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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band.

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originell hielt er aber nur, was der Regel widersprach. Daher forcirte er die
Paradorien seines Lebens wie seiner Ideen, und war dann am wenigsten na¬
türlich, wenn er am eifrigsten der Natur nachjagte. Sei" Haß gegen den
Carl ging bis zum Fanatismus. Er verstand darunter alles, was entfernt
an eine sittliche Idee erinnerte. Ein jeder, derben natürlichen Egoismus des
Einzelnen bekämpfte, war ihm ein Tartüffe. Neberströmend von Esprit, fehlte
ihm doch das innere Behagen der englischen Humoristen. Auch wenn er scherzt,
ist er nicht heiter, und sein Witz ermüdet, weil man merkt, daß er sich stets
mit dem Eindruck beschäftigt, den er auf andere macht. In dem Gefühl, daß
die Welt von Tartuffes erfüllt sei, verlachte er die Popularität, und gegen
seine eignen Neigungen mißtrauisch, bekämpfte er auch in den kleinsten Aeu¬
ßerungen die Affectation. Aus Haß gegen die Heuchelei trieb er mit beson¬
derer Vorliebe die Mathematik und ließ keine andere Beweisführung zu, als
die geometrische. In allen Dingen skeptisch, trieb er den Skepticismus mit
einer Art Leidenschaft. Er glaubte nicht an Gott, aber ex haßte ihn doch ge¬
wissermaßen, weil er die Welt so verkehrt gemacht habe. 0<z qui ex<uis"z
l)ieu, sagt er, e'est, (Mi ki'vxisle pas. In der positiven Religion sah er nichts
als eine Verschwörung schlauer Priester gegen das wahre Glück der Volker,
wer dem Menschen eine andere Pflicht einreden wolle, als die höchste, einzige,
für sein Glück zu sorgen, sei ein Tartüffe; das Glück aber liege in der sinn¬
lichen Befriedigung. Das Leben ist kurz, darauf folgt daS Nichts; das Glück
schnell und entschlossen zu ergreifen, je nach dem individuelle" Temperament,
ist das einzige Gesetz, das der Mensch sich auferlegen darf. -- Auferwachsen
in den Theorien von Helvetius, fest überzeugt, daß die Selbstsucht die Trieb¬
feder aller menschlichen Handlungen sei, fand er ein unheimliches Vergnügen
darin, große und schöne Handlungen zu analystren und sie in ihrer innern
Hohlheit nachzuweisen. Er hatte eine beständige Furcht, durch sein Gefühl
getäuscht und zu irgend einem falschen Enthusiasmus hingerissen zu werden.
Spätere Moralschriftsteller haben sich über diese Herzlosigkeit entsetzt, im
Grunde versteckte sich aber eine geheime Sentimentalität dahinter. Zwei Jahre
vor seinem Tode schrieb er: IVIa 8snsibilll.L <Z8l ckevsuu" trop vive; ani us
kalt qu'ekkleurer leg aulrvs n,<z hiesse jusou'an san^. 'l'el j'^tuis vn 1799,
est je suis encore on 18iOi mais j'al appris a caener Wut cela sous cle l'i-
ronie impsieeplible an vulAaire, Ein ander Mal heißt es: .Jo lremble
toujours als n'avoir vern, ein'un soupir, yuand je crois avoir lodo une veritv.
Das entschuldigt ihn keineswegs, denn seine Husarenmoral wirkt verführerisch
auf die Eitelkeit junger Leute, wie sie auch aus der Eitelkeit hervorging. Es
schmeichelte ihm, ein zweiter Larochefoucauld, ein zweiter Lord Chesterfteld, ein
zweiter Macchiavell zu sein. Die Sache wurde darum nicht besser, weil er
nur eine Rolle spielte. Nur war er in seinem Cynismus kein Falstaff. Seine


originell hielt er aber nur, was der Regel widersprach. Daher forcirte er die
Paradorien seines Lebens wie seiner Ideen, und war dann am wenigsten na¬
türlich, wenn er am eifrigsten der Natur nachjagte. Sei» Haß gegen den
Carl ging bis zum Fanatismus. Er verstand darunter alles, was entfernt
an eine sittliche Idee erinnerte. Ein jeder, derben natürlichen Egoismus des
Einzelnen bekämpfte, war ihm ein Tartüffe. Neberströmend von Esprit, fehlte
ihm doch das innere Behagen der englischen Humoristen. Auch wenn er scherzt,
ist er nicht heiter, und sein Witz ermüdet, weil man merkt, daß er sich stets
mit dem Eindruck beschäftigt, den er auf andere macht. In dem Gefühl, daß
die Welt von Tartuffes erfüllt sei, verlachte er die Popularität, und gegen
seine eignen Neigungen mißtrauisch, bekämpfte er auch in den kleinsten Aeu¬
ßerungen die Affectation. Aus Haß gegen die Heuchelei trieb er mit beson¬
derer Vorliebe die Mathematik und ließ keine andere Beweisführung zu, als
die geometrische. In allen Dingen skeptisch, trieb er den Skepticismus mit
einer Art Leidenschaft. Er glaubte nicht an Gott, aber ex haßte ihn doch ge¬
wissermaßen, weil er die Welt so verkehrt gemacht habe. 0<z qui ex<uis«z
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als eine Verschwörung schlauer Priester gegen das wahre Glück der Volker,
wer dem Menschen eine andere Pflicht einreden wolle, als die höchste, einzige,
für sein Glück zu sorgen, sei ein Tartüffe; das Glück aber liege in der sinn¬
lichen Befriedigung. Das Leben ist kurz, darauf folgt daS Nichts; das Glück
schnell und entschlossen zu ergreifen, je nach dem individuelle« Temperament,
ist das einzige Gesetz, das der Mensch sich auferlegen darf. — Auferwachsen
in den Theorien von Helvetius, fest überzeugt, daß die Selbstsucht die Trieb¬
feder aller menschlichen Handlungen sei, fand er ein unheimliches Vergnügen
darin, große und schöne Handlungen zu analystren und sie in ihrer innern
Hohlheit nachzuweisen. Er hatte eine beständige Furcht, durch sein Gefühl
getäuscht und zu irgend einem falschen Enthusiasmus hingerissen zu werden.
Spätere Moralschriftsteller haben sich über diese Herzlosigkeit entsetzt, im
Grunde versteckte sich aber eine geheime Sentimentalität dahinter. Zwei Jahre
vor seinem Tode schrieb er: IVIa 8snsibilll.L <Z8l ckevsuu« trop vive; ani us
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toujours als n'avoir vern, ein'un soupir, yuand je crois avoir lodo une veritv.
Das entschuldigt ihn keineswegs, denn seine Husarenmoral wirkt verführerisch
auf die Eitelkeit junger Leute, wie sie auch aus der Eitelkeit hervorging. Es
schmeichelte ihm, ein zweiter Larochefoucauld, ein zweiter Lord Chesterfteld, ein
zweiter Macchiavell zu sein. Die Sache wurde darum nicht besser, weil er
nur eine Rolle spielte. Nur war er in seinem Cynismus kein Falstaff. Seine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104200/110>, abgerufen am 03.07.2024.