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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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Umstand allein beweist, welcher Natur die Gegenpartei ist. Nun begann ein
System von Willkür und Bedrückung, das man nicht ohne tiefen Widerwillen
ansehen konnte; Leute, die schon alle Hoffnung verloren hatten, je wieder in
den Dienst treten zu dürfen, wurden angestellt, und thaten nun alles, um sich
Oestreich und der Türkei angenehm zu machen. Es kamen Einzelnheiten vor,
die man in Deutschland nie glauben würde. Auch würde uns die Aufzählung
derselben zu weit führen. Auch in civilisirten Ländern gibt es noch Leute genug,
die bereit sind, das Gemeinwohl dem persönlichen Vortheil aufzuopfern -- wie
viel mehr muß eS solcher Egoisten geben, wo die Verhältnisse noch in einem
so chaotischen Zustande sind. Aber die Bojaren, die ihre Stimme gegen die
Union erheben, sind an den Fingern herzuzählen.

Wir haben diesen Gegenstand etwas weitläufiger behandelt und namentlich
dem Paragraphen über den moldauischen Bojaren einverleibt, weil die ganze
geistige Bewegung von diesem ausgeht, und nichts diese Classe der Gesellschaft
besser charakterisiren könnte, als ihr Auftreten in einem Augenblicke, wo der
Existenz ihres Vaterlandes wieder einmal in der europäischen Politik Erwähnung
geschieht. Aber die Erkenntniß, die über sie gekommen: nur in der Vereini¬
gung der Fürstenthümer liege eine Sicherstellung der Zukunft, ist es nicht
allein, die Achtung einflößt vor ihrer politischen Bildungsfähigkeit, obgleich
die Opfer, die manchen bei der Umgestaltung treffen müssen, beweisen, daß er
weiter sieht als auf den Vortheil deS Moments; zu bewundern ist außerdem
noch die Ruhe, die unerschütterliche Geduld, mit der man die Chicanen der anti-
uniönistischen Regierung erträgt. Es geschieht offenbar alles, um einen An¬
schein von Unruhen im Lande hervorzubringen; es wäre den Gegnern der
Union so unendlich lieb, ihre Uniformen wieder im Lande figuriren zu lassen,
aber eS kommt zu keinem Aufruhr! Die Scene mit dem blutdürstigen Araber
auf dem Kutschbock des in Jassy ankommenden türkischen Commissars, von der
die Zeitungen sprachen, muß arg genug gewesen sein, da ein entschuldigendes
Placat an den Straßenecken erscheinen mußte; wir haben ein gedrucktes Exem¬
plar desselben vor uns. Was hätte wol ein solcher Auftritt in London oder
Paris für Folgen gehabt? Die Bevölkerung von Jassy war entrüstet, aber
sie blieb ruhig.

Wir haben die Vaterlandsliebe des Bojaren hervorgehoben -- in einer
Hinsicht aber scheint er den Pflichten, die dieselbe ihm auferlegt, untreu zu wer¬
den. Die Bildung geht in der Moldau von den höhern Classen aus; um als
Vorbild austreten zu können, muß ein gewisser Grad von pecuniärer Unab¬
hängigkeit vorhanden sein; der Bojar aber verwaltet sein Vermögen gewöhnlich
schlecht, wirkt dadurch auf den Verfall seiner Familie, verringert die Zahl derer,
die die Mittel und den Drang haben, an den Quellen der Civilisation zu
schöpfen, und wird eS so weit bringen, daß der intellectuelle Aufschwung in


Grenzbote". III. ä8S7. 20

Umstand allein beweist, welcher Natur die Gegenpartei ist. Nun begann ein
System von Willkür und Bedrückung, das man nicht ohne tiefen Widerwillen
ansehen konnte; Leute, die schon alle Hoffnung verloren hatten, je wieder in
den Dienst treten zu dürfen, wurden angestellt, und thaten nun alles, um sich
Oestreich und der Türkei angenehm zu machen. Es kamen Einzelnheiten vor,
die man in Deutschland nie glauben würde. Auch würde uns die Aufzählung
derselben zu weit führen. Auch in civilisirten Ländern gibt es noch Leute genug,
die bereit sind, das Gemeinwohl dem persönlichen Vortheil aufzuopfern — wie
viel mehr muß eS solcher Egoisten geben, wo die Verhältnisse noch in einem
so chaotischen Zustande sind. Aber die Bojaren, die ihre Stimme gegen die
Union erheben, sind an den Fingern herzuzählen.

Wir haben diesen Gegenstand etwas weitläufiger behandelt und namentlich
dem Paragraphen über den moldauischen Bojaren einverleibt, weil die ganze
geistige Bewegung von diesem ausgeht, und nichts diese Classe der Gesellschaft
besser charakterisiren könnte, als ihr Auftreten in einem Augenblicke, wo der
Existenz ihres Vaterlandes wieder einmal in der europäischen Politik Erwähnung
geschieht. Aber die Erkenntniß, die über sie gekommen: nur in der Vereini¬
gung der Fürstenthümer liege eine Sicherstellung der Zukunft, ist es nicht
allein, die Achtung einflößt vor ihrer politischen Bildungsfähigkeit, obgleich
die Opfer, die manchen bei der Umgestaltung treffen müssen, beweisen, daß er
weiter sieht als auf den Vortheil deS Moments; zu bewundern ist außerdem
noch die Ruhe, die unerschütterliche Geduld, mit der man die Chicanen der anti-
uniönistischen Regierung erträgt. Es geschieht offenbar alles, um einen An¬
schein von Unruhen im Lande hervorzubringen; es wäre den Gegnern der
Union so unendlich lieb, ihre Uniformen wieder im Lande figuriren zu lassen,
aber eS kommt zu keinem Aufruhr! Die Scene mit dem blutdürstigen Araber
auf dem Kutschbock des in Jassy ankommenden türkischen Commissars, von der
die Zeitungen sprachen, muß arg genug gewesen sein, da ein entschuldigendes
Placat an den Straßenecken erscheinen mußte; wir haben ein gedrucktes Exem¬
plar desselben vor uns. Was hätte wol ein solcher Auftritt in London oder
Paris für Folgen gehabt? Die Bevölkerung von Jassy war entrüstet, aber
sie blieb ruhig.

Wir haben die Vaterlandsliebe des Bojaren hervorgehoben — in einer
Hinsicht aber scheint er den Pflichten, die dieselbe ihm auferlegt, untreu zu wer¬
den. Die Bildung geht in der Moldau von den höhern Classen aus; um als
Vorbild austreten zu können, muß ein gewisser Grad von pecuniärer Unab¬
hängigkeit vorhanden sein; der Bojar aber verwaltet sein Vermögen gewöhnlich
schlecht, wirkt dadurch auf den Verfall seiner Familie, verringert die Zahl derer,
die die Mittel und den Drang haben, an den Quellen der Civilisation zu
schöpfen, und wird eS so weit bringen, daß der intellectuelle Aufschwung in


Grenzbote». III. ä8S7. 20
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/161>, abgerufen am 24.08.2024.