Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Kosten, aber die Sitte will nun einmal, daß nichts versäumt werde, und auch
der Aermste hält es für eine heilige Pflicht, seine Todten "anständig zu ver¬
sorgen." Mit der geschilderten Feier ist es übrigens durchaus nicht abgethan;
nach neun Tagen müssen die Hinterbliebenen ein neues Gastmahl veranstalten,
und nach vierzig Tagen, dem muthmaßlichen Zeitpunkt, wo die Seele in den
Gefilden des Jenseits hat ankommen können, noch eins! Die Geistlichen
dürfen natürlich bei den Mahlzeiten nicht fehlen, und die jedes Mal wieder¬
holten Gebete werden mit klingender Münze bezahlt. Aber auch jetzt haben
die Ceremonien noch nicht ein Ende; nach Ablauf des ersten JahreS wird der
Todestag in ähnlicher Weise gefeiert, und nach sieben Jahren, gräbt man
den Todten wieder aus! -- Ein langer Zug wallt dem Friedhof zu und singt
nach der Weise der Klagelieder: ,.Kommt, Brüder und Schwestern, laßt uns
die Gebeine unsres Todten sehn!" Ist die Verwesung vollständig erfolgt, so ist
alles gut; hat aber der Körper noch nicht vollständig in Staub zerfallen wollen,
so ist das ein Zeichen göttlichen Zornes sür begangene Sünden, und nur be¬
zahlte Gebete können den zürnenden Vater im Himmel besänftigen! -- Ge¬
tafelt aber wird jedenfalls.

Wollte man berechnen, was eine solche "anständige Versorgung" eines
Todten im Lauf von sieben Jahren kostet, man würde zu einem Resultat ge¬
langen, das in gar keinem Verhältniß zu den beschränkten Mitteln der Land¬
leute steht. Ein alter Bauer sagte einst bei einer solchen Gelegenheit dem
Verfasser dieser Zeilen: "Ja, Herr, so lange man lebt, kann man mit wenig
auskommen; -- wenn man aber stirbt, da braucht man viel!" Die Hinter¬
bliebenen stürzen sich oft in bedeutende Schulden und müssen ihr Vieh, ihren
einzigen Reichthum, verkaufen, um zu thun, waS die Sitte erheischt, und doch
haben sie den Muth nicht, sich von dem tyrannischen Druck deS Hergebrachten
zu befreien!

Die Zeit ist. hoffentlich nicht fern, wo die höhere Geistlichkeit es sür ihre
Pflicht halten wird, die Unwissenden eines Bessern zu belehren.

Wir hoffen, daß nach dieser allerdings kunstlos zusammengefügten Schil¬
derung, die wir ohne System aus dem Gedächtniß zu Papier geworfen, der
Leser bereits im Stande sein wird, sich einen allgemeinen Begriff von dem
Charakter dieses Volksstammes zu machen. Jedenfalls kann er sich jetzt schon die
Fragen beantworten: sind die Rumänen roher als die polnischen, russischen
oder ungarischen Bauern? Ist eS durchaus nothwendig, daß sie ihre Glück¬
seligkeit aus der Türkei oder aus Oestreich erhalten? Haben die Nationen, die
jetzt im höchsten Flor stehn, von einer höheren Stufe der Bildung die Lauf¬
bahn ihrer Entwicklung begonnen? Warum sollten die Rumänen nicht be¬
rechtigt sei", als selbstständige Nation zu eristiren?

Aber vielleicht hat die rumänenfeindliche Presse den Bauernstand ganz


"5*

Kosten, aber die Sitte will nun einmal, daß nichts versäumt werde, und auch
der Aermste hält es für eine heilige Pflicht, seine Todten „anständig zu ver¬
sorgen." Mit der geschilderten Feier ist es übrigens durchaus nicht abgethan;
nach neun Tagen müssen die Hinterbliebenen ein neues Gastmahl veranstalten,
und nach vierzig Tagen, dem muthmaßlichen Zeitpunkt, wo die Seele in den
Gefilden des Jenseits hat ankommen können, noch eins! Die Geistlichen
dürfen natürlich bei den Mahlzeiten nicht fehlen, und die jedes Mal wieder¬
holten Gebete werden mit klingender Münze bezahlt. Aber auch jetzt haben
die Ceremonien noch nicht ein Ende; nach Ablauf des ersten JahreS wird der
Todestag in ähnlicher Weise gefeiert, und nach sieben Jahren, gräbt man
den Todten wieder aus! — Ein langer Zug wallt dem Friedhof zu und singt
nach der Weise der Klagelieder: ,.Kommt, Brüder und Schwestern, laßt uns
die Gebeine unsres Todten sehn!" Ist die Verwesung vollständig erfolgt, so ist
alles gut; hat aber der Körper noch nicht vollständig in Staub zerfallen wollen,
so ist das ein Zeichen göttlichen Zornes sür begangene Sünden, und nur be¬
zahlte Gebete können den zürnenden Vater im Himmel besänftigen! — Ge¬
tafelt aber wird jedenfalls.

