Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

unter den 40 Bildern blos 1ö, die sich auf das Mittelalter beziehen, elf aber,
welche das französische Rococo verherrlichen. Es ist sehr zu beklagen, daß
die Vorstände eines Institutes, das sich so gern ein vorzugsweise nationales
nennen läßt und sein Dasein auf die lebendige Theilnahme des deutschen
Volkes gründet, so sehr aller Einsicht, was dem deutschen Volke frommt und
die Aufgabe des germanischen Museums bilden muß, entbehren. Die Samm¬
lungen des germanischen Museums besitzen bekanntlich keinen sachlichen Werth.
Darauf kam es auch bei seiner Gründung nicht an. Desto mehr hofften wir von
dem lebendigen Geiste, der die Beamten und Angehörigen des Museums durch-
dringen, von den Anregungen, die von ihrem Kreise ausgehen würden.
Und gesetzt, es wäre eine passende Arbeit für die Konservatoren des germani¬
schen Museums, das deutsche Publicum zunächst und zuerst mit den Kleider-
trachten des vorigen Jahrhunderts, mit der Geschichte der Perücke und des
Zopfes vertraut zu machen; ist denn die äußere Erscheinungsweise, das Leben
des deutschen Volkes im Mittelalter in weiteren Kreisen so bekannt, daß man
flüchtig darüber hinweghüpfen darf, höchstens eine furze Nachlese auf diesem
Felde hält?

Die unleugbare Thatsache, die auch aus der Anlage des eben erwähnten
Werkes sich offenbart, daß wir das Lob kosmopolitischer, universeller Bildung
höher achten, als alle Vortheile, die aus der redlichen und gründliches Ein¬
kehr in das Volksthum entspringen mögen, führt uns wieder auf Violine-le-Duc
zurück. Wir machten es als Hauptvorwurf gegen die Publication der Vor¬
stände des germanischen Museums geltend, daß sie das deutsche Mittelalter
ungebührlich vernachlässigen, und begründeten diesen Vorwurf mit der überaus
geringen Kunde, die von demselben selbst in gebildeten und gelehrten heimischen
Kreisen herrscht. Darin beschämt uns Violine-le-Duc. Würde die Frage nach
der Zeit der höchsten Blüte deutscher Kunst im Mittelalter aufgeworfen, so
könnte man Hundert gegen Eins wetten, daß die Hälfte der Befragten die
Antwort schuldig bleiben, die andere Hälfte die Frage falsch beantworten. Die
letzteren würden gewiß auf die Zeit seit dem dreizehnten Jahrhundert, auf die
Herrschaft des gothischen Stiles, hindeuten, den man ja auch den deutschen
Stil zu nennen beliebt, obgleich er aus Frankreich stammt, von französischen
Architekten entwickelt wurde und in seinem Gefolge den französischen Einfluß
in alle Länder Europas bis nach Böhmen und Ungarn verpflanzte. Auch um
Gründe, ihre Behauptung zu rechtfertigen, wären sie nicht verlegen. Sie
brauchten nur aus den kölner Dom hinzuweisen, alö das erste und größte
Werk der Gothik und deS Mittelalters, und könnten der allgemeinen Zustim¬
mung gewiß sein, vollends wenn sie die Autorität des verstorbenen S,ulP>ce
Boisserve anriefen, der im Auslande noch mehr als in Deutschland als der
größte Kenner der mittelalterlichen Kunst gilt. Sulpice Boisserve hat sich gewiß


unter den 40 Bildern blos 1ö, die sich auf das Mittelalter beziehen, elf aber,
welche das französische Rococo verherrlichen. Es ist sehr zu beklagen, daß
die Vorstände eines Institutes, das sich so gern ein vorzugsweise nationales
nennen läßt und sein Dasein auf die lebendige Theilnahme des deutschen
Volkes gründet, so sehr aller Einsicht, was dem deutschen Volke frommt und
die Aufgabe des germanischen Museums bilden muß, entbehren. Die Samm¬
lungen des germanischen Museums besitzen bekanntlich keinen sachlichen Werth.
Darauf kam es auch bei seiner Gründung nicht an. Desto mehr hofften wir von
dem lebendigen Geiste, der die Beamten und Angehörigen des Museums durch-
dringen, von den Anregungen, die von ihrem Kreise ausgehen würden.
Und gesetzt, es wäre eine passende Arbeit für die Konservatoren des germani¬
schen Museums, das deutsche Publicum zunächst und zuerst mit den Kleider-
trachten des vorigen Jahrhunderts, mit der Geschichte der Perücke und des
Zopfes vertraut zu machen; ist denn die äußere Erscheinungsweise, das Leben
des deutschen Volkes im Mittelalter in weiteren Kreisen so bekannt, daß man
flüchtig darüber hinweghüpfen darf, höchstens eine furze Nachlese auf diesem
Felde hält?

