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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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fahl ihm in die türkische Badstube zu gehen, morgen seine beste Kleidung an¬
zulegen, und sich auf diese Weise vorzubereiten, in den heiligen Ehestand zu
treten; die Jungfrau nahm ihrerseits ebenfalls ein Bad, wand lange Gold¬
fäden in ihr dunkeles Haar, und die Trauung ging.vor sich, sehr oft ohne
all? vorhergegangene Bekanntschaft. Die Frau bewohnte ihre abgesonderten
Gemächer in den geräumigen Häusern, und kam wenig in die Welt. Von
Zeitungen wußte man nichts oder so viel als nichts. Wol waren infolge der
französischen Revolution einige gebildete Franzosen auch in die Moldau ge¬
kommen und hatten hier und da Geschmack an der classischen Literatur erweckt;
auch die griechischen und lateinischen Schriftsteller wurden hin und wieder
studirt; aber solche Lernbegierige waren immer nur vereinzelte Erscheinungen
und verschwanden im Anfange unseres Jahrhunderts wieder. Im Jahre 1826
erschien die erste moldauische Zeitung in Jassy.

So sah es aus in der Moldau fast bis zum Beginn des russisch-türkischen
Krieges im Jahre 1828.

Daß aber 30 Jahre in dem Leben eines Volkes nicht hoch anzuschlagen
sind, wird auch die rumänenfeindliche Presse zugeben müssen. Und welche
Veränderung seit jener Zeit! Der Fremde, der heute nach Jassy kommt, merkt
auf den ersten Blick, daß er Europa nicht verlassen hat.

Die schwierigste Seite der Erziehung eines Volkes ist gewiß die politische,
und man wird uns zugeben, daß die Verhältnisse in den rumänischen Ländern
einer Entwicklung selbständiger politischer Ideen nicht günstig waren. Wol
hatte man angefangen, ausländische Zeitungen zu lesen, und war so weise,
als man es mit Hilfe derselben werden kann. Vom Vaterlande sprachen die
Blätter wenig, und doch war dies das Nächste. Die Chroniken erzählten dem
Wißbegierigen von einer schönen, thatenreichen Vergangenheit, aber die Gegen¬
wart bot nicht viel Tröstliches. Bald wandte er den Blick nach Konstan¬
tinopel, bald nach Rußland, wenn er an seine Zukunft dachte, bald nach
Oestreich, und bei dem vielen Hin- und Herblicken wurde er am Ende voll¬
kommen schwindlich. Die Ursache der verhältnißmäßig langsameren Fortschritte
in der Reise der politischen Ideen ist die frühere ausschließlich russische Pro-
tection. Rußland hat damals ^natürlich unabsichtlich, selbstsüchtige Zwecke
verfolgend. D. Red.) die Grundlage zur Wiedergeburt des rumänischen Volkes
gelegt, das ist durchaus nicht zu leugnen, während alle übrigen Mächte ruhig
zusahen, wie die Tüvken ihre Pferde in den Kirchen unterbrachten. Aber mit
der Einführung des organischen Reglements, dem Grundgesetz der exceptionellen
Existenz der Donaufürstenthümer, mit der Abreise des damaligen russischen Ad¬
ministrators Kisseleff, hörte die begonnene Entwicklung auf. Man sollte sich
mit dem Gegebenen begnügen, und wenn jemand Gedanken hatte, die das
Wohl des Landes zu fördern schienen, die wenigstens gut gemeint waren, so


fahl ihm in die türkische Badstube zu gehen, morgen seine beste Kleidung an¬
zulegen, und sich auf diese Weise vorzubereiten, in den heiligen Ehestand zu
treten; die Jungfrau nahm ihrerseits ebenfalls ein Bad, wand lange Gold¬
fäden in ihr dunkeles Haar, und die Trauung ging.vor sich, sehr oft ohne
all? vorhergegangene Bekanntschaft. Die Frau bewohnte ihre abgesonderten
Gemächer in den geräumigen Häusern, und kam wenig in die Welt. Von
Zeitungen wußte man nichts oder so viel als nichts. Wol waren infolge der
französischen Revolution einige gebildete Franzosen auch in die Moldau ge¬
kommen und hatten hier und da Geschmack an der classischen Literatur erweckt;
auch die griechischen und lateinischen Schriftsteller wurden hin und wieder
studirt; aber solche Lernbegierige waren immer nur vereinzelte Erscheinungen
und verschwanden im Anfange unseres Jahrhunderts wieder. Im Jahre 1826
erschien die erste moldauische Zeitung in Jassy.

So sah es aus in der Moldau fast bis zum Beginn des russisch-türkischen
Krieges im Jahre 1828.

Daß aber 30 Jahre in dem Leben eines Volkes nicht hoch anzuschlagen
sind, wird auch die rumänenfeindliche Presse zugeben müssen. Und welche
Veränderung seit jener Zeit! Der Fremde, der heute nach Jassy kommt, merkt
auf den ersten Blick, daß er Europa nicht verlassen hat.

Die schwierigste Seite der Erziehung eines Volkes ist gewiß die politische,
und man wird uns zugeben, daß die Verhältnisse in den rumänischen Ländern
einer Entwicklung selbständiger politischer Ideen nicht günstig waren. Wol
hatte man angefangen, ausländische Zeitungen zu lesen, und war so weise,
als man es mit Hilfe derselben werden kann. Vom Vaterlande sprachen die
Blätter wenig, und doch war dies das Nächste. Die Chroniken erzählten dem
Wißbegierigen von einer schönen, thatenreichen Vergangenheit, aber die Gegen¬
wart bot nicht viel Tröstliches. Bald wandte er den Blick nach Konstan¬
tinopel, bald nach Rußland, wenn er an seine Zukunft dachte, bald nach
Oestreich, und bei dem vielen Hin- und Herblicken wurde er am Ende voll¬
kommen schwindlich. Die Ursache der verhältnißmäßig langsameren Fortschritte
in der Reise der politischen Ideen ist die frühere ausschließlich russische Pro-
tection. Rußland hat damals ^natürlich unabsichtlich, selbstsüchtige Zwecke
verfolgend. D. Red.) die Grundlage zur Wiedergeburt des rumänischen Volkes
gelegt, das ist durchaus nicht zu leugnen, während alle übrigen Mächte ruhig
zusahen, wie die Tüvken ihre Pferde in den Kirchen unterbrachten. Aber mit
der Einführung des organischen Reglements, dem Grundgesetz der exceptionellen
Existenz der Donaufürstenthümer, mit der Abreise des damaligen russischen Ad¬
ministrators Kisseleff, hörte die begonnene Entwicklung auf. Man sollte sich
mit dem Gegebenen begnügen, und wenn jemand Gedanken hatte, die das
Wohl des Landes zu fördern schienen, die wenigstens gut gemeint waren, so


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/158>, abgerufen am 04.12.2024.