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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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fallen kann, dagegen im zwölften alles zusammentrifft, um die Triebe deutscher
Bildung zur Reife zu bringen. Vorläufig müssen wir uns damit begnügen,
daß die Nichtigkeit dieser Auffassung auch in der Fremde schon hier und da
Zustimmung findet. Niollet-le-Duc spricht in seinen Briefen seinen vollen.
Glauben an den Primat deutscher Kunst im zwölften Jahrhundert aus. Und
um dieses Glaubens willen mögen wir immerhin einzelne Irrthümer in seiner
sonstigen Auffassung deutscher Kunst verzeihen. Schaden bringt es nicht, wenn
wir zuweilen auf derbe Welse aus unserm wissenschaftlichen Quietismus auf¬
gerüttelt werden. Wir haben uns in die Ueberzeugung, daß wir die Antike voll¬
kommen verstehen, so innig hineingelebt, daß wir an Aeußerungen, wie die
von den vierschrötiger Mustergestalten der hellenischen Plastik, keinen Anstoß
nehmen und selbst Behauptungen wie die, daß Phidias Eigenthümlichkeit in
der Unterordnung der Form unter die Idee bestehe -- als ob er dies nicht
mit allen guten Künstlern theilte -- hinnehmen, ohne uns in unserm Glauben
wankend machen zu lassen. Hoffentlich werden wir uns bei dem Studium der
mittelalterlichen Kunst nie in eine ähnliche falsche Sicherheit einwiegen lassen.
Bei den vielen anderen Hindernissen, auf welche dieses Studium stößt, fehlte
nur noch diese Sicherheit, um an allem Erfolge zu verzweifeln, und die Kunst¬
geschichte deS Mittelalters zu einer Afterwisscnschaft herabzuwürdigen. -




Skizzen aus der Moldau.
4.
Die Bojaren.

Wir schreiten jetzt zu dem schwierigsten Theil unserer Aufgabe, der Schil¬
derung des moldauischen Bojaren. Derselbe ist im Verlauf der letzten drei
Jahrzehnte ein völlig'anderer geworden. Vor 30 Jahren lebte der moldauische
Bojar ganz abgesondert vom übrigen Europa, knechtete, selbst von der Pforte
geknechtet, seine Bauern, vertrödelte seine Intelligenz in kleinlichen Intriguen
an dem von einem phanariotischen Fürsten gehaltenen Hofe, und suchte zu
benutzen, was nur immer in seinem Bereiche lag, um den während der Türken-
Herrschast unverhältnißmäßig geringen Einkünften seiner Güter zu Hilfe zu
kommen. In kostbare Pelze gehüllt, die hohe zur Nationaltracht gehörende
Mütze oder das rothe Feß auf dem geschorene" Kops, thronte er tagelang
mit der langen Pfeife in der Hand aus seinem Divan, und regierte seine
Familie nach dem despotischen Vorbilde von oben. War seinem Sohne der
Bart gewachsen, so ließ er ihn eines schönen Morgens vor sich berufen, be-


fallen kann, dagegen im zwölften alles zusammentrifft, um die Triebe deutscher
Bildung zur Reife zu bringen. Vorläufig müssen wir uns damit begnügen,
daß die Nichtigkeit dieser Auffassung auch in der Fremde schon hier und da
Zustimmung findet. Niollet-le-Duc spricht in seinen Briefen seinen vollen.
Glauben an den Primat deutscher Kunst im zwölften Jahrhundert aus. Und
um dieses Glaubens willen mögen wir immerhin einzelne Irrthümer in seiner
sonstigen Auffassung deutscher Kunst verzeihen. Schaden bringt es nicht, wenn
wir zuweilen auf derbe Welse aus unserm wissenschaftlichen Quietismus auf¬
gerüttelt werden. Wir haben uns in die Ueberzeugung, daß wir die Antike voll¬
kommen verstehen, so innig hineingelebt, daß wir an Aeußerungen, wie die
von den vierschrötiger Mustergestalten der hellenischen Plastik, keinen Anstoß
nehmen und selbst Behauptungen wie die, daß Phidias Eigenthümlichkeit in
der Unterordnung der Form unter die Idee bestehe — als ob er dies nicht
mit allen guten Künstlern theilte — hinnehmen, ohne uns in unserm Glauben
wankend machen zu lassen. Hoffentlich werden wir uns bei dem Studium der
mittelalterlichen Kunst nie in eine ähnliche falsche Sicherheit einwiegen lassen.
Bei den vielen anderen Hindernissen, auf welche dieses Studium stößt, fehlte
nur noch diese Sicherheit, um an allem Erfolge zu verzweifeln, und die Kunst¬
geschichte deS Mittelalters zu einer Afterwisscnschaft herabzuwürdigen. -




Skizzen aus der Moldau.
4.
Die Bojaren.

Wir schreiten jetzt zu dem schwierigsten Theil unserer Aufgabe, der Schil¬
derung des moldauischen Bojaren. Derselbe ist im Verlauf der letzten drei
Jahrzehnte ein völlig'anderer geworden. Vor 30 Jahren lebte der moldauische
Bojar ganz abgesondert vom übrigen Europa, knechtete, selbst von der Pforte
geknechtet, seine Bauern, vertrödelte seine Intelligenz in kleinlichen Intriguen
an dem von einem phanariotischen Fürsten gehaltenen Hofe, und suchte zu
benutzen, was nur immer in seinem Bereiche lag, um den während der Türken-
Herrschast unverhältnißmäßig geringen Einkünften seiner Güter zu Hilfe zu
kommen. In kostbare Pelze gehüllt, die hohe zur Nationaltracht gehörende
Mütze oder das rothe Feß auf dem geschorene» Kops, thronte er tagelang
mit der langen Pfeife in der Hand aus seinem Divan, und regierte seine
Familie nach dem despotischen Vorbilde von oben. War seinem Sohne der
Bart gewachsen, so ließ er ihn eines schönen Morgens vor sich berufen, be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/157>, abgerufen am 12.12.2024.