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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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Bestrebungen süddeutscher Architekten, in frischlebendiger Weise anzuknüpfen an
die localen Traditionen und die landschaftliche Umgebung und, wie es Eisen-
lohr in den badenschen Bahnhosbauten versucht hat, Werke zu schaffen, die
Zwar nur in diese bestimmte Oertlichkeit, in dieselbe aber ganz vollkommen
Passen, welche in der Wahl des Materielles, in der Behandlung der Formen
die strengste Volkstümlichkeit athmen, und die seit Jahrhunderten entbehrte
Verbindung zwischen der Kunst und dem nationalen Charakter überaus glück¬
lich wieder herstellen. Eisenlohrs Bauten sind berufen, auf architektonischem
Gebiete denselben Einfluß zu üben, den Auerbachs Dorfgeschichten in der
belletristischen Literatur errungen haben, nur daß sie ungleich naiver und in¬
nerlich wahrer auftreten, als die Werke des reflectirenden, seinen Helden durch
Sitte und Bildung gänzlich entfremdeten Dichters. Die gleiche Schärfe des
Blickes, die Viollet-le-Duc in seiner Anerkennung der badenschen Architektur
kundgibt, offenbart sich auch in dem feinen Verständniß der tyroler Bauern-
Häuser, deren Studium er den pariser Akademikern ernst an das Herz legt,
und in dem wohlverdienten Lobe, das er der einfachen und doch so anspre¬
chenden Construction des Münchner Bahnhofes spendet. Eben, weil sich die
Construction an diesem trefflichen Werke Bürkleins nirgend verbirgt, nirgend
du> übertünchte Lüge sich geltend macht, wirkt dasselbe so kräftig und durchaus
harmonisch. Der Münchner Bahnhof ist aber auch das Einzige, was von der
neuern Münchner Kunst Gnade in den Augen des Franzosen findet. Der Gang
die Ludwigsstraße entlang erfüllt ihn mit einer unheimlichen Empfindung,
nicht allein, weil ihm das Zwecklose und Abstracte der ganzen Anlage überall
entgegentritt, sondern weil er auch von den schlecht befestigten GypSvrnamenten
und Krönungsgliedern Gefahr für seinen Kopf wittert. In diesem Punkte,
wie auch in der Rüge, welche er dem äußerlich nachahmenden Charakter der
Münchner Architektur zu Theil werden läßt, wird er um so weniger auf einen
Widerspruch stoßen, als ja auch die deutsche Kritik schon längst, wenn auch
in schonenderer Weise ein ähnliches Urtheil über dieselbe gefällt hat. Desto
größeren Anstoß muß aber die herbe und offenbar unbillige Ansicht über Cor¬
nelius'Schöpfungen erregen. Der Mann, den wir als den größten Künstler
der Gegenwart verehren, wird als eine Caricatur Michel Angelos dargestellt,
als ein Manierist, der von dem Meister des sechzehnten Jahrhunderts einzelne
Geberden abschaute, ohne aber dessen Geist heraufbeschwören zu können: "un
NiLNel-^nxs <M kalt <Ze ^roh ^eux et Kranäes festes impo8sible8, xour
tiürs peur aux xeUt8 entants." Es ist ganz offenbar, daß dieses wegwerfende
Urtheil im Angesicht des jüngsten Gerichtes in der Ludwigskirche gesaßt wurde,
einem Werke, das allerdings zu den schwächsten deS Altmeisters deutscher Ma¬
lerei gehört und unwillkürlich, zu seinem Nachtheile, die Vergleichung mit dem
Wandbilde in der sirtinischen Kapelle wach ruft. Hätte der französische Kri-


Bestrebungen süddeutscher Architekten, in frischlebendiger Weise anzuknüpfen an
die localen Traditionen und die landschaftliche Umgebung und, wie es Eisen-
lohr in den badenschen Bahnhosbauten versucht hat, Werke zu schaffen, die
Zwar nur in diese bestimmte Oertlichkeit, in dieselbe aber ganz vollkommen
Passen, welche in der Wahl des Materielles, in der Behandlung der Formen
die strengste Volkstümlichkeit athmen, und die seit Jahrhunderten entbehrte
Verbindung zwischen der Kunst und dem nationalen Charakter überaus glück¬
lich wieder herstellen. Eisenlohrs Bauten sind berufen, auf architektonischem
Gebiete denselben Einfluß zu üben, den Auerbachs Dorfgeschichten in der
belletristischen Literatur errungen haben, nur daß sie ungleich naiver und in¬
nerlich wahrer auftreten, als die Werke des reflectirenden, seinen Helden durch
Sitte und Bildung gänzlich entfremdeten Dichters. Die gleiche Schärfe des
Blickes, die Viollet-le-Duc in seiner Anerkennung der badenschen Architektur
kundgibt, offenbart sich auch in dem feinen Verständniß der tyroler Bauern-
Häuser, deren Studium er den pariser Akademikern ernst an das Herz legt,
und in dem wohlverdienten Lobe, das er der einfachen und doch so anspre¬
chenden Construction des Münchner Bahnhofes spendet. Eben, weil sich die
Construction an diesem trefflichen Werke Bürkleins nirgend verbirgt, nirgend
du> übertünchte Lüge sich geltend macht, wirkt dasselbe so kräftig und durchaus
harmonisch. Der Münchner Bahnhof ist aber auch das Einzige, was von der