Wollte man berechnen, was eine solche „anständige Versorgung" eines
Todten im Lauf von sieben Jahren kostet, man würde zu einem Resultat ge¬
langen, das in gar keinem Verhältniß zu den beschränkten Mitteln der Land¬
leute steht. Ein alter Bauer sagte einst bei einer solchen Gelegenheit dem
Verfasser dieser Zeilen: „Ja, Herr, so lange man lebt, kann man mit wenig
auskommen; — wenn man aber stirbt, da braucht man viel!" Die Hinter¬
bliebenen stürzen sich oft in bedeutende Schulden und müssen ihr Vieh, ihren
einzigen Reichthum, verkaufen, um zu thun, waS die Sitte erheischt, und doch
haben sie den Muth nicht, sich von dem tyrannischen Druck deS Hergebrachten
zu befreien!

Die Zeit ist. hoffentlich nicht fern, wo die höhere Geistlichkeit es sür ihre
Pflicht halten wird, die Unwissenden eines Bessern zu belehren.

Wir hoffen, daß nach dieser allerdings kunstlos zusammengefügten Schil¬
derung, die wir ohne System aus dem Gedächtniß zu Papier geworfen, der
Leser bereits im Stande sein wird, sich einen allgemeinen Begriff von dem
Charakter dieses Volksstammes zu machen. Jedenfalls kann er sich jetzt schon die
Fragen beantworten: sind die Rumänen roher als die polnischen, russischen
oder ungarischen Bauern? Ist eS durchaus nothwendig, daß sie ihre Glück¬
seligkeit aus der Türkei oder aus Oestreich erhalten? Haben die Nationen, die
jetzt im höchsten Flor stehn, von einer höheren Stufe der Bildung die Lauf¬
bahn ihrer Entwicklung begonnen? Warum sollten die Rumänen nicht be¬
rechtigt sei», als selbstständige Nation zu eristiren?

