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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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große Verdienste um die Wiederbelebung der Gothik, um den Weiterbau des
kölner Domes erworben, aber alle diese Verdienste reichen kaum hin, den Schaden
gut zu machen, den seine aus der Lust gegriffenen Behauptungen der histori¬
schen Forschung zugefügt haben. Dem Ansetzn, welches demselben sein euro¬
päischer Name verschaffte, ist es vorzugsweise zuzuschreiben, daß die deutschen
kunstgeschichtlichen Studien mehre Jahrzehnte Stillständer, und wir gegenwärtig
alle Mühe' haben, mit den Franzosen und Engländern auf diesem Gebiete glei¬
chen Schritt zu halten. Von Boisseree und seinen Zeitgenossen ging auch die
unbedingte Verherrlichung der deutschen Gothik aus, aus sie muß desgleichen
das Ueberschätzen der Bedeutung deS kölnischen Domes zurückgeführt werden.
Es mußte sich aber nicht allein dieser in den letzten Jahren gefallen lassen,
als eine Nachbildung des Domes von Amiens nachgewiesen zu werden, selbst
eines der wesentlichsten Merkmale des vollendeten Kunstwerkes, die einheitliche
Conception, wurde ihm von zwei deutschen Gelehrten, von dem Archivar La-
comblet und dem Kunstforscher Schnaase abgesprochen. Was aber den Zeit¬
punkt höchster Blüte deutscher Kunst anbelangt, so kann es wol als eine aus¬
gemachte Thatsache gelten, daß derselbe in das zwölfte Jahrhundert, in die
letzte Periode deS romanischen Stiles gesetzt werden muß. Wir stoßen in diesem
Zeitalter nicht allein aus eine in der Construction vollendete, in Formen und
Decoration fast allzu üppige, selbstständig aus deutschem Boden entwickelte Bau¬
weise, für welche der Unverstand und träges Nachbeten den sinnlosen Namen
des Uebergangsstiles erfunden hat, sondern auch auf eine gleichmäßige Blüte
aller Kunstgattungen und auf einen weithin reichenden Einfluß deutscher Kunst
und Art, im Westen nach den Niederlanden, im Osten bis nach Ungarn und
die slawischen Länder, südlich bis nach Italien. ES hat leider noch niemand,
um dieser Wahrheit in weiteren Kreisen Eingang zu verschaffen, es unternommen,
die deutsche Kunst des zwölften Jahrhunderts in zusammenfassender Schilderung
dem Volke vorzuführen und dem Bilde der spätromanischen Dome die mit er¬
staunlicher Formgewandtheit und reinem plastischen Sinne entworfenen sächsischen
und fränkischen Sculpturen, die reich componirter und ideal gezeichneten rhei¬
nischen Wandgemälde, so wie die zahlreichen Miniaturmalereien aus demselben
Zeitalter anzureihen. Wäre dies der Fall, hoffentlich stände es besser um die
Kunst deutscher Vorzeit und würde niemand mehr die Blüte deutscher Kunst
in eine Zeit setzen, in welcher überall französischer Einfluß den deutschen ver¬
drängt, die deutsche Kunst selbst in einzelnen Zweigen mit bestimmt, in welcher
überhaupt daS gesellschaftliche und politische Leben alle Bedingungen zur rei¬
chen und vollendeten Kunstentfaltung abschnitten. Ohne daS eigentliche kunst¬
historische Gebiet zu berühren, könnte man vom allgemeinen historischen Stand¬
punkte den negativen Beweis liefern, daß die höchste Blüte der nationalen
Bildung im deutschen Mittelalter nicht diesseits deS dreizehnten Jahrhunderts


