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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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dress der jetzigen Generation aber behaupten wir dreist, daß die moldauische
Damenwelt den Vergleich mit der anderer Länder aushält, mögen auch einige
jugendliche Schönheiten diese Behauptung in der Stille ihres SchmollstübchenS
en töte g, töte auslachen. Die jassyer Gesellschaft verdient dagegen einen
anderen Vorwurf: sie bedenkt nicht genug, wie leicht ein guter Ruf unter¬
graben und wie schwer er wieder herzustellen ist, und nimmt so rasch ein straf¬
bares Verhältniß an, wo vielleicht nur harmlose Freundschaft das tägliche
Wiedersehn zum Bedürfniß machte.

Stellt man also leichten Sinn oder oft sogar Leichtsinn, nachlässige Ver¬
waltung des Vermögens, daraus entstehende gewagte Speculationen und leider
nicht selten vorkommende Gewissenlosigkeit im Staatsdienst und Spielsucht --
mit feinen gesellschaftlichen Formen, Gutmüthigkeit, Fähigkeit zu jeder Aus¬
bildung, Gastfreundschaft und warmer Vaterlandsliebe zusammen, so hat man
den moldauischen Bojaren in seiner natürlich sehr viel Ausnahmen im guten
und schlechten Sinn zulassenden Gestalt vor sich; gesellt man seine Frau da¬
zu, so haben beide zusammen im Einzelnen manches Schlechte, im Allgemeinen
aber sicher mehr Gutes als Schlechtes.

Wo ein Volk, und ein kräftiges Volk seiner Wiedergeburt entgegenstrebt,
da soll man nicht seine Hoffnungen mit dem Worte zu vergiften suchen: eS sei
alles umsonst und der moralische Sieg unmöglich! Der Vergleich, der uns in den
Sinn kommt, ist schon dagewesen, aber nirgend scheint er uns besser zu passen,
als hier: die Moldau mit ihren Bewohnern kommt uns vor wie ein Stamm,
den Gottes Hand einst ins sreie Feld gepflanzt, den aber der Gärtner, wahr¬
scheinlich in guter Absicht, mit einem Breterverschlag umgab und deckte. Der
Baum wuchs, die Aeste strebten nach freier Entwicklung, aber von allen
Seiten trat ihnen die hemmende Wand entgegen; viele seiner, den edelsten
Säften entsprossenen Zweige verkümmerten, andere gediehen in dem engen
Raum, wuchsen aber in wunderlichen Verkrümmungen, und je besser sich ein
Ast zu krümmen wußte, desto sicherer kam er fort, desto kräftiger nährte er sich
auf Kosten der verdrängten Sprößlinge. Jetzt sällt der Verschlag auf ein
mächtiges Zauberwort -- wir sehen plötzlich den Stamm im Freien stehen, und
er gewährt uns einen betrübenden Anblick, er gleicht nicht den übrigen Bäumen
des Waldes, die seit Jahrhunderten frei dastanden und ihrer ungehinderten
Entwicklung den majestätischen Wuchs verdanken: wir sehen an dem Stamme
mehr krumme als gerade Aeste. Aber Geduld! der gesunde Saft lebt noch
in der Wurzel, es soll nur eine Zeitlang Gottes freie Luft die Blätter be¬
wegen, und die Sprößlinge schießen unaufhaltsam empor! Der Baum lechzt
darnach, seine blühende Krone zu entfalten - die krummen Aeste taugen nichts
mehr dazu--dem jungen, frischen, saftigen Nachwuchs ist es vorbehalten, zu
zeigen, welche verjüngende Kraft in dem herrlichen Stamme lebt! Und viel,


dress der jetzigen Generation aber behaupten wir dreist, daß die moldauische
Damenwelt den Vergleich mit der anderer Länder aushält, mögen auch einige
jugendliche Schönheiten diese Behauptung in der Stille ihres SchmollstübchenS
en töte g, töte auslachen. Die jassyer Gesellschaft verdient dagegen einen
anderen Vorwurf: sie bedenkt nicht genug, wie leicht ein guter Ruf unter¬
graben und wie schwer er wieder herzustellen ist, und nimmt so rasch ein straf¬
bares Verhältniß an, wo vielleicht nur harmlose Freundschaft das tägliche
Wiedersehn zum Bedürfniß machte.

Stellt man also leichten Sinn oder oft sogar Leichtsinn, nachlässige Ver¬
waltung des Vermögens, daraus entstehende gewagte Speculationen und leider
nicht selten vorkommende Gewissenlosigkeit im Staatsdienst und Spielsucht —
mit feinen gesellschaftlichen Formen, Gutmüthigkeit, Fähigkeit zu jeder Aus¬
bildung, Gastfreundschaft und warmer Vaterlandsliebe zusammen, so hat man
den moldauischen Bojaren in seiner natürlich sehr viel Ausnahmen im guten
und schlechten Sinn zulassenden Gestalt vor sich; gesellt man seine Frau da¬
zu, so haben beide zusammen im Einzelnen manches Schlechte, im Allgemeinen
aber sicher mehr Gutes als Schlechtes.

Wo ein Volk, und ein kräftiges Volk seiner Wiedergeburt entgegenstrebt,
da soll man nicht seine Hoffnungen mit dem Worte zu vergiften suchen: eS sei
alles umsonst und der moralische Sieg unmöglich! Der Vergleich, der uns in den
Sinn kommt, ist schon dagewesen, aber nirgend scheint er uns besser zu passen,
als hier: die Moldau mit ihren Bewohnern kommt uns vor wie ein Stamm,
den Gottes Hand einst ins sreie Feld gepflanzt, den aber der Gärtner, wahr¬
scheinlich in guter Absicht, mit einem Breterverschlag umgab und deckte. Der
Baum wuchs, die Aeste strebten nach freier Entwicklung, aber von allen
Seiten trat ihnen die hemmende Wand entgegen; viele seiner, den edelsten
Säften entsprossenen Zweige verkümmerten, andere gediehen in dem engen
Raum, wuchsen aber in wunderlichen Verkrümmungen, und je besser sich ein
Ast zu krümmen wußte, desto sicherer kam er fort, desto kräftiger nährte er sich
auf Kosten der verdrängten Sprößlinge. Jetzt sällt der Verschlag auf ein
mächtiges Zauberwort — wir sehen plötzlich den Stamm im Freien stehen, und
er gewährt uns einen betrübenden Anblick, er gleicht nicht den übrigen Bäumen
des Waldes, die seit Jahrhunderten frei dastanden und ihrer ungehinderten
Entwicklung den majestätischen Wuchs verdanken: wir sehen an dem Stamme
mehr krumme als gerade Aeste. Aber Geduld! der gesunde Saft lebt noch
in der Wurzel, es soll nur eine Zeitlang Gottes freie Luft die Blätter be¬
wegen, und die Sprößlinge schießen unaufhaltsam empor! Der Baum lechzt
darnach, seine blühende Krone zu entfalten - die krummen Aeste taugen nichts
mehr dazu—dem jungen, frischen, saftigen Nachwuchs ist es vorbehalten, zu
zeigen, welche verjüngende Kraft in dem herrlichen Stamme lebt! Und viel,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/164>, abgerufen am 01.07.2024.