Aber vielleicht hat die rumänenfeindliche Presse den Bauernstand ganz


«5*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0523" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/104190"/>
            <p xml:id="ID_1497" prev="#ID_1496"> Kosten, aber die Sitte will nun einmal, daß nichts versäumt werde, und auch<lb/>
der Aermste hält es für eine heilige Pflicht, seine Todten &#x201E;anständig zu ver¬<lb/>
sorgen." Mit der geschilderten Feier ist es übrigens durchaus nicht abgethan;<lb/>
nach neun Tagen müssen die Hinterbliebenen ein neues Gastmahl veranstalten,<lb/>
und nach vierzig Tagen, dem muthmaßlichen Zeitpunkt, wo die Seele in den<lb/>
Gefilden des Jenseits hat ankommen können, noch eins! Die Geistlichen<lb/>
dürfen natürlich bei den Mahlzeiten nicht fehlen, und die jedes Mal wieder¬<lb/>
holten Gebete werden mit klingender Münze bezahlt. Aber auch jetzt haben<lb/>
die Ceremonien noch nicht ein Ende; nach Ablauf des ersten JahreS wird der<lb/>
Todestag in ähnlicher Weise gefeiert, und nach sieben Jahren, gräbt man<lb/>
den Todten wieder aus! &#x2014; Ein langer Zug wallt dem Friedhof zu und singt<lb/>
nach der Weise der Klagelieder: ,.Kommt, Brüder und Schwestern, laßt uns<lb/>
die Gebeine unsres Todten sehn!" Ist die Verwesung vollständig erfolgt, so ist<lb/>
alles gut; hat aber der Körper noch nicht vollständig in Staub zerfallen wollen,<lb/>
so ist das ein Zeichen göttlichen Zornes sür begangene Sünden, und nur be¬<lb/>
zahlte Gebete können den zürnenden Vater im Himmel besänftigen! &#x2014; Ge¬<lb/>
tafelt aber wird jedenfalls.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1498"> Wollte man berechnen, was eine solche &#x201E;anständige Versorgung" eines<lb/>
Todten im Lauf von sieben Jahren kostet, man würde zu einem Resultat ge¬<lb/>
langen, das in gar keinem Verhältniß zu den beschränkten Mitteln der Land¬<lb/>
leute steht. Ein alter Bauer sagte einst bei einer solchen Gelegenheit dem<lb/>
Verfasser dieser Zeilen: &#x201E;Ja, Herr, so lange man lebt, kann man mit wenig<lb/>
auskommen; &#x2014; wenn man aber stirbt, da braucht man viel!" Die Hinter¬<lb/>
bliebenen stürzen sich oft in bedeutende Schulden und müssen ihr Vieh, ihren<lb/>
einzigen Reichthum, verkaufen, um zu thun, waS die Sitte erheischt, und doch<lb/>
haben sie den Muth nicht, sich von dem tyrannischen Druck deS Hergebrachten<lb/>
zu befreien!</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1499"> Die Zeit ist. hoffentlich nicht fern, wo die höhere Geistlichkeit es sür ihre<lb/>
Pflicht halten wird, die Unwissenden eines Bessern zu belehren.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1500"> Wir hoffen, daß nach dieser allerdings kunstlos zusammengefügten Schil¬<lb/>
derung, die wir ohne System aus dem Gedächtniß zu Papier geworfen, der<lb/>
Leser bereits im Stande sein wird, sich einen allgemeinen Begriff von dem<lb/>
Charakter dieses Volksstammes zu machen. Jedenfalls kann er sich jetzt schon die<lb/>
Fragen beantworten: sind die Rumänen roher als die polnischen, russischen<lb/>
oder ungarischen Bauern? Ist eS durchaus nothwendig, daß sie ihre Glück¬<lb/>
seligkeit aus der Türkei oder aus Oestreich erhalten? Haben die Nationen, die<lb/>
jetzt im höchsten Flor stehn, von einer höheren Stufe der Bildung die Lauf¬<lb/>
bahn ihrer Entwicklung begonnen? Warum sollten die Rumänen nicht be¬<lb/>
rechtigt sei», als selbstständige Nation zu eristiren?</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1501" next="#ID_1502"> Aber vielleicht hat die rumänenfeindliche Presse den Bauernstand ganz</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> «5*</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0523] Kosten, aber die Sitte will nun einmal, daß nichts versäumt werde, und auch der Aermste hält es für eine heilige Pflicht, seine Todten „anständig zu ver¬ sorgen." Mit der geschilderten Feier ist es übrigens durchaus nicht abgethan; nach neun Tagen müssen die Hinterbliebenen ein neues Gastmahl veranstalten, und nach vierzig Tagen, dem muthmaßlichen Zeitpunkt, wo die Seele in den Gefilden des Jenseits hat ankommen können, noch eins! Die Geistlichen dürfen natürlich bei den Mahlzeiten nicht fehlen, und die jedes Mal wieder¬ holten Gebete werden mit klingender Münze bezahlt. Aber auch jetzt haben die Ceremonien noch nicht ein Ende; nach Ablauf des ersten JahreS wird der Todestag in ähnlicher Weise gefeiert, und nach sieben Jahren, gräbt man den Todten wieder aus! — Ein langer Zug wallt dem Friedhof zu und singt nach der Weise der Klagelieder: ,.Kommt, Brüder und Schwestern, laßt uns die Gebeine unsres Todten sehn!" Ist die Verwesung vollständig erfolgt, so ist alles gut; hat aber der Körper noch nicht vollständig in Staub zerfallen wollen, so ist das ein Zeichen göttlichen Zornes sür begangene Sünden, und nur be¬ zahlte Gebete können den zürnenden Vater im Himmel besänftigen! — Ge¬ tafelt aber wird jedenfalls. Wollte man berechnen, was eine solche „anständige Versorgung" eines Todten im Lauf von sieben Jahren kostet, man würde zu einem Resultat ge¬ langen, das in gar keinem Verhältniß zu den beschränkten Mitteln der Land¬ leute steht. Ein alter Bauer sagte einst bei einer solchen Gelegenheit dem Verfasser dieser Zeilen: „Ja, Herr, so lange man lebt, kann man mit wenig auskommen; — wenn man aber stirbt, da braucht man viel!" Die Hinter¬ bliebenen stürzen sich oft in bedeutende Schulden und müssen ihr Vieh, ihren einzigen Reichthum, verkaufen, um zu thun, waS die Sitte erheischt, und doch haben sie den Muth nicht, sich von dem tyrannischen Druck deS Hergebrachten zu befreien! Die Zeit ist. hoffentlich nicht fern, wo die höhere Geistlichkeit es sür ihre Pflicht halten wird, die Unwissenden eines Bessern zu belehren. Wir hoffen, daß nach dieser allerdings kunstlos zusammengefügten Schil¬ derung, die wir ohne System aus dem Gedächtniß zu Papier geworfen, der Leser bereits im Stande sein wird, sich einen allgemeinen Begriff von dem Charakter dieses Volksstammes zu machen. Jedenfalls kann er sich jetzt schon die Fragen beantworten: sind die Rumänen roher als die polnischen, russischen oder ungarischen Bauern? Ist eS durchaus nothwendig, daß sie ihre Glück¬ seligkeit aus der Türkei oder aus Oestreich erhalten? Haben die Nationen, die jetzt im höchsten Flor stehn, von einer höheren Stufe der Bildung die Lauf¬ bahn ihrer Entwicklung begonnen? Warum sollten die Rumänen nicht be¬ rechtigt sei», als selbstständige Nation zu eristiren? Aber vielleicht hat die rumänenfeindliche Presse den Bauernstand ganz «5*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/523
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/523>, abgerufen am 01.09.2024.