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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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doch immer Bezug aufs Allgemeine, wenigstens auf einen größern Theil des
Allgemeinen. Wir kommen auf diesen Gedanken noch weiter unten zurück.
Bei Herrn Pz. findet ein fortwährendes Schwanken zwischen dem angebornen
Jnstinct und der Ueberzeugung statt. Er ist überzeugt, daß nur das Kaiser¬
thum, und zwar das östreichische, Deutschland retten könne; aber als Landes¬
angehöriger eines deutschen Mittelstaatö hindert ihn seine angeborne Pietät,
die letzten Konsequenzen dieser Ueberzeugung zu ziehen. Wenn man das Kai-
serthum ernstlich will, so kann man darunter doch nicht das Kaiserthum von
1648 bis 180K verstehen, die elendeste und kläglichste aller politischen Institu¬
tionen, die jemals in der Weltgeschichte vorgekommen sind. Dieses Kaiserthum
hat für Deutschland nichts gethan und nichts thun können; es ist ihm nicht
einmal gelungen, Bündnisse der deutschen Landesfürsten mit dem Erbfeind
zu hindern. So gut der Verfasser es versteht, unbequeme Jahrhunderte zu
ignoriren, so wird er sich doch wol erinnern, daß der Rheinbund keine Erfin¬
dung Napoleons ist, daß er ihn Ludwig XIV. abgelernt hat. Als Franz U.
die deutsche Kaiserkrone niederlegte, war das nichts weiter, als Vie legale An¬
erkennung einer längst bestehenden Thatsache.

Wenn daher die sogenannte großdeutsche Partei ernstlich damit umgeht,
die öffentliche Meinung aus die Erneuerung des deutschen Kaiserthums zu
Gunsten Oestreichs vorzubereiten, so kann-sie darunter nicht jenes Schatten-
kaiserthum des 17. und 18. Jahrhunderts verstehen. Das Kaiserthum des
Mittelalters ist untergegangen durch die Landeshoheit der Fürsten. Diese ist
seitdem nicht geschwächt, sondern gestärkt worden, und nicht blos der König
von Preußen, sondern auch die Könige von Baiern und Hannover können
in ihren gegenwärtigen Machtverhältnissen nimmermehr genöthigt werden, sich
einer höhern Macht zu fügen, die mehr als den Namen beansprucht.

Oestreichs Staatsmänner kennen hoffentlich zu gut daS Maß ihrer Kräfte,
um auch nur für die entfernteste Zukunft die Aufrichtung eines deutschen Reichs,
mit andern Worten, die Unterwerfung Preußens und der Mittelstaaten, für
möglich zu halten. Wenn sie diese Idee zuweilen anregen, so geschieht es wohl
nicht, um ernstlich etwas durchzuführen, sondern um anderweitige Pläne zu
parnlysiren. Oestreich wünscht für Deutschland im Wesentlichen die Erhaltung
der gegenwärtigen Zustände, um seine specifisch östreichischen, oder, wenn man
will, seine europäischen Pläne durchzuführen. Es ist das von seinem Stand¬
punkt aus auch völlig in der Ordnung.

Was die gegenwärtige Verfassung Deutschlands betrifft, so kann nur der
Uebelwollende verkennen, daß sie der Verfassung des 18. Jahrhunderts un¬
endlich vorzuziehen ist. Die Verfassung des 18. Jahrhunderts bestand aus
einer Reihe officieller Lügen; die jetzige Verfassung entspricht den positiven
Thatsachen wenigstens ziemlich correct, und nach dem Scheitern der Union


doch immer Bezug aufs Allgemeine, wenigstens auf einen größern Theil des
Allgemeinen. Wir kommen auf diesen Gedanken noch weiter unten zurück.
Bei Herrn Pz. findet ein fortwährendes Schwanken zwischen dem angebornen
Jnstinct und der Ueberzeugung statt. Er ist überzeugt, daß nur das Kaiser¬
thum, und zwar das östreichische, Deutschland retten könne; aber als Landes¬
angehöriger eines deutschen Mittelstaatö hindert ihn seine angeborne Pietät,
die letzten Konsequenzen dieser Ueberzeugung zu ziehen. Wenn man das Kai-
serthum ernstlich will, so kann man darunter doch nicht das Kaiserthum von
1648 bis 180K verstehen, die elendeste und kläglichste aller politischen Institu¬
tionen, die jemals in der Weltgeschichte vorgekommen sind. Dieses Kaiserthum
hat für Deutschland nichts gethan und nichts thun können; es ist ihm nicht
einmal gelungen, Bündnisse der deutschen Landesfürsten mit dem Erbfeind
zu hindern. So gut der Verfasser es versteht, unbequeme Jahrhunderte zu
ignoriren, so wird er sich doch wol erinnern, daß der Rheinbund keine Erfin¬
dung Napoleons ist, daß er ihn Ludwig XIV. abgelernt hat. Als Franz U.
die deutsche Kaiserkrone niederlegte, war das nichts weiter, als Vie legale An¬
erkennung einer längst bestehenden Thatsache.

Wenn daher die sogenannte großdeutsche Partei ernstlich damit umgeht,
die öffentliche Meinung aus die Erneuerung des deutschen Kaiserthums zu
Gunsten Oestreichs vorzubereiten, so kann-sie darunter nicht jenes Schatten-
kaiserthum des 17. und 18. Jahrhunderts verstehen. Das Kaiserthum des
Mittelalters ist untergegangen durch die Landeshoheit der Fürsten. Diese ist
seitdem nicht geschwächt, sondern gestärkt worden, und nicht blos der König
von Preußen, sondern auch die Könige von Baiern und Hannover können
in ihren gegenwärtigen Machtverhältnissen nimmermehr genöthigt werden, sich
einer höhern Macht zu fügen, die mehr als den Namen beansprucht.

Oestreichs Staatsmänner kennen hoffentlich zu gut daS Maß ihrer Kräfte,
um auch nur für die entfernteste Zukunft die Aufrichtung eines deutschen Reichs,
mit andern Worten, die Unterwerfung Preußens und der Mittelstaaten, für
möglich zu halten. Wenn sie diese Idee zuweilen anregen, so geschieht es wohl
nicht, um ernstlich etwas durchzuführen, sondern um anderweitige Pläne zu
parnlysiren. Oestreich wünscht für Deutschland im Wesentlichen die Erhaltung
der gegenwärtigen Zustände, um seine specifisch östreichischen, oder, wenn man
will, seine europäischen Pläne durchzuführen. Es ist das von seinem Stand¬
punkt aus auch völlig in der Ordnung.

Was die gegenwärtige Verfassung Deutschlands betrifft, so kann nur der
Uebelwollende verkennen, daß sie der Verfassung des 18. Jahrhunderts un¬
endlich vorzuziehen ist. Die Verfassung des 18. Jahrhunderts bestand aus
einer Reihe officieller Lügen; die jetzige Verfassung entspricht den positiven
Thatsachen wenigstens ziemlich correct, und nach dem Scheitern der Union


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/55>, abgerufen am 28.07.2024.