Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

war sie unter allen denkbaren Verfassungen immer noch die erträglichste. Sie
hat auch für Deutschland eine" großen Gewinn, denn sie hindert wenigstens
den leichtsinnigen Bürgerkrieg, das leichtsinnige Bündniß mit dem
Ausland; aber sie ist nicht dazu angethan, für Deutschland eine positive Politik
möglich zu machen. Sie ist im Großen das, was die Eidgenossenschaft vor
18i7 im Kleinen war, nur freilich mit dem Unterschied, daß sie zwei Gro߬
mächte umfaßt, die auf eigne Hand Politik treiben können. Eine weitere
Entwicklung dieser Verfassung ist auch nicht wol denkbar, am wenigsten durch
das wohlgemeinte, aber absurde Mittel einer Volksvertretung am Bundestage.
Die wahre Entwicklung, vorläufig in den materiellen Fragen, findet außerhalb
des Bundestages statt, in dem Zollverein, den Verträgen über Münze und
Gewicht und Vergleichen: Verträge, die zwischen Oestreich einerseits, dem
übrigen Deutschland andererseits geschlossen werden.

Wir wollen noch einige Bemerkungen des Verfassers über die Politik der
Mittelstädten anführen, die bei einem eifrigen Vertheidiger der Mittelstaaten
wohl zu beachten sind. Er spricht von den Verwandtschafren, die Nußland mit
den deutschen Fürsten angeknüpft hat. "Bei einem Bundesstaaie wie Deutsch¬
land, in welchem wichtige Beschlüsse nur durch Stimmeneinheit oder Stimmen¬
mehrheit zu erzielen sind, können daher solche, von einer außerhalb des Bundes
stehenden Großmacht gehandhabte Lenkseile das Mittel werden, wichtige
Beschlüsse, welche dieser Macht unangenehm sein müßten, zu vereiteln oder
doch ihre Ausführung zu erschweren. Die politische Selbstständigkeit des
Bundes wird dadurch etwas illusorisch." (S. 60.) "Wir sind in die Geheim¬
nisse der Diplomatie viel zu wenig eingeweiht, um mit einiger Sicherheit
sagen zu können, weshalb grade die mittleren und kleineren Bundesstaaten
eine besondere Hinneigung gegen Nußland zu erkennen gegeben haben. ... ES
muß wol angenommen werden, daß die mittleren und kleineren Bundesglieder
gegen die möglichen Folgen eines möglichen Einverständnisses zwischen Oest¬
reich und Preußen zu ihrer allmäligen Unterdrückung sich den Beistand einer
fremden Schutzmacht sichern wollten. Aus diese Weise erklärt sich das Prä-
dicat "conservativ", mit welchem deutsche Federn und Zungen die russische
Politik zu verherrlichen suchten, denn wir denken zu gut "von ihnen, um den
Verdacht hegen zu wollen, daß sie für die russische Willkürherrschaft Sympa¬
thien gehabt hätten." (S. 61.)"Gäbe es in Deutschland nur eine Gro߬
macht, so würde diese der natürliche Stützpunkt sein. Da es aber zwei
deutsche Großmächte gibt, welche noch dazu europäische sind, und diese beiden
Großmächte zeitweilige sich in das Gesicht geschlagen, oder sich grollend den
Rücken zugekehrt haben, so suchten die Mitlelftaaten Schutz und Vortheil in
einem politischen Schaukelsystem, das sich nicht einmal immer zwischen diesen
beiden Großmächten bewegte, sondern auch Frankreich oder Rußland zu An-


war sie unter allen denkbaren Verfassungen immer noch die erträglichste. Sie
hat auch für Deutschland eine» großen Gewinn, denn sie hindert wenigstens
den leichtsinnigen Bürgerkrieg, das leichtsinnige Bündniß mit dem
Ausland; aber sie ist nicht dazu angethan, für Deutschland eine positive Politik
möglich zu machen. Sie ist im Großen das, was die Eidgenossenschaft vor
18i7 im Kleinen war, nur freilich mit dem Unterschied, daß sie zwei Gro߬
mächte umfaßt, die auf eigne Hand Politik treiben können. Eine weitere
Entwicklung dieser Verfassung ist auch nicht wol denkbar, am wenigsten durch
das wohlgemeinte, aber absurde Mittel einer Volksvertretung am Bundestage.
Die wahre Entwicklung, vorläufig in den materiellen Fragen, findet außerhalb
des Bundestages statt, in dem Zollverein, den Verträgen über Münze und
Gewicht und Vergleichen: Verträge, die zwischen Oestreich einerseits, dem
übrigen Deutschland andererseits geschlossen werden.

