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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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sehendes Scheingefecht aufführen. Einer wird scheinbar überwunden und sein
Gegner schneidet ihm, ebenfalls scheinbar, den Hals ab, wobei der Besiegte
aus das entsetzlichste stöhnt, sich windet, zuckt, röchelt und gurgelt. Endlich
zeigen die Derwische ihr berühmtestes Kunststück, das Schlangenfresser, welches
ebenfalls vom Volke für ein Wunder angesehen wird, aber da es nur im
Zustande der äußersten Aufregung und Besinnungslosigkeit geschieht, nicht ein¬
mal insofern wunderbar ist, als es eine gegen alle menschliche Natur strei¬
tende Ueberwindung des Ekels erfordert.

Früher fand dieses Verspeisen von Schlangen, die beiläufig lebendig sind,
regelmäßig nach dem Dosch statt. Unter Mehemed Ali wagte ein Schech es
zu untersagen, indem er es für ekelhaft und der Religion zuwider erklärte,
welche die Schlangen als unreine Geschöpfe betrachten lehre, und die Sache
schien aus dem Programm deS Festes gestrichen. Allein unter Abbas Pascha
tauchte auch sie wieder aus, und noch jetzt werden von den Saadijeh zur Ehre
Gottes Schlangen und bisweilen auch Skorpione verzehrt. Gefahr ist, wie
schon angedeutet, nicht dabei. Man stumpft den Skorpionen die Stachel ab
und bricht den Schlangen die Giftzähne aus oder macht sie dadurch unschäd¬
lich, daß man ihnen Silberringe um das Maul legt oder dasselbe gradezu mit
Seidensäden zunahe, ehe sie zur Verwendung kommen. Dennoch sieht es
gräßlich genug aus, wenn ein solcher Verrückter plötzlich auf das Thier zu¬
springt , es mit raschem Griffe einige Zoll unter dem Kopfe faßt und erst diesen
abbeißt, kaut und verschluckt, und dann schmatzend und mit den Zähnen knir¬
schend einen zweiten und einen dritten Biß thut, während das sterbende Ge¬
würm sich um seine Faust windet und ihm Gesicht und Arme mit seinem
Blut besudelt.

Nach dieser Darstellung des Derwischthums sollte man fast meinen, der
Islam strebe bei seinen Bekennern aus nichts als wüste Aufregung hin. Dem
ist indeß durchaus nicht so. So wenig ein gewöhnlicher, protestantischer
Gottesdienst dem Treiben eines methodistischen Campmeetings gleicht, so wenig