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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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An der Hamburger Börse.
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Man kann die Hamburger Börse in ihreirt Verhältnisse zü Hamburg mit
vielerlei Dingen vergleichen: mit dem Herzen, das den Puls'schlag und den
Blutumlauf im Körper regulirt, mit der Lunge, die den ganzen Körper athmen
und leben läßt, mit den Händen, dem ersten und natürlichsten Arbeitswerkzeuge
der Menschen. Oder auch mit einer Kirchengemeinde, welche im nnÄen
Durcheinander der Stimmen dem Gotte Plutus nicht tägliche Opfer dar¬
bringt, sondern ihm deren abverlangt, und das Börsengebäude selbst mit
einem Tempel, in welchem allmittäglich um ein Uhr unter deM feierlichen
Geläute einer wohlbekannten Glocke von nah und sern aus allen Theilen der
Stadt die Scharen der Andächtigen hineinwandeln, gratis, bis der letzte Schall
der Glocke verklungen, für vier Schillinge (3 Sgr.), wenn sie verhallt hat, der
Ordnung halber und zum Besten der Witwen und Waisen der die Geschäfte
vermittelnden Makler.

Vielleicht ist von allen diesen Gleichnissen das mit dem Tempel und der
Gemeinde daS passendste. Kein Glaube wurzelt in Hamburg so fest, als der
an die Börse; kein Ansehen steht höher als das der Börse. "Diese oder jene
Ansicht herrscht an der Börse," oder gar "es ist im Interesse der Börse," das
sind in Hamburg Wendungen von der inhaltschwersten Bedeutung. Der Ham¬
burger kommt je zuweilen in einen kleinen Conflict mit seinen stacltsbürgetlichen,
oder richtiger stadtbürgerlichen Pflichten; er vergißt sogar mitunter eine Rücksicht
gegen seine Nebenmenschen oder seine Familie; aber mit der "Börse" wagt keirier
es zu verderben. Wir laden sämmtliche Potentaten zur Galerie litt Immer" deS
Börsengebäudes ein, ob sie mehr als vorübergehende Aufmerksamkeit erregen werden,
so pflichteifrig ist man, und Hr. Thiers halte im vorigen Sommer eine voll-


"Srenzbotcn II. -I8L7. 1-1
An der Hamburger Börse.
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Man kann die Hamburger Börse in ihreirt Verhältnisse zü Hamburg mit
vielerlei Dingen vergleichen: mit dem Herzen, das den Puls'schlag und den
Blutumlauf im Körper regulirt, mit der Lunge, die den ganzen Körper athmen
und leben läßt, mit den Händen, dem ersten und natürlichsten Arbeitswerkzeuge
der Menschen. Oder auch mit einer Kirchengemeinde, welche im nnÄen
Durcheinander der Stimmen dem Gotte Plutus nicht tägliche Opfer dar¬
bringt, sondern ihm deren abverlangt, und das Börsengebäude selbst mit
einem Tempel, in welchem allmittäglich um ein Uhr unter deM feierlichen
Geläute einer wohlbekannten Glocke von nah und sern aus allen Theilen der
Stadt die Scharen der Andächtigen hineinwandeln, gratis, bis der letzte Schall
der Glocke verklungen, für vier Schillinge (3 Sgr.), wenn sie verhallt hat, der
Ordnung halber und zum Besten der Witwen und Waisen der die Geschäfte
vermittelnden Makler.

Vielleicht ist von allen diesen Gleichnissen das mit dem Tempel und der
Gemeinde daS passendste. Kein Glaube wurzelt in Hamburg so fest, als der
an die Börse; kein Ansehen steht höher als das der Börse. „Diese oder jene
Ansicht herrscht an der Börse," oder gar „es ist im Interesse der Börse," das
sind in Hamburg Wendungen von der inhaltschwersten Bedeutung. Der Ham¬
burger kommt je zuweilen in einen kleinen Conflict mit seinen stacltsbürgetlichen,
oder richtiger stadtbürgerlichen Pflichten; er vergißt sogar mitunter eine Rücksicht
gegen seine Nebenmenschen oder seine Familie; aber mit der „Börse" wagt keirier
es zu verderben. Wir laden sämmtliche Potentaten zur Galerie litt Immer« deS
Börsengebäudes ein, ob sie mehr als vorübergehende Aufmerksamkeit erregen werden,
so pflichteifrig ist man, und Hr. Thiers halte im vorigen Sommer eine voll-


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[0089] An der Hamburger Börse. '- ^ Man kann die Hamburger Börse in ihreirt Verhältnisse zü Hamburg mit vielerlei Dingen vergleichen: mit dem Herzen, das den Puls'schlag und den Blutumlauf im Körper regulirt, mit der Lunge, die den ganzen Körper athmen und leben läßt, mit den Händen, dem ersten und natürlichsten Arbeitswerkzeuge der Menschen. Oder auch mit einer Kirchengemeinde, welche im nnÄen Durcheinander der Stimmen dem Gotte Plutus nicht tägliche Opfer dar¬ bringt, sondern ihm deren abverlangt, und das Börsengebäude selbst mit einem Tempel, in welchem allmittäglich um ein Uhr unter deM feierlichen Geläute einer wohlbekannten Glocke von nah und sern aus allen Theilen der Stadt die Scharen der Andächtigen hineinwandeln, gratis, bis der letzte Schall der Glocke verklungen, für vier Schillinge (3 Sgr.), wenn sie verhallt hat, der Ordnung halber und zum Besten der Witwen und Waisen der die Geschäfte vermittelnden Makler. Vielleicht ist von allen diesen Gleichnissen das mit dem Tempel und der Gemeinde daS passendste. Kein Glaube wurzelt in Hamburg so fest, als der an die Börse; kein Ansehen steht höher als das der Börse. „Diese oder jene Ansicht herrscht an der Börse," oder gar „es ist im Interesse der Börse," das sind in Hamburg Wendungen von der inhaltschwersten Bedeutung. Der Ham¬ burger kommt je zuweilen in einen kleinen Conflict mit seinen stacltsbürgetlichen, oder richtiger stadtbürgerlichen Pflichten; er vergißt sogar mitunter eine Rücksicht gegen seine Nebenmenschen oder seine Familie; aber mit der „Börse" wagt keirier es zu verderben. Wir laden sämmtliche Potentaten zur Galerie litt Immer« deS Börsengebäudes ein, ob sie mehr als vorübergehende Aufmerksamkeit erregen werden, so pflichteifrig ist man, und Hr. Thiers halte im vorigen Sommer eine voll- «Srenzbotcn II. -I8L7. 1-1

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/89>, abgerufen am 28.07.2024.