Wir wollen noch einige Bemerkungen des Verfassers über die Politik der
Mittelstädten anführen, die bei einem eifrigen Vertheidiger der Mittelstaaten
wohl zu beachten sind. Er spricht von den Verwandtschafren, die Nußland mit
den deutschen Fürsten angeknüpft hat. „Bei einem Bundesstaaie wie Deutsch¬
land, in welchem wichtige Beschlüsse nur durch Stimmeneinheit oder Stimmen¬
mehrheit zu erzielen sind, können daher solche, von einer außerhalb des Bundes
stehenden Großmacht gehandhabte Lenkseile das Mittel werden, wichtige
Beschlüsse, welche dieser Macht unangenehm sein müßten, zu vereiteln oder
doch ihre Ausführung zu erschweren. Die politische Selbstständigkeit des
Bundes wird dadurch etwas illusorisch." (S. 60.) „Wir sind in die Geheim¬
nisse der Diplomatie viel zu wenig eingeweiht, um mit einiger Sicherheit
sagen zu können, weshalb grade die mittleren und kleineren Bundesstaaten
eine besondere Hinneigung gegen Nußland zu erkennen gegeben haben. ... ES
muß wol angenommen werden, daß die mittleren und kleineren Bundesglieder
gegen die möglichen Folgen eines möglichen Einverständnisses zwischen Oest¬
reich und Preußen zu ihrer allmäligen Unterdrückung sich den Beistand einer
fremden Schutzmacht sichern wollten. Aus diese Weise erklärt sich das Prä-
dicat „conservativ", mit welchem deutsche Federn und Zungen die russische
Politik zu verherrlichen suchten, denn wir denken zu gut "von ihnen, um den
Verdacht hegen zu wollen, daß sie für die russische Willkürherrschaft Sympa¬
thien gehabt hätten." (S. 61.)„Gäbe es in Deutschland nur eine Gro߬
macht, so würde diese der natürliche Stützpunkt sein. Da es aber zwei
deutsche Großmächte gibt, welche noch dazu europäische sind, und diese beiden
Großmächte zeitweilige sich in das Gesicht geschlagen, oder sich grollend den
Rücken zugekehrt haben, so suchten die Mitlelftaaten Schutz und Vortheil in
einem politischen Schaukelsystem, das sich nicht einmal immer zwischen diesen
beiden Großmächten bewegte, sondern auch Frankreich oder Rußland zu An-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0056" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/103723"/>
          <p xml:id="ID_136" prev="#ID_135"> war sie unter allen denkbaren Verfassungen immer noch die erträglichste. Sie<lb/>
hat auch für Deutschland eine» großen Gewinn, denn sie hindert wenigstens<lb/>
den leichtsinnigen Bürgerkrieg, das leichtsinnige Bündniß mit dem<lb/>
Ausland; aber sie ist nicht dazu angethan, für Deutschland eine positive Politik<lb/>
möglich zu machen. Sie ist im Großen das, was die Eidgenossenschaft vor<lb/>
18i7 im Kleinen war, nur freilich mit dem Unterschied, daß sie zwei Gro߬<lb/>
mächte umfaßt, die auf eigne Hand Politik treiben können. Eine weitere<lb/>
Entwicklung dieser Verfassung ist auch nicht wol denkbar, am wenigsten durch<lb/>
das wohlgemeinte, aber absurde Mittel einer Volksvertretung am Bundestage.<lb/>
Die wahre Entwicklung, vorläufig in den materiellen Fragen, findet außerhalb<lb/>
des Bundestages statt, in dem Zollverein, den Verträgen über Münze und<lb/>
Gewicht und Vergleichen: Verträge, die zwischen Oestreich einerseits, dem<lb/>
übrigen Deutschland andererseits geschlossen werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_137" next="#ID_138"> Wir wollen noch einige Bemerkungen des Verfassers über die Politik der<lb/>
Mittelstädten anführen, die bei einem eifrigen Vertheidiger der Mittelstaaten<lb/>
wohl zu beachten sind. Er spricht von den Verwandtschafren, die Nußland mit<lb/>
den deutschen Fürsten angeknüpft hat. &#x201E;Bei einem Bundesstaaie wie Deutsch¬<lb/>
land, in welchem wichtige Beschlüsse nur durch Stimmeneinheit oder Stimmen¬<lb/>
mehrheit zu erzielen sind, können daher solche, von einer außerhalb des Bundes<lb/>
stehenden Großmacht gehandhabte Lenkseile das Mittel werden, wichtige<lb/>
Beschlüsse, welche dieser Macht unangenehm sein müßten, zu vereiteln oder<lb/>
doch ihre Ausführung zu erschweren. Die politische Selbstständigkeit des<lb/>
Bundes wird dadurch etwas illusorisch." (S. 60.) &#x201E;Wir sind in die Geheim¬<lb/>
nisse der Diplomatie viel zu wenig eingeweiht, um mit einiger Sicherheit<lb/>
sagen zu können, weshalb grade die mittleren und kleineren Bundesstaaten<lb/>
eine besondere Hinneigung gegen Nußland zu erkennen gegeben haben. ... ES<lb/>