große Verdienste um die Wiederbelebung der Gothik, um den Weiterbau des
kölner Domes erworben, aber alle diese Verdienste reichen kaum hin, den Schaden
gut zu machen, den seine aus der Lust gegriffenen Behauptungen der histori¬
schen Forschung zugefügt haben. Dem Ansetzn, welches demselben sein euro¬
päischer Name verschaffte, ist es vorzugsweise zuzuschreiben, daß die deutschen
kunstgeschichtlichen Studien mehre Jahrzehnte Stillständer, und wir gegenwärtig
alle Mühe' haben, mit den Franzosen und Engländern auf diesem Gebiete glei¬
chen Schritt zu halten. Von Boisseree und seinen Zeitgenossen ging auch die
unbedingte Verherrlichung der deutschen Gothik aus, aus sie muß desgleichen
das Ueberschätzen der Bedeutung deS kölnischen Domes zurückgeführt werden.
Es mußte sich aber nicht allein dieser in den letzten Jahren gefallen lassen,
als eine Nachbildung des Domes von Amiens nachgewiesen zu werden, selbst
eines der wesentlichsten Merkmale des vollendeten Kunstwerkes, die einheitliche
Conception, wurde ihm von zwei deutschen Gelehrten, von dem Archivar La-
comblet und dem Kunstforscher Schnaase abgesprochen. Was aber den Zeit¬
punkt höchster Blüte deutscher Kunst anbelangt, so kann es wol als eine aus¬
gemachte Thatsache gelten, daß derselbe in das zwölfte Jahrhundert, in die
letzte Periode deS romanischen Stiles gesetzt werden muß. Wir stoßen in diesem
Zeitalter nicht allein aus eine in der Construction vollendete, in Formen und
Decoration fast allzu üppige, selbstständig aus deutschem Boden entwickelte Bau¬
weise, für welche der Unverstand und träges Nachbeten den sinnlosen Namen
des Uebergangsstiles erfunden hat, sondern auch auf eine gleichmäßige Blüte
aller Kunstgattungen und auf einen weithin reichenden Einfluß deutscher Kunst
und Art, im Westen nach den Niederlanden, im Osten bis nach Ungarn und
die slawischen Länder, südlich bis nach Italien. ES hat leider noch niemand,
um dieser Wahrheit in weiteren Kreisen Eingang zu verschaffen, es unternommen,
die deutsche Kunst des zwölften Jahrhunderts in zusammenfassender Schilderung
dem Volke vorzuführen und dem Bilde der spätromanischen Dome die mit er¬
staunlicher Formgewandtheit und reinem plastischen Sinne entworfenen sächsischen
und fränkischen Sculpturen, die reich componirter und ideal gezeichneten rhei¬
nischen Wandgemälde, so wie die zahlreichen Miniaturmalereien aus demselben
Zeitalter anzureihen. Wäre dies der Fall, hoffentlich stände es besser um die
Kunst deutscher Vorzeit und würde niemand mehr die Blüte deutscher Kunst
in eine Zeit setzen, in welcher überall französischer Einfluß den deutschen ver¬
drängt, die deutsche Kunst selbst in einzelnen Zweigen mit bestimmt, in welcher
überhaupt daS gesellschaftliche und politische Leben alle Bedingungen zur rei¬
chen und vollendeten Kunstentfaltung abschnitten. Ohne daS eigentliche kunst¬
historische Gebiet zu berühren, könnte man vom allgemeinen historischen Stand¬
punkte den negativen Beweis liefern, daß die höchste Blüte der nationalen
Bildung im deutschen Mittelalter nicht diesseits deS dreizehnten Jahrhunderts


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[0156] große Verdienste um die Wiederbelebung der Gothik, um den Weiterbau des kölner Domes erworben, aber alle diese Verdienste reichen kaum hin, den Schaden gut zu machen, den seine aus der Lust gegriffenen Behauptungen der histori¬ schen Forschung zugefügt haben. Dem Ansetzn, welches demselben sein euro¬ päischer Name verschaffte, ist es vorzugsweise zuzuschreiben, daß die deutschen kunstgeschichtlichen Studien mehre Jahrzehnte Stillständer, und wir gegenwärtig alle Mühe' haben, mit den Franzosen und Engländern auf diesem Gebiete glei¬ chen Schritt zu halten. Von Boisseree und seinen Zeitgenossen ging auch die unbedingte Verherrlichung der deutschen Gothik aus, aus sie muß desgleichen das Ueberschätzen der Bedeutung deS kölnischen Domes zurückgeführt werden. Es mußte sich aber nicht allein dieser in den letzten Jahren gefallen lassen, als eine Nachbildung des Domes von Amiens nachgewiesen zu werden, selbst eines der wesentlichsten Merkmale des vollendeten Kunstwerkes, die einheitliche Conception, wurde ihm von zwei deutschen Gelehrten, von dem Archivar La- comblet und dem Kunstforscher Schnaase abgesprochen. Was aber den Zeit¬ punkt höchster Blüte deutscher Kunst anbelangt, so kann es wol als eine aus¬ gemachte Thatsache gelten, daß derselbe in das zwölfte Jahrhundert, in die letzte Periode deS romanischen Stiles gesetzt werden muß. Wir stoßen in diesem Zeitalter nicht allein aus eine in der Construction vollendete, in Formen und Decoration fast allzu üppige, selbstständig aus deutschem Boden entwickelte Bau¬ weise, für welche der Unverstand und träges Nachbeten den sinnlosen Namen des Uebergangsstiles erfunden hat, sondern auch auf eine gleichmäßige Blüte aller Kunstgattungen und auf einen weithin reichenden Einfluß deutscher Kunst und Art, im Westen nach den Niederlanden, im Osten bis nach Ungarn und die slawischen Länder, südlich bis nach Italien. ES hat leider noch niemand, um dieser Wahrheit in weiteren Kreisen Eingang zu verschaffen, es unternommen, die deutsche Kunst des zwölften Jahrhunderts in zusammenfassender Schilderung dem Volke vorzuführen und dem Bilde der spätromanischen Dome die mit er¬ staunlicher Formgewandtheit und reinem plastischen Sinne entworfenen sächsischen und fränkischen Sculpturen, die reich componirter und ideal gezeichneten rhei¬ nischen Wandgemälde, so wie die zahlreichen Miniaturmalereien aus demselben Zeitalter anzureihen. Wäre dies der Fall, hoffentlich stände es besser um die Kunst deutscher Vorzeit und würde niemand mehr die Blüte deutscher Kunst in eine Zeit setzen, in welcher überall französischer Einfluß den deutschen ver¬ drängt, die deutsche Kunst selbst in einzelnen Zweigen mit bestimmt, in welcher überhaupt daS gesellschaftliche und politische Leben alle Bedingungen zur rei¬ chen und vollendeten Kunstentfaltung abschnitten. Ohne daS eigentliche kunst¬ historische Gebiet zu berühren, könnte man vom allgemeinen historischen Stand¬ punkte den negativen Beweis liefern, daß die höchste Blüte der nationalen Bildung im deutschen Mittelalter nicht diesseits deS dreizehnten Jahrhunderts

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/156>, abgerufen am 22.07.2024.