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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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lichen Massen; die Getränke liefert der jüdische Schenkwirt!) im Dorfe, denn
der Bauer darf seine Spirituosa nur an Ort und Stelle kaufen. Nun machen
sich die Weiber an ein Kneten, Kochen und Backen, daS vierundzwanzig
Stunden dauert; ein jeder Gast muß einen Kolak, ein Weizenbrod erhalten
und sich satt essen können, bei der Feierlichkeit.

Alles Nöthige ist endlich vorbereitet, der Pope erscheint im Ornat; wieder
beginnt das Wehklagen mit denselben Worten und derselben Melodie, während
die Männer die Leiche im Sarge betten, nachdem sie ihr eine Münze in die
Hand gedrückt. Jetzt ordnet sich der Zug. Zwei Bauern mit brennenden
Wachskerzen eröffnen denselben -- ihnen folgt ein dritter mit einer Fahne,
auf welcher der Schutzheilige der Dorfkirche abgebildet ist; dann kommt die
Koliva, ein großer Kuchen von weichgekochten Weizenkörnern mit Honig und
Zimmt; dann ein paar eigenthümlich geformte Brote, in denen mehre wei߬
geschälte Stäbchen aufrecht stehen i"it drangespickten Feigen, Rosinen, oder
was sonst die Leidtragenden an Leckereien haben auftreiben können. Hierauf
folgt der Deckel des Sarges, und dann, von sechs Männern getragen, der
Sarg selbst mit dem Todten, der mit unbedecktem Gesichte daliegt. Hinter dem
Sarge geht ber Geistliche, ebenfalls mit einer brennenden Kerze -- die laut¬
weinende Familie, und wer sonst dem Verstorbenen die letzte Ehre hat erweisen
wollen, beschließt den Zug. Freunde haben unterdeß ein Grab gegraben auf
dem Friedhofe, und zwar unentgelvlich, damit man auch ihnen einst ebenso
diesen letzten Liebesdienst erweisen möge. Der Sarg wird an den Rand der
Gruft getragen, noch immer unbedeckt; der Moment ist gekommen, dem Dahin¬
geschiedenen ein letztes Lebewohl zu sagen. Oft haben wir solchen Scenen
beigewohnt -- nie mit trockenem Auge. Wol beginnt der Abschied wieder
mit den herkömmlichen Modulationen und den Worten: "Wehe uns, du hast
uns verlassen! Von heute an sehen wir dich nicht wieder!" -- doch bald läßt
ein jeder sich von den Eingebungen seines Schmerzes hinreißen, die von ber
Sitte geheiligten Formeln werden vergessen, und die naive rumänische Sprache
findet bei solchen Gelegenheiten Ausdrücke, die einem unwiderstehlich ins
Herz dringen.

Die Koliva und das mit Feigen und Rosinen geschmückte Backwerk wird
dem Geistlichen ins Haus getragen; darauf kehrt der ganze Zug in die von
dem Dahingeschiedenen verlassene Behausung zurück. Hier bekommt jeder Gast
seinen Kolak und ein brennendes dünnes Wachslichtchen, daS er erst dann
auslöscht und in die Tasche steckt, wenn der Pope ein neues Gebet gesprochen
und man sich zu Tische gesetzt hat. Ein letztes Gebet nach eingenommener
Mahlzeit beschließt die Feier, und die Trauernden bleiben endlich -- nach zwei
mühevollen Tagen, allein in ihrem Häuschen.

Eine solche Beerdigung verursacht den armen Leuten sehr bedeutende


lichen Massen; die Getränke liefert der jüdische Schenkwirt!) im Dorfe, denn
der Bauer darf seine Spirituosa nur an Ort und Stelle kaufen. Nun machen
sich die Weiber an ein Kneten, Kochen und Backen, daS vierundzwanzig
Stunden dauert; ein jeder Gast muß einen Kolak, ein Weizenbrod erhalten
und sich satt essen können, bei der Feierlichkeit.

Alles Nöthige ist endlich vorbereitet, der Pope erscheint im Ornat; wieder
beginnt das Wehklagen mit denselben Worten und derselben Melodie, während
die Männer die Leiche im Sarge betten, nachdem sie ihr eine Münze in die
Hand gedrückt. Jetzt ordnet sich der Zug. Zwei Bauern mit brennenden
Wachskerzen eröffnen denselben — ihnen folgt ein dritter mit einer Fahne,
auf welcher der Schutzheilige der Dorfkirche abgebildet ist; dann kommt die
Koliva, ein großer Kuchen von weichgekochten Weizenkörnern mit Honig und
Zimmt; dann ein paar eigenthümlich geformte Brote, in denen mehre wei߬
geschälte Stäbchen aufrecht stehen i»it drangespickten Feigen, Rosinen, oder
was sonst die Leidtragenden an Leckereien haben auftreiben können. Hierauf
folgt der Deckel des Sarges, und dann, von sechs Männern getragen, der
Sarg selbst mit dem Todten, der mit unbedecktem Gesichte daliegt. Hinter dem
Sarge geht ber Geistliche, ebenfalls mit einer brennenden Kerze — die laut¬
weinende Familie, und wer sonst dem Verstorbenen die letzte Ehre hat erweisen
wollen, beschließt den Zug. Freunde haben unterdeß ein Grab gegraben auf
dem Friedhofe, und zwar unentgelvlich, damit man auch ihnen einst ebenso
diesen letzten Liebesdienst erweisen möge. Der Sarg wird an den Rand der
Gruft getragen, noch immer unbedeckt; der Moment ist gekommen, dem Dahin¬
geschiedenen ein letztes Lebewohl zu sagen. Oft haben wir solchen Scenen
beigewohnt — nie mit trockenem Auge. Wol beginnt der Abschied wieder
mit den herkömmlichen Modulationen und den Worten: „Wehe uns, du hast
uns verlassen! Von heute an sehen wir dich nicht wieder!" — doch bald läßt
ein jeder sich von den Eingebungen seines Schmerzes hinreißen, die von ber
Sitte geheiligten Formeln werden vergessen, und die naive rumänische Sprache
findet bei solchen Gelegenheiten Ausdrücke, die einem unwiderstehlich ins
Herz dringen.

Die Koliva und das mit Feigen und Rosinen geschmückte Backwerk wird
dem Geistlichen ins Haus getragen; darauf kehrt der ganze Zug in die von
dem Dahingeschiedenen verlassene Behausung zurück. Hier bekommt jeder Gast
seinen Kolak und ein brennendes dünnes Wachslichtchen, daS er erst dann
auslöscht und in die Tasche steckt, wenn der Pope ein neues Gebet gesprochen
und man sich zu Tische gesetzt hat. Ein letztes Gebet nach eingenommener
Mahlzeit beschließt die Feier, und die Trauernden bleiben endlich — nach zwei
mühevollen Tagen, allein in ihrem Häuschen.

Eine solche Beerdigung verursacht den armen Leuten sehr bedeutende


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/522>, abgerufen am 01.09.2024.