengesellschaft nach der ersten Viertelstunde seine
Cigarette; während man im Westen oft jahrelang neben jemand hergehn kann,
ohne zu wissen, wie es mit seinen persönlichen Verhältnissen aussieht,, macht
der Moldauer selten ein Geheimniß aus Dingen, die ihn betreffen.

Nicht wenig trägt das schöne Geschlecht, das den Namen deS schönen in der
Moldau vorzugsweise verdient, dazu bei, den gesellschaftlichen Ton so überaus an¬
genehm zu machen. Den letzten Firniß seiner Salonerziehung erhält der Mann
von der Frau, und die gebildete Moldauerin ist Meisterin in der Kunst, der
Familiarität ihre fein gezeichneten Grenzen vorzuschreiben. Man hört in
Deutschland häufig die Meinung aussprechen, die Damen der Moldau be¬
trachteten im Allgemeinen die Tugend nicht von einem sehr strengen Ge¬
sichtspunkte. Vor Zeiten mag das wirklich der Fall gewesen sein. Wir haben
gesehn, wie die Ehen durchaus nicht im Himmel, sondern auf Befehl der
Eltern nach genossener türkischer Badstube geschlossen wurden; ein solches
System ist nicht geeignet, ein Rosengewinde um die Gatten zu flechten, und
man erzählt sich aus der Vergangenheit manche ergötzliche Anekdote. In Be-


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[0163] zu zeigen, wie man das Wort eomkort praktisch inS Moldauische übersetzt. Die Landgüter, auf denen die großen Familien gewöhnlich die schöne Jahreszeit zu¬ bringen, liegen oft weit von jeder Stadt, und doch kommt man nie auf den Gedanken: dies oder jenes muß ich entbehren, weil ich auf dem Lande bin. Wer von der heutigen Generation der moldauischen Bojaren nicht im Aus¬ lande erzogen worden ist, hat wenigstens fast ohne Ausnahme eine Reise gemacht, und spricht französisch und deutsch. Ueberraschend ist es, bisweilen deutsche Studentenausdrueke in ihrer ganzen Reinheit auf moldauischen Gefilden zu hören. Man behauptet nicht ohne Unrecht, eS liege eine gewisse Verschmitztheit im Charakter sämmtlicher Classen des Volkes, und man wisse dieselbe zu benutzen, um seine Geschäfte auf eine nicht immer tadellose Weise in Ordnung zu bringen; wir geben das zu — es kommen nicht selten befremdende Wendungen in Pro¬ cessen und sonstigen Angelegenheiten vor; auch vor Bestechlichkeit bewahren sich die Bojaren bei weitem nicht alle, und doch lebt eS sich angenehm mit ihnen! In der fremden Umgebung legt man unwillkürlich allen Dingen einen anderen Maßstab an; man sieht, daß in materieller Hinsicht noch so unendlich viel nachzuholen ist, nimmt dann in Betracht, daß die moralische Erziehung des Volkes erst in den letzten Jahrzehnten begonnen, und liebt in dem Mol¬ dauer noch mehr, waS er offenbar zu werden verspricht, als waS er schon ist. Hat man aber keine Geschäfte mit ihm, so vergißt man ganz, waS noch so manchem abgeht, denn in keinem Cirkel wird man sich leichter heimisch fühlen als in einem rumänischen. Bei aller Feinheit der äußeren Erscheinung stellt sich sehr bald eine Familiarität ein, die dem Fremden hinüberhilft über daS Pein¬ liche des Auftretens in einer ganz neuen Gesellschaft; alles Steife fällt weg; man dreht sich auch in Damengesellschaft nach der ersten Viertelstunde seine Cigarette; während man im Westen oft jahrelang neben jemand hergehn kann, ohne zu wissen, wie es mit seinen persönlichen Verhältnissen aussieht,, macht der Moldauer selten ein Geheimniß aus Dingen, die ihn betreffen. Nicht wenig trägt das schöne Geschlecht, das den Namen deS schönen in der Moldau vorzugsweise verdient, dazu bei, den gesellschaftlichen Ton so überaus an¬ genehm zu machen. Den letzten Firniß seiner Salonerziehung erhält der Mann von der Frau, und die gebildete Moldauerin ist Meisterin in der Kunst, der Familiarität ihre fein gezeichneten Grenzen vorzuschreiben. Man hört in Deutschland häufig die Meinung aussprechen, die Damen der Moldau be¬ trachteten im Allgemeinen die Tugend nicht von einem sehr strengen Ge¬ sichtspunkte. Vor Zeiten mag das wirklich der Fall gewesen sein. Wir haben gesehn, wie die Ehen durchaus nicht im Himmel, sondern auf Befehl der Eltern nach genossener türkischer Badstube geschlossen wurden; ein solches System ist nicht geeignet, ein Rosengewinde um die Gatten zu flechten, und man erzählt sich aus der Vergangenheit manche ergötzliche Anekdote. In Be- 20*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/163>, abgerufen am 03.07.2024.