Die unleugbare Thatsache, die auch aus der Anlage des eben erwähnten
Werkes sich offenbart, daß wir das Lob kosmopolitischer, universeller Bildung
höher achten, als alle Vortheile, die aus der redlichen und gründliches Ein¬
kehr in das Volksthum entspringen mögen, führt uns wieder auf Violine-le-Duc
zurück. Wir machten es als Hauptvorwurf gegen die Publication der Vor¬
stände des germanischen Museums geltend, daß sie das deutsche Mittelalter
ungebührlich vernachlässigen, und begründeten diesen Vorwurf mit der überaus
geringen Kunde, die von demselben selbst in gebildeten und gelehrten heimischen
Kreisen herrscht. Darin beschämt uns Violine-le-Duc. Würde die Frage nach
der Zeit der höchsten Blüte deutscher Kunst im Mittelalter aufgeworfen, so
könnte man Hundert gegen Eins wetten, daß die Hälfte der Befragten die
Antwort schuldig bleiben, die andere Hälfte die Frage falsch beantworten. Die
letzteren würden gewiß auf die Zeit seit dem dreizehnten Jahrhundert, auf die
Herrschaft des gothischen Stiles, hindeuten, den man ja auch den deutschen
Stil zu nennen beliebt, obgleich er aus Frankreich stammt, von französischen
Architekten entwickelt wurde und in seinem Gefolge den französischen Einfluß
in alle Länder Europas bis nach Böhmen und Ungarn verpflanzte. Auch um
Gründe, ihre Behauptung zu rechtfertigen, wären sie nicht verlegen. Sie
brauchten nur aus den kölner Dom hinzuweisen, alö das erste und größte
Werk der Gothik und deS Mittelalters, und könnten der allgemeinen Zustim¬
mung gewiß sein, vollends wenn sie die Autorität des verstorbenen S,ulP>ce
Boisserve anriefen, der im Auslande noch mehr als in Deutschland als der
größte Kenner der mittelalterlichen Kunst gilt. Sulpice Boisserve hat sich gewiß


