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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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auseinandergesetzt, hat darauf zu Greifswald das Bürgerrecht gewonnen, da¬
selbst in der Fleischhauerstraße das Eckhaus, Herrn Brand Hartmann gegen¬
über, gekauft, und allmälig das Seinige von Nanzin in sein gekauftes Haus
geführt. So hat er sich ein Jahr vor meines Vaters Geburt von den Osten
geschieden und ist bürgerlichen Standes geworden.

Was geschieht? -- Merkt diese greuliche mörderische That! Anno 1i9i
ist Kindelbier zu Gribow, wo auch ein Horne seinen Sitz hat, es liegt nicht
weit von Nanzin, rechts, wenn man von Greifswald nach Ranzin fährt. Zu
demselben Kindelbier ist mein Großvater Hans Sastrow, als nächster Ver¬
wandter, geladen, hat seinen Sohn, meinen Vater, der damals ungefähr sieben
Jahr war, bei der Hand genommen und ist den kurzen Kirchweg dahin ge¬
gangen.

Die Horne von Nanzin haben zum Valet und Abschied diese Gelegenheit
nicht versäumen, sondern ins Werk setzen wollen, was sie seit vielen Jahren
im Herzen gehegt. Sie sind auch nach Gribow geritten, als wollten sie daselbst
ihren Vetter besuchen, und um die bequemste Gelegenheit selbst zu ersehn, sind
sie ins Kindelbier gegangen und haben sich mit an den Tisch gesetzt, woran
mein Großvater saß. Denn sie waren so herunter, daß sie die Bauernkost und
Gesellschaft nicht verschmähten. Als sich die Home nun spät am Nachmittag
voll getrunken, sind sie sämmtlich aufgestanden und haben ihren Biergang in
den Stall gemacht. Und vermeinten, sie wären dort allein. Es stand aber
einer von meines Großvaters Verwandten auch im Stalle in einem Winkel,
der hörte an, wozu sie sich entschlossen hatten, sie wollten eilig auf ihre Pferde
fallen, sobald sie merkten, daß mein Großvater ausbräche, um ihm unterwegens
zu begegnen uno alsdann ihn und auch sein Söhnlein zu Tode zu schlagen.

Der Mann kommt zu meinem Großvater, sagt ihm, waS er im Stall <
gehört hat und räth ihm, daß er sich noch bei Tage aufmachen und heim¬
gehen solle. Dem ist auch mein Großvater gefolgt, ist aufgestanden, hat seinen
Sohn, meinen Vater, bei der Hand genommen und ist nach Ranzin gegangen.
Als er aber auf halbem Wege zwischen Ranzin und Gribow in das Gehölz
im Moore kam, das mit Buschwerk und Gestrüpp bewachsen ist, haben die
mörderischen Bösewichter ihm den Weg versperrt, haben ihn mit den Pferden
zu Boden getreten und ihm den Leib voll Wunden gehauen, so daß sie nicht
anders meinten, als er wäre todt. Sie sind aber daran noch nicht ersättigt
gewesen, sondern haben ihn an einen großen Stein geschleppt, der noch jetzt
vorn in dem Moore liegt, haben ihm auf dem Stein die rechte Faust abge¬
hauen und ihn so für todt liegen lassen. Der Junge aber, mein Vater, ist
mittlerweile inS Moor gekrochen, hat sich im Gesträuch auf einen Rasenhügel
versteckt, daß sie mit den Pferden nicht zu ihm kommen und, da es anfing
finster zu werden, ihn in den Büschen auch nicht finden konnten.


auseinandergesetzt, hat darauf zu Greifswald das Bürgerrecht gewonnen, da¬
selbst in der Fleischhauerstraße das Eckhaus, Herrn Brand Hartmann gegen¬
über, gekauft, und allmälig das Seinige von Nanzin in sein gekauftes Haus
geführt. So hat er sich ein Jahr vor meines Vaters Geburt von den Osten
geschieden und ist bürgerlichen Standes geworden.

Was geschieht? — Merkt diese greuliche mörderische That! Anno 1i9i
ist Kindelbier zu Gribow, wo auch ein Horne seinen Sitz hat, es liegt nicht
weit von Nanzin, rechts, wenn man von Greifswald nach Ranzin fährt. Zu
demselben Kindelbier ist mein Großvater Hans Sastrow, als nächster Ver¬
wandter, geladen, hat seinen Sohn, meinen Vater, der damals ungefähr sieben
Jahr war, bei der Hand genommen und ist den kurzen Kirchweg dahin ge¬
gangen.

Die Horne von Nanzin haben zum Valet und Abschied diese Gelegenheit
nicht versäumen, sondern ins Werk setzen wollen, was sie seit vielen Jahren
im Herzen gehegt. Sie sind auch nach Gribow geritten, als wollten sie daselbst
ihren Vetter besuchen, und um die bequemste Gelegenheit selbst zu ersehn, sind
sie ins Kindelbier gegangen und haben sich mit an den Tisch gesetzt, woran
mein Großvater saß. Denn sie waren so herunter, daß sie die Bauernkost und
Gesellschaft nicht verschmähten. Als sich die Home nun spät am Nachmittag
voll getrunken, sind sie sämmtlich aufgestanden und haben ihren Biergang in
den Stall gemacht. Und vermeinten, sie wären dort allein. Es stand aber
einer von meines Großvaters Verwandten auch im Stalle in einem Winkel,
der hörte an, wozu sie sich entschlossen hatten, sie wollten eilig auf ihre Pferde
fallen, sobald sie merkten, daß mein Großvater ausbräche, um ihm unterwegens
zu begegnen uno alsdann ihn und auch sein Söhnlein zu Tode zu schlagen.

Der Mann kommt zu meinem Großvater, sagt ihm, waS er im Stall <
gehört hat und räth ihm, daß er sich noch bei Tage aufmachen und heim¬
gehen solle. Dem ist auch mein Großvater gefolgt, ist aufgestanden, hat seinen
Sohn, meinen Vater, bei der Hand genommen und ist nach Ranzin gegangen.
Als er aber auf halbem Wege zwischen Ranzin und Gribow in das Gehölz
im Moore kam, das mit Buschwerk und Gestrüpp bewachsen ist, haben die
mörderischen Bösewichter ihm den Weg versperrt, haben ihn mit den Pferden
zu Boden getreten und ihm den Leib voll Wunden gehauen, so daß sie nicht
anders meinten, als er wäre todt. Sie sind aber daran noch nicht ersättigt
gewesen, sondern haben ihn an einen großen Stein geschleppt, der noch jetzt
vorn in dem Moore liegt, haben ihm auf dem Stein die rechte Faust abge¬
hauen und ihn so für todt liegen lassen. Der Junge aber, mein Vater, ist
mittlerweile inS Moor gekrochen, hat sich im Gesträuch auf einen Rasenhügel
versteckt, daß sie mit den Pferden nicht zu ihm kommen und, da es anfing
finster zu werden, ihn in den Büschen auch nicht finden konnten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/14>, abgerufen am 25.08.2024.