neuern Münchner Kunst Gnade in den Augen des Franzosen findet. Der Gang
die Ludwigsstraße entlang erfüllt ihn mit einer unheimlichen Empfindung,
nicht allein, weil ihm das Zwecklose und Abstracte der ganzen Anlage überall
entgegentritt, sondern weil er auch von den schlecht befestigten GypSvrnamenten
und Krönungsgliedern Gefahr für seinen Kopf wittert. In diesem Punkte,
wie auch in der Rüge, welche er dem äußerlich nachahmenden Charakter der
Münchner Architektur zu Theil werden läßt, wird er um so weniger auf einen
Widerspruch stoßen, als ja auch die deutsche Kritik schon längst, wenn auch
in schonenderer Weise ein ähnliches Urtheil über dieselbe gefällt hat. Desto
größeren Anstoß muß aber die herbe und offenbar unbillige Ansicht über Cor¬
nelius'Schöpfungen erregen. Der Mann, den wir als den größten Künstler
der Gegenwart verehren, wird als eine Caricatur Michel Angelos dargestellt,
als ein Manierist, der von dem Meister des sechzehnten Jahrhunderts einzelne
Geberden abschaute, ohne aber dessen Geist heraufbeschwören zu können: „un
NiLNel-^nxs <M kalt <Ze ^roh ^eux et Kranäes festes impo8sible8, xour
tiürs peur aux xeUt8 entants." Es ist ganz offenbar, daß dieses wegwerfende
Urtheil im Angesicht des jüngsten Gerichtes in der Ludwigskirche gesaßt wurde,
einem Werke, das allerdings zu den schwächsten deS Altmeisters deutscher Ma¬
lerei gehört und unwillkürlich, zu seinem Nachtheile, die Vergleichung mit dem
Wandbilde in der sirtinischen Kapelle wach ruft. Hätte der französische Kri-


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[0151] Bestrebungen süddeutscher Architekten, in frischlebendiger Weise anzuknüpfen an die localen Traditionen und die landschaftliche Umgebung und, wie es Eisen- lohr in den badenschen Bahnhosbauten versucht hat, Werke zu schaffen, die Zwar nur in diese bestimmte Oertlichkeit, in dieselbe aber ganz vollkommen Passen, welche in der Wahl des Materielles, in der Behandlung der Formen die strengste Volkstümlichkeit athmen, und die seit Jahrhunderten entbehrte Verbindung zwischen der Kunst und dem nationalen Charakter überaus glück¬ lich wieder herstellen. Eisenlohrs Bauten sind berufen, auf architektonischem Gebiete denselben Einfluß zu üben, den Auerbachs Dorfgeschichten in der belletristischen Literatur errungen haben, nur daß sie ungleich naiver und in¬ nerlich wahrer auftreten, als die Werke des reflectirenden, seinen Helden durch Sitte und Bildung gänzlich entfremdeten Dichters. Die gleiche Schärfe des Blickes, die Viollet-le-Duc in seiner Anerkennung der badenschen Architektur kundgibt, offenbart sich auch in dem feinen Verständniß der tyroler Bauern- Häuser, deren Studium er den pariser Akademikern ernst an das Herz legt, und in dem wohlverdienten Lobe, das er der einfachen und doch so anspre¬ chenden Construction des Münchner Bahnhofes spendet. Eben, weil sich die Construction an diesem trefflichen Werke Bürkleins nirgend verbirgt, nirgend du> übertünchte Lüge sich geltend macht, wirkt dasselbe so kräftig und durchaus harmonisch. Der Münchner Bahnhof ist aber auch das Einzige, was von der neuern Münchner Kunst Gnade in den Augen des Franzosen findet. Der Gang die Ludwigsstraße entlang erfüllt ihn mit einer unheimlichen Empfindung, nicht allein, weil ihm das Zwecklose und Abstracte der ganzen Anlage überall entgegentritt, sondern weil er auch von den schlecht befestigten GypSvrnamenten und Krönungsgliedern Gefahr für seinen Kopf wittert. In diesem Punkte, wie auch in der Rüge, welche er dem äußerlich nachahmenden Charakter der Münchner Architektur zu Theil werden läßt, wird er um so weniger auf einen Widerspruch stoßen, als ja auch die deutsche Kritik schon längst, wenn auch in schonenderer Weise ein ähnliches Urtheil über dieselbe gefällt hat. Desto größeren Anstoß muß aber die herbe und offenbar unbillige Ansicht über Cor¬ nelius'Schöpfungen erregen. Der Mann, den wir als den größten Künstler der Gegenwart verehren, wird als eine Caricatur Michel Angelos dargestellt, als ein Manierist, der von dem Meister des sechzehnten Jahrhunderts einzelne Geberden abschaute, ohne aber dessen Geist heraufbeschwören zu können: „un NiLNel-^nxs <M kalt <Ze ^roh ^eux et Kranäes festes impo8sible8, xour tiürs peur aux xeUt8 entants." Es ist ganz offenbar, daß dieses wegwerfende Urtheil im Angesicht des jüngsten Gerichtes in der Ludwigskirche gesaßt wurde, einem Werke, das allerdings zu den schwächsten deS Altmeisters deutscher Ma¬ lerei gehört und unwillkürlich, zu seinem Nachtheile, die Vergleichung mit dem Wandbilde in der sirtinischen Kapelle wach ruft. Hätte der französische Kri-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/151>, abgerufen am 03.07.2024.