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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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Declamationen gegen die Ehre wurden durch eine angeborene Bravour auch
ästhetisch gut gemacht. Er war ein ausgezeichneter Gesellschafter; seine per¬
sönliche Unterhaltung soll noch weit interessanter gewesen sein, als seine
schriftliche. Auf Widersprüche kam es ihm nicht an, weil er jedem Augenblick
des Lebens das gleiche Recht der Empfindung zuschrieb. Sein Spott war leb¬
haft, zuweilen glänzend, aber inhaltlos, ohne Behagen, bitter ohne sittlichen
Hinterhalt. Er glaubte an nichts und mochte doch von gewissen Dingen nicht
reden hören. Einige Monate vor seinem Tode schrieb er: ^<z me 8uis eollelv
soll: to riLiuil: esse le passo^e cM est <Z6saArLÄblL, et cetto norreur provl-
(int, als toutss l<zö maisvriös qu'ein noUs ", mises Zams les lstss a trois ans.

Seine erste Schrift waren die wiener Briefe über Haydn, Mozart und
Metastasio 18-Il-, zum großen Theil eine Ueberarbeitung bekannter deutscher
und italienischer Artikel, wie denn überhaupt Beyle sich gern auf schon vor¬
handene Quellen stützte, die er nur ganz leicht überarbeitete. Auch in der
Musik neigt sich sein Geschmack den Italienern zu. Wenn er Mozart gelten
läßt, so ist das kein Widerspruch; über Beethoven spricht er sich höchst zweifel¬
haft, und über Weber mit souveräner Geringschätzung aus. An diese Jugend¬
arbeit schloß sich 1823 das Leben Rossinis, seines Lieblingscomponisten. Da¬
mals gehörte einige Kühnheit dazu, die italienische Musik über die französische
ZU setzen; der Patriotismus war noch zu aufgeregt, um ein unbefangenes Ur¬
theil zu erlauben. Jetzt macht manche Paradorie den Eindruck eines Gemein¬
platzes. Das letzte Buch hat in der guten Gesellschaft Glück gemacht und ver¬
dient es wegen seines liebenswürdigen Tons. -- -1817 folgte die Geschichte
der italienischen Malerei, das Werk, welches er am sorgfältigsten aus¬
gearbeitet hat, in dem er die Früchte dreijähriger Arbeit niederlegte, und dessen
geringen Erfolg er daher mit großer Bitterkeit empfand. Die italienische Kunst
ist vielleicht der einzige Gegenstand, über den er sich mit Enthusiasmus ausspricht;
nur ist er zu wenig eigentlicher Kenner, um diesen Enthusiasmus objectiv zu
begründen. Die Art und Weise, wie er die Eindrücke jener Gemälde auf seine
Seele analysirt, erinnert an die spätern Versuche, Werke der Tonkunst ins
Poetische zu übersetzen. Die augenblickliche Stimmung ist maßgebend. Zudem
verräth es eine gewisse Einseitigkeit, wenn er den christlichen Inhalt der Kunst
als entweder platt oder häßlich bezeichnet. Trotz aller Verirrungen der christ¬
lichen Richtung muß man doch, um die italienische Kunst richtig zu würdigen,
im Staude sein, sich das christliche Ideal poetisch zu versinnlichen. Im Stillen
schwebt ihm aber stets daS rein sinnliche antike Ideal vor, sogar mit einer
gewissen Vorliebe für das priapische Element. Die Composition des Buchs
ist um so wunderlicher, da sie das Gegentheil der Naivetät verräth. Es ent¬
hält die Lebensbeschreibungen Leonardos und Michel Angeloö, und dazwischen
eingeschoben eine Theorie deS Schönen (to de-an n'est ML la snMis co I'utllk),


Declamationen gegen die Ehre wurden durch eine angeborene Bravour auch
ästhetisch gut gemacht. Er war ein ausgezeichneter Gesellschafter; seine per¬
sönliche Unterhaltung soll noch weit interessanter gewesen sein, als seine
schriftliche. Auf Widersprüche kam es ihm nicht an, weil er jedem Augenblick
des Lebens das gleiche Recht der Empfindung zuschrieb. Sein Spott war leb¬
haft, zuweilen glänzend, aber inhaltlos, ohne Behagen, bitter ohne sittlichen
Hinterhalt. Er glaubte an nichts und mochte doch von gewissen Dingen nicht
reden hören. Einige Monate vor seinem Tode schrieb er: ^<z me 8uis eollelv
soll: to riLiuil: esse le passo^e cM est <Z6saArLÄblL, et cetto norreur provl-
(int, als toutss l<zö maisvriös qu'ein noUs », mises Zams les lstss a trois ans.

Seine erste Schrift waren die wiener Briefe über Haydn, Mozart und
Metastasio 18-Il-, zum großen Theil eine Ueberarbeitung bekannter deutscher
und italienischer Artikel, wie denn überhaupt Beyle sich gern auf schon vor¬
handene Quellen stützte, die er nur ganz leicht überarbeitete. Auch in der
Musik neigt sich sein Geschmack den Italienern zu. Wenn er Mozart gelten
läßt, so ist das kein Widerspruch; über Beethoven spricht er sich höchst zweifel¬
haft, und über Weber mit souveräner Geringschätzung aus. An diese Jugend¬
arbeit schloß sich 1823 das Leben Rossinis, seines Lieblingscomponisten. Da¬
mals gehörte einige Kühnheit dazu, die italienische Musik über die französische
ZU setzen; der Patriotismus war noch zu aufgeregt, um ein unbefangenes Ur¬
theil zu erlauben. Jetzt macht manche Paradorie den Eindruck eines Gemein¬
platzes. Das letzte Buch hat in der guten Gesellschaft Glück gemacht und ver¬
dient es wegen seines liebenswürdigen Tons. — -1817 folgte die Geschichte
der italienischen Malerei, das Werk, welches er am sorgfältigsten aus¬
gearbeitet hat, in dem er die Früchte dreijähriger Arbeit niederlegte, und dessen
geringen Erfolg er daher mit großer Bitterkeit empfand. Die italienische Kunst
ist vielleicht der einzige Gegenstand, über den er sich mit Enthusiasmus ausspricht;
nur ist er zu wenig eigentlicher Kenner, um diesen Enthusiasmus objectiv zu
begründen. Die Art und Weise, wie er die Eindrücke jener Gemälde auf seine
Seele analysirt, erinnert an die spätern Versuche, Werke der Tonkunst ins
Poetische zu übersetzen. Die augenblickliche Stimmung ist maßgebend. Zudem
verräth es eine gewisse Einseitigkeit, wenn er den christlichen Inhalt der Kunst
als entweder platt oder häßlich bezeichnet. Trotz aller Verirrungen der christ¬
lichen Richtung muß man doch, um die italienische Kunst richtig zu würdigen,
im Staude sein, sich das christliche Ideal poetisch zu versinnlichen. Im Stillen
schwebt ihm aber stets daS rein sinnliche antike Ideal vor, sogar mit einer
gewissen Vorliebe für das priapische Element. Die Composition des Buchs
ist um so wunderlicher, da sie das Gegentheil der Naivetät verräth. Es ent¬
hält die Lebensbeschreibungen Leonardos und Michel Angeloö, und dazwischen
eingeschoben eine Theorie deS Schönen (to de-an n'est ML la snMis co I'utllk),


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/111>, abgerufen am 24.08.2024.