muß wol angenommen werden, daß die mittleren und kleineren Bundesglieder<lb/>
gegen die möglichen Folgen eines möglichen Einverständnisses zwischen Oest¬<lb/>
reich und Preußen zu ihrer allmäligen Unterdrückung sich den Beistand einer<lb/>
fremden Schutzmacht sichern wollten. Aus diese Weise erklärt sich das Prä-<lb/>
dicat &#x201E;conservativ", mit welchem deutsche Federn und Zungen die russische<lb/>
Politik zu verherrlichen suchten, denn wir denken zu gut "von ihnen, um den<lb/>
Verdacht hegen zu wollen, daß sie für die russische Willkürherrschaft Sympa¬<lb/>
thien gehabt hätten." (S. 61.)&#x201E;Gäbe es in Deutschland nur eine Gro߬<lb/>
macht, so würde diese der natürliche Stützpunkt sein. Da es aber zwei<lb/>
deutsche Großmächte gibt, welche noch dazu europäische sind, und diese beiden<lb/>
Großmächte zeitweilige sich in das Gesicht geschlagen, oder sich grollend den<lb/>
Rücken zugekehrt haben, so suchten die Mitlelftaaten Schutz und Vortheil in<lb/>
einem politischen Schaukelsystem, das sich nicht einmal immer zwischen diesen<lb/>
beiden Großmächten bewegte, sondern auch Frankreich oder Rußland zu An-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0056] war sie unter allen denkbaren Verfassungen immer noch die erträglichste. Sie hat auch für Deutschland eine» großen Gewinn, denn sie hindert wenigstens den leichtsinnigen Bürgerkrieg, das leichtsinnige Bündniß mit dem Ausland; aber sie ist nicht dazu angethan, für Deutschland eine positive Politik möglich zu machen. Sie ist im Großen das, was die Eidgenossenschaft vor 18i7 im Kleinen war, nur freilich mit dem Unterschied, daß sie zwei Gro߬ mächte umfaßt, die auf eigne Hand Politik treiben können. Eine weitere Entwicklung dieser Verfassung ist auch nicht wol denkbar, am wenigsten durch das wohlgemeinte, aber absurde Mittel einer Volksvertretung am Bundestage. Die wahre Entwicklung, vorläufig in den materiellen Fragen, findet außerhalb des Bundestages statt, in dem Zollverein, den Verträgen über Münze und Gewicht und Vergleichen: Verträge, die zwischen Oestreich einerseits, dem übrigen Deutschland andererseits geschlossen werden. Wir wollen noch einige Bemerkungen des Verfassers über die Politik der Mittelstädten anführen, die bei einem eifrigen Vertheidiger der Mittelstaaten wohl zu beachten sind. Er spricht von den Verwandtschafren, die Nußland mit den deutschen Fürsten angeknüpft hat. „Bei einem Bundesstaaie wie Deutsch¬ land, in welchem wichtige Beschlüsse nur durch Stimmeneinheit oder Stimmen¬ mehrheit zu erzielen sind, können daher solche, von einer außerhalb des Bundes stehenden Großmacht gehandhabte Lenkseile das Mittel werden, wichtige Beschlüsse, welche dieser Macht unangenehm sein müßten, zu vereiteln oder doch ihre Ausführung zu erschweren. Die politische Selbstständigkeit des Bundes wird dadurch etwas illusorisch." (S. 60.) „Wir sind in die Geheim¬ nisse der Diplomatie viel zu wenig eingeweiht, um mit einiger Sicherheit sagen zu können, weshalb grade die mittleren und kleineren Bundesstaaten eine besondere Hinneigung gegen Nußland zu erkennen gegeben haben. ... ES muß wol angenommen werden, daß die mittleren und kleineren Bundesglieder gegen die möglichen Folgen eines möglichen Einverständnisses zwischen Oest¬ reich und Preußen zu ihrer allmäligen Unterdrückung sich den Beistand einer fremden Schutzmacht sichern wollten. Aus diese Weise erklärt sich das Prä- dicat „conservativ", mit welchem deutsche Federn und Zungen die russische Politik zu verherrlichen suchten, denn wir denken zu gut "von ihnen, um den Verdacht hegen zu wollen, daß sie für die russische Willkürherrschaft Sympa¬ thien gehabt hätten." (S. 61.)„Gäbe es in Deutschland nur eine Gro߬ macht, so würde diese der natürliche Stützpunkt sein. Da es aber zwei deutsche Großmächte gibt, welche noch dazu europäische sind, und diese beiden Großmächte zeitweilige sich in das Gesicht geschlagen, oder sich grollend den Rücken zugekehrt haben, so suchten die Mitlelftaaten Schutz und Vortheil in einem politischen Schaukelsystem, das sich nicht einmal immer zwischen diesen beiden Großmächten bewegte, sondern auch Frankreich oder Rußland zu An-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/56
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/56>, abgerufen am 28.07.2024.