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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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auf die Vortheile, welche die Befolgung einer ländersüchtigen Politik ihm ge¬
währt haben würde, und blieb Rußland und Frankreich gegenüber in einer
zuwartenden Stellung, die ihm für den entscheidenden Moment freie Hand
ließ. Das deutsche Interesse war also überwiegend."

Also Preußens Erhebung 1813 war ein Jnteressenkrieg, Oestreichs zu¬
wartende Politik dagegen eine nationale Politik! Es ist doch gut, wenn man
aufgeklärt wird! -- Dann folgt eine Rechtfertigung der sächsischen Politik.
"Die Verhältnisse waren ganz danach angethan, alle Kräfte Sachsens aufzu¬
bieten, um unter den französischen Adlern das Verlorne wieder zu erringen,
und sür den Verlust des Großherzogthums Warschau sich in Schlesien zu ent¬
schädigen, welches Napoleon in diesem Falle als Siegespreis aufgestellt hatte."
Allein Friedrich August wollte das nicht. Er ließ die Festung Torgau den
Franzosen verschließen. "Daß die Festung auch den Verbündeten verschlossen
blieb, verstand sich insofern von selbst, weil der Ausgang des zu erwartenden
Kampfes zwischen Napoleon und seinen Gegnern über Sachsens Geschick ent¬
scheiden mußte, Sachsens Theilnahme an diesem Kampfe aber, bei der Gering¬
fügigkeit seiner damals verwendbaren Streitkräfte, in der Hauptsache nichts zu
ändern vermochte. Der Grundsatz einer thatsächlichen Neutralität wurde also
consequent festgehalten." "Dadurch erhielt die Stellung Oestreichs ein doppeltes
Gewicht und konnte eventuell zu einer schiedsrichterlichen werde"/' "Napoleon,
über Friedrich Augusts Reise nach Prag ohnehin sehr aufgebracht, ließ ven
so hartbedrängten Monarchen durch den Herzog von Weimar schreiben, er
möge sich rund und offen erklären, mit dem Zusätze: s'it est, contre moi, it
siorära den". nu'it g,! Wenige Tage später erhielt der König den ausdrück¬
lichen Befehl zur augenblicklichen Rückkehr nach Dresden, die schon am
12. Mai erfolgte." "Nach solchen Vorgängen ist es wol erlaubt zu fragen:
ob die ganz unzeitige und mit einer nicht zu rechtfertigenden Drohung verbun¬
dene Aufforderung an Sachsen, mit Rußland und Preußen gemeinschaftliche
Sache zu machen, einen anderen Erfolg gehabt haben würde, als Land und
Volk ganz nutzlos in noch größeres Unglück zu stürzen?"

Das alles sind Gesichtspunkte, die sich hören lassen, die der einsichtsvolle
und wohlmeinende Fürst eines Mittelstaats, der einsichtsvolle und wohlwollende
Minister eines Mittelstaats in Erwägung zu ziehen das Recht und die Pflicht
hat. Wir wollen Friedrich August und seine Rathgeber keineswegs verurthei--
im; sie handelten von ihrem Standpunkt aus, wenn nicht richtig, doch wenig¬
stens begreiflich. Daß aber die Regierung eines Mittelstaats so denken und
empfinden kann, ist das wol für die Zwecke, die auch Herr Pz. in Bezug auf
das Gesammtvaterland vertritt, heilsam? Dem Fürsten eines kleinen Staats
kann es nicht einfallen, ähnliche Gesichtspunkte durchführen zu wollen, und
auch die egoistische Politik eines Großstaals wie Oestreich und Preußen hat


auf die Vortheile, welche die Befolgung einer ländersüchtigen Politik ihm ge¬
währt haben würde, und blieb Rußland und Frankreich gegenüber in einer
zuwartenden Stellung, die ihm für den entscheidenden Moment freie Hand
ließ. Das deutsche Interesse war also überwiegend."

Also Preußens Erhebung 1813 war ein Jnteressenkrieg, Oestreichs zu¬
wartende Politik dagegen eine nationale Politik! Es ist doch gut, wenn man
aufgeklärt wird! — Dann folgt eine Rechtfertigung der sächsischen Politik.
„Die Verhältnisse waren ganz danach angethan, alle Kräfte Sachsens aufzu¬
bieten, um unter den französischen Adlern das Verlorne wieder zu erringen,
und sür den Verlust des Großherzogthums Warschau sich in Schlesien zu ent¬
schädigen, welches Napoleon in diesem Falle als Siegespreis aufgestellt hatte."
Allein Friedrich August wollte das nicht. Er ließ die Festung Torgau den
Franzosen verschließen. „Daß die Festung auch den Verbündeten verschlossen
blieb, verstand sich insofern von selbst, weil der Ausgang des zu erwartenden
Kampfes zwischen Napoleon und seinen Gegnern über Sachsens Geschick ent¬
scheiden mußte, Sachsens Theilnahme an diesem Kampfe aber, bei der Gering¬
fügigkeit seiner damals verwendbaren Streitkräfte, in der Hauptsache nichts zu
ändern vermochte. Der Grundsatz einer thatsächlichen Neutralität wurde also
consequent festgehalten." „Dadurch erhielt die Stellung Oestreichs ein doppeltes
Gewicht und konnte eventuell zu einer schiedsrichterlichen werde»/' „Napoleon,
über Friedrich Augusts Reise nach Prag ohnehin sehr aufgebracht, ließ ven
so hartbedrängten Monarchen durch den Herzog von Weimar schreiben, er
möge sich rund und offen erklären, mit dem Zusätze: s'it est, contre moi, it
siorära den». nu'it g,! Wenige Tage später erhielt der König den ausdrück¬
lichen Befehl zur augenblicklichen Rückkehr nach Dresden, die schon am
12. Mai erfolgte." „Nach solchen Vorgängen ist es wol erlaubt zu fragen:
ob die ganz unzeitige und mit einer nicht zu rechtfertigenden Drohung verbun¬
dene Aufforderung an Sachsen, mit Rußland und Preußen gemeinschaftliche
Sache zu machen, einen anderen Erfolg gehabt haben würde, als Land und
Volk ganz nutzlos in noch größeres Unglück zu stürzen?"

Das alles sind Gesichtspunkte, die sich hören lassen, die der einsichtsvolle
und wohlmeinende Fürst eines Mittelstaats, der einsichtsvolle und wohlwollende
Minister eines Mittelstaats in Erwägung zu ziehen das Recht und die Pflicht
hat. Wir wollen Friedrich August und seine Rathgeber keineswegs verurthei--
im; sie handelten von ihrem Standpunkt aus, wenn nicht richtig, doch wenig¬
stens begreiflich. Daß aber die Regierung eines Mittelstaats so denken und
empfinden kann, ist das wol für die Zwecke, die auch Herr Pz. in Bezug auf
das Gesammtvaterland vertritt, heilsam? Dem Fürsten eines kleinen Staats
kann es nicht einfallen, ähnliche Gesichtspunkte durchführen zu wollen, und
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/54>, abgerufen am 28.07.2024.