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0155" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/104356"/>
          <p xml:id="ID_407" prev="#ID_406"> unter den 40 Bildern blos 1ö, die sich auf das Mittelalter beziehen, elf aber,<lb/>
welche das französische Rococo verherrlichen. Es ist sehr zu beklagen, daß<lb/>
die Vorstände eines Institutes, das sich so gern ein vorzugsweise nationales<lb/>
nennen läßt und sein Dasein auf die lebendige Theilnahme des deutschen<lb/>
Volkes gründet, so sehr aller Einsicht, was dem deutschen Volke frommt und<lb/>
die Aufgabe des germanischen Museums bilden muß, entbehren. Die Samm¬<lb/>
lungen des germanischen Museums besitzen bekanntlich keinen sachlichen Werth.<lb/>
Darauf kam es auch bei seiner Gründung nicht an. Desto mehr hofften wir von<lb/>
dem lebendigen Geiste, der die Beamten und Angehörigen des Museums durch-<lb/>
dringen, von den Anregungen, die von ihrem Kreise ausgehen würden.<lb/>
Und gesetzt, es wäre eine passende Arbeit für die Konservatoren des germani¬<lb/>
schen Museums, das deutsche Publicum zunächst und zuerst mit den Kleider-<lb/>
trachten des vorigen Jahrhunderts, mit der Geschichte der Perücke und des<lb/>
Zopfes vertraut zu machen; ist denn die äußere Erscheinungsweise, das Leben<lb/>
des deutschen Volkes im Mittelalter in weiteren Kreisen so bekannt, daß man<lb/>
flüchtig darüber hinweghüpfen darf, höchstens eine furze Nachlese auf diesem<lb/>
Felde hält?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_408" next="#ID_409"> Die unleugbare Thatsache, die auch aus der Anlage des eben erwähnten<lb/>
Werkes sich offenbart, daß wir das Lob kosmopolitischer, universeller Bildung<lb/>
höher achten, als alle Vortheile, die aus der redlichen und gründliches Ein¬<lb/>
kehr in das Volksthum entspringen mögen, führt uns wieder auf Violine-le-Duc<lb/>
zurück. Wir machten es als Hauptvorwurf gegen die Publication der Vor¬<lb/>
stände des germanischen Museums geltend, daß sie das deutsche Mittelalter<lb/>
ungebührlich vernachlässigen, und begründeten diesen Vorwurf mit der überaus<lb/>
geringen Kunde, die von demselben selbst in gebildeten und gelehrten heimischen<lb/>
Kreisen herrscht. Darin beschämt uns Violine-le-Duc. Würde die Frage nach<lb/>
der Zeit der höchsten Blüte deutscher Kunst im Mittelalter aufgeworfen, so<lb/>
könnte man Hundert gegen Eins wetten, daß die Hälfte der Befragten die<lb/>
Antwort schuldig bleiben, die andere Hälfte die Frage falsch beantworten. Die<lb/>
letzteren würden gewiß auf die Zeit seit dem dreizehnten Jahrhundert, auf die<lb/>
Herrschaft des gothischen Stiles, hindeuten, den man ja auch den deutschen<lb/>
Stil zu nennen beliebt, obgleich er aus Frankreich stammt, von französischen<lb/>
Architekten entwickelt wurde und in seinem Gefolge den französischen Einfluß<lb/>
in alle Länder Europas bis nach Böhmen und Ungarn verpflanzte. Auch um<lb/>
Gründe, ihre Behauptung zu rechtfertigen, wären sie nicht verlegen. Sie<lb/>
brauchten nur aus den kölner Dom hinzuweisen, alö das erste und größte<lb/>
Werk der Gothik und deS Mittelalters, und könnten der allgemeinen Zustim¬<lb/>
mung gewiß sein, vollends wenn sie die Autorität des verstorbenen S,ulP&gt;ce<lb/>
Boisserve anriefen, der im Auslande noch mehr als in Deutschland als der<lb/>
größte Kenner der mittelalterlichen Kunst gilt. Sulpice Boisserve hat sich gewiß</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0155] unter den 40 Bildern blos 1ö, die sich auf das Mittelalter beziehen, elf aber, welche das französische Rococo verherrlichen. Es ist sehr zu beklagen, daß die Vorstände eines Institutes, das sich so gern ein vorzugsweise nationales nennen läßt und sein Dasein auf die lebendige Theilnahme des deutschen Volkes gründet, so sehr aller Einsicht, was dem deutschen Volke frommt und die Aufgabe des germanischen Museums bilden muß, entbehren. Die Samm¬ lungen des germanischen Museums besitzen bekanntlich keinen sachlichen Werth. Darauf kam es auch bei seiner Gründung nicht an. Desto mehr hofften wir von dem lebendigen Geiste, der die Beamten und Angehörigen des Museums durch- dringen, von den Anregungen, die von ihrem Kreise ausgehen würden. Und gesetzt, es wäre eine passende Arbeit für die Konservatoren des germani¬ schen Museums, das deutsche Publicum zunächst und zuerst mit den Kleider- trachten des vorigen Jahrhunderts, mit der Geschichte der Perücke und des Zopfes vertraut zu machen; ist denn die äußere Erscheinungsweise, das Leben des deutschen Volkes im Mittelalter in weiteren Kreisen so bekannt, daß man flüchtig darüber hinweghüpfen darf, höchstens eine furze Nachlese auf diesem Felde hält? Die unleugbare Thatsache, die auch aus der Anlage des eben erwähnten Werkes sich offenbart, daß wir das Lob kosmopolitischer, universeller Bildung höher achten, als alle Vortheile, die aus der redlichen und gründliches Ein¬ kehr in das Volksthum entspringen mögen, führt uns wieder auf Violine-le-Duc zurück. Wir machten es als Hauptvorwurf gegen die Publication der Vor¬ stände des germanischen Museums geltend, daß sie das deutsche Mittelalter ungebührlich vernachlässigen, und begründeten diesen Vorwurf mit der überaus geringen Kunde, die von demselben selbst in gebildeten und gelehrten heimischen Kreisen herrscht. Darin beschämt uns Violine-le-Duc. Würde die Frage nach der Zeit der höchsten Blüte deutscher Kunst im Mittelalter aufgeworfen, so könnte man Hundert gegen Eins wetten, daß die Hälfte der Befragten die Antwort schuldig bleiben, die andere Hälfte die Frage falsch beantworten. Die letzteren würden gewiß auf die Zeit seit dem dreizehnten Jahrhundert, auf die Herrschaft des gothischen Stiles, hindeuten, den man ja auch den deutschen Stil zu nennen beliebt, obgleich er aus Frankreich stammt, von französischen Architekten entwickelt wurde und in seinem Gefolge den französischen Einfluß in alle Länder Europas bis nach Böhmen und Ungarn verpflanzte. Auch um Gründe, ihre Behauptung zu rechtfertigen, wären sie nicht verlegen. Sie brauchten nur aus den kölner Dom hinzuweisen, alö das erste und größte Werk der Gothik und deS Mittelalters, und könnten der allgemeinen Zustim¬ mung gewiß sein, vollends wenn sie die Autorität des verstorbenen S,ulP>ce Boisserve anriefen, der im Auslande noch mehr als in Deutschland als der größte Kenner der mittelalterlichen Kunst gilt. Sulpice Boisserve hat sich gewiß

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/155
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/155>, abgerufen am 22.07.2024.