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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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ziehungspunkten machte. Es soll nicht bestritten werden, daß die Mittelstaatetl,
dadurch an souveräner Selbstständigkeit gewonnen haben; diese ist aber nicht
stark genug, um stets im Gleichgewicht erhalten werden zu können. Dagegen
hat das politische Schaukelsystem der Mittelstaaten die Eisersucht der beiden
deutschen Großmächte erhöht .... Ans diesen Conflicten ist die politische
Schwächung Deutschlands als Gesamintmacht entstanden. Wird aber daS
große Ganze geschwächt, dann leiden auch die integrirenden Bestandtheile
darunter, und ihre theilweise Kraftvermehrung ist unvermögend, den Nachtheil
der allgemeinen Schwächung auszugleichen." (S. 62.)

Die Bemerkungen sind vollkommen richtig und sprechen sür sich selbst;
der Unparteiische möge aber beurtheilen, ob sie für den Versasser sprechen.

Wie alle Schriftsteller seiner Partei, macht auch Herr Pz. der preußischen
Politik den Vorwurf, sie sei zu allen Zeiten darauf ausgegangen, an der
Spitze eines norddeutschen Sonderbundes sich von Deutschland mehr oder
minder zu trennen. Der Vorwurf ist in der Hauptsache thatsächlich begründet,
und man muß sich uur darüber wundern, daß jene Schriftsteller nicht weiter
gegangen sind, daß sie dem zufälligen Ehrgeiz einzelner Fürsten und Staats¬
männer beimessen, was doch aus der Natur der Dinge hervorgeht. Preußen
hat seit länger als einem Jahrhundert die Macht in den Händen, eine selbst¬
ständige Politik zu treiben. Diese Macht wird aber beschränkt durch das Ver¬
hältniß zum deutschen Bunde, mit andern Worten, zu Oestreich. Der Gedanke
liegt also nahe, dieses Band zu lösen. Für sich allein kann aber Preußen
nicht bestehen, seit dem zweiten pariser Frieden noch weniger als früher, weil
seine Besitzungen durch eine Reihe dazwischen liegender Staaten getrennt sind;
es muß also danach trachten, diese dazwischen liegenden Staaten, die ihm in
Bezug auf die Sitten, die Religion und die materiellen Interessen nahe ver¬
wandt sind, in einer Föderativverfassung zu vereinigen. Gleichviel, welche
Partei in Preußen ans Ruder kommt, Gerlach oder Waldeck, Manteuffel oder
Bethmann-Hollweg, Arnim oder Auerswald, die sogenannte gothaer Politik
(der Name ist von dem unbedeutendsten Ereignis) in ihrer Entwicklung hergeleitet),
diese Idee wird immer ihr Leitstern bleiben müssen. Bis jetzt ist sie stets ge¬
scheitert, und zwar an den dynastischen Interessen, die ihren Stützpunkt in
Oestreich fanden. DaS letztere zu gewinnen oder zu Paralysiren, ist der
einzige Weg, auf dem diese Politik Aussicht auf Erfolg hat, und wenn Ra-
dowitz das erste Mittel versucht hat, so mag man ihn wegen der ungeschickten
Methode tadeln, die Idee an sich war vollkommen richtig. Was uns betrifft,
so sind wir theoretisch weit davon entfernt, in dieser Politik den einzigen Weg
zu sehen, auf dem Deutschlands Wohl gefördert werden kann. Es ist möglich,
daß es durch eine Reihe zusammenwirkender Umstände unsern Gegnern gelingt,
ihre Ideen zur Geltung zu bringen; praktisch kann uns aber das nicht ab-


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ziehungspunkten machte. Es soll nicht bestritten werden, daß die Mittelstaatetl,
dadurch an souveräner Selbstständigkeit gewonnen haben; diese ist aber nicht
stark genug, um stets im Gleichgewicht erhalten werden zu können. Dagegen
hat das politische Schaukelsystem der Mittelstaaten die Eisersucht der beiden
deutschen Großmächte erhöht .... Ans diesen Conflicten ist die politische
Schwächung Deutschlands als Gesamintmacht entstanden. Wird aber daS
große Ganze geschwächt, dann leiden auch die integrirenden Bestandtheile
darunter, und ihre theilweise Kraftvermehrung ist unvermögend, den Nachtheil
der allgemeinen Schwächung auszugleichen." (S. 62.)

Die Bemerkungen sind vollkommen richtig und sprechen sür sich selbst;
der Unparteiische möge aber beurtheilen, ob sie für den Versasser sprechen.

Wie alle Schriftsteller seiner Partei, macht auch Herr Pz. der preußischen
Politik den Vorwurf, sie sei zu allen Zeiten darauf ausgegangen, an der
Spitze eines norddeutschen Sonderbundes sich von Deutschland mehr oder
minder zu trennen. Der Vorwurf ist in der Hauptsache thatsächlich begründet,
und man muß sich uur darüber wundern, daß jene Schriftsteller nicht weiter
gegangen sind, daß sie dem zufälligen Ehrgeiz einzelner Fürsten und Staats¬
männer beimessen, was doch aus der Natur der Dinge hervorgeht. Preußen
hat seit länger als einem Jahrhundert die Macht in den Händen, eine selbst¬
ständige Politik zu treiben. Diese Macht wird aber beschränkt durch das Ver¬
hältniß zum deutschen Bunde, mit andern Worten, zu Oestreich. Der Gedanke
liegt also nahe, dieses Band zu lösen. Für sich allein kann aber Preußen
nicht bestehen, seit dem zweiten pariser Frieden noch weniger als früher, weil
seine Besitzungen durch eine Reihe dazwischen liegender Staaten getrennt sind;
es muß also danach trachten, diese dazwischen liegenden Staaten, die ihm in
Bezug auf die Sitten, die Religion und die materiellen Interessen nahe ver¬
wandt sind, in einer Föderativverfassung zu vereinigen. Gleichviel, welche
Partei in Preußen ans Ruder kommt, Gerlach oder Waldeck, Manteuffel oder
Bethmann-Hollweg, Arnim oder Auerswald, die sogenannte gothaer Politik
(der Name ist von dem unbedeutendsten Ereignis) in ihrer Entwicklung hergeleitet),
diese Idee wird immer ihr Leitstern bleiben müssen. Bis jetzt ist sie stets ge¬
scheitert, und zwar an den dynastischen Interessen, die ihren Stützpunkt in
Oestreich fanden. DaS letztere zu gewinnen oder zu Paralysiren, ist der
einzige Weg, auf dem diese Politik Aussicht auf Erfolg hat, und wenn Ra-
dowitz das erste Mittel versucht hat, so mag man ihn wegen der ungeschickten
Methode tadeln, die Idee an sich war vollkommen richtig. Was uns betrifft,
so sind wir theoretisch weit davon entfernt, in dieser Politik den einzigen Weg
zu sehen, auf dem Deutschlands Wohl gefördert werden kann. Es ist möglich,
daß es durch eine Reihe zusammenwirkender Umstände unsern Gegnern gelingt,
ihre Ideen zur Geltung zu bringen; praktisch kann uns aber das nicht ab-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/57>, abgerufen am 27.07.2024.