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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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Stocken geräth. Es entstehen freilich neue Bojarenfamilien an der Stelle der
verschwindenden, aber diese sind großentheils um eine Generation zurück. Aus
Patriotismus allein sollte er ein besserer Wirth werden.

Die Errichtung der moldauischen Nationalbank, deren wir in diesen Blättern
schon erwähnt, wird unendlich viel Gutes thun, aber der Leichtsinn in Geld¬
angelegenheiten liegt dermaßen im Charakter, daß mit der Herabsetzung der
fabelhaften Procente noch nicht alles geschehen ist. Der junge Bojar geht auf
Reisen; seine Eltern oder Vormünder schicken ihm Geld, aber selten genug für
seine Ansprüche an das Leben und er macht Schulden. Ist erst der erste
Wechsel unterschrieben, so kommen die andern mit vieler Leichtigkeit nach. Er
kehrt nach Hause zurück und tritt nun vielleicht seine Güter an. Die Gläu¬
biger rücken ihm nahe -- er muß daran denken, seine Einkünfte zu vergrößern.
Dazu scheinen ihm Spekulationen das Geeignetste, und vorzugsweise der Bau
einer Branntweinbrennerei. Um daS Capital dazu zu haben, verkauft er den
Branntwein schon ehe noch der erste Stein zum Bau der Brennerei gelegt;
das Gebäude wird nicht zur rechten Zeit fertig, der Jude, der den Spiritus
gekauft, verlängert den Termin des Contractes gegen fabelhafte Geldopfer.
Unterdeß wird flott fortgelebt, und es kommt zu einer Heirath. Wenn die
Mitgift der Frau in baarem Gelde besteht, so wird das Capital auf den Lie¬
genschaften des Mannes hvpothecirt -- aber nicht nur das baare Geld allein,
auch Kleider, Spitzen, Diamanten und oft die abenteuerlichsten Gegenstände
werden ebenfalls nach ihrem Werthe berechnet und figuriren mit in der Hy¬
pothek. Ist nun die Ehe glücklich, so gleichen sich die Sachen aus: der Mann
bezahlt mit dem Gelde seiner Frau seine Schulden, und sie ist sein Gläubiger.
Hört man aber auf, sich gegenseitig angenehm zu sein, so kommt es ohne Ver¬
zug zur Scheidung, die sonst von der griechischen Kirche nur in gewissen äußer¬
sten Fällen geduldet wirb, in den Fürstenthümern aber auf ungleich weniger
Schwierigkeiten stößt als in protestantischen Ländern. Es sind uns Fälle be¬
kannt, wo Männer und Frauen sich im Laufe weniger Jahre zwei bis dreimal
geschieden. Das Vermögen des Mannes aber erhält einen gewaltigen Stoß
bei solchem Auseinandergehen; er muß die Mitgift unnachstchtlich zurückzahlen
und alles vergüten, was aus der Liste der Aussteuer stand, wenn es auch schon
längst die Motten gefressen! Man kann sich denken, welche und wie viele Ver¬
legenheiten aus einem solchen Zusammenfluß von Umständen entstehen. Ganz
unangetastet ist in diesem Augenblicke vielleicht nur das Vermögen von 6--8
der alten Bojarenfamilien, und bei all ihrem Reichthum war es hohe Zeit,
daß die Bank ihnen mit dem Amortisationsfond zu Hilfe kam.

Aber mit der liebenswürdigsten Gleichgiltigkeit tragen die Herren ihre
Schuldenlast, und es ist unmöglich, sich nicht heimisch zu fühlen in ihrer Ge¬
sellschaft. Wir möchten den Leser in irgend einen Bojarensttz führen, um ihm


Stocken geräth. Es entstehen freilich neue Bojarenfamilien an der Stelle der
verschwindenden, aber diese sind großentheils um eine Generation zurück. Aus
Patriotismus allein sollte er ein besserer Wirth werden.

Die Errichtung der moldauischen Nationalbank, deren wir in diesen Blättern
schon erwähnt, wird unendlich viel Gutes thun, aber der Leichtsinn in Geld¬
angelegenheiten liegt dermaßen im Charakter, daß mit der Herabsetzung der
fabelhaften Procente noch nicht alles geschehen ist. Der junge Bojar geht auf
Reisen; seine Eltern oder Vormünder schicken ihm Geld, aber selten genug für
seine Ansprüche an das Leben und er macht Schulden. Ist erst der erste
Wechsel unterschrieben, so kommen die andern mit vieler Leichtigkeit nach. Er
kehrt nach Hause zurück und tritt nun vielleicht seine Güter an. Die Gläu¬
biger rücken ihm nahe — er muß daran denken, seine Einkünfte zu vergrößern.
Dazu scheinen ihm Spekulationen das Geeignetste, und vorzugsweise der Bau
einer Branntweinbrennerei. Um daS Capital dazu zu haben, verkauft er den
Branntwein schon ehe noch der erste Stein zum Bau der Brennerei gelegt;
das Gebäude wird nicht zur rechten Zeit fertig, der Jude, der den Spiritus
gekauft, verlängert den Termin des Contractes gegen fabelhafte Geldopfer.
Unterdeß wird flott fortgelebt, und es kommt zu einer Heirath. Wenn die
Mitgift der Frau in baarem Gelde besteht, so wird das Capital auf den Lie¬
genschaften des Mannes hvpothecirt — aber nicht nur das baare Geld allein,
auch Kleider, Spitzen, Diamanten und oft die abenteuerlichsten Gegenstände
werden ebenfalls nach ihrem Werthe berechnet und figuriren mit in der Hy¬
pothek. Ist nun die Ehe glücklich, so gleichen sich die Sachen aus: der Mann
bezahlt mit dem Gelde seiner Frau seine Schulden, und sie ist sein Gläubiger.
Hört man aber auf, sich gegenseitig angenehm zu sein, so kommt es ohne Ver¬
zug zur Scheidung, die sonst von der griechischen Kirche nur in gewissen äußer¬
sten Fällen geduldet wirb, in den Fürstenthümern aber auf ungleich weniger
Schwierigkeiten stößt als in protestantischen Ländern. Es sind uns Fälle be¬
kannt, wo Männer und Frauen sich im Laufe weniger Jahre zwei bis dreimal
geschieden. Das Vermögen des Mannes aber erhält einen gewaltigen Stoß
bei solchem Auseinandergehen; er muß die Mitgift unnachstchtlich zurückzahlen
und alles vergüten, was aus der Liste der Aussteuer stand, wenn es auch schon
längst die Motten gefressen! Man kann sich denken, welche und wie viele Ver¬
legenheiten aus einem solchen Zusammenfluß von Umständen entstehen. Ganz
unangetastet ist in diesem Augenblicke vielleicht nur das Vermögen von 6—8
der alten Bojarenfamilien, und bei all ihrem Reichthum war es hohe Zeit,
daß die Bank ihnen mit dem Amortisationsfond zu Hilfe kam.

Aber mit der liebenswürdigsten Gleichgiltigkeit tragen die Herren ihre
Schuldenlast, und es ist unmöglich, sich nicht heimisch zu fühlen in ihrer Ge¬
sellschaft. Wir möchten den Leser in irgend einen Bojarensttz führen, um ihm


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/162>, abgerufen am 22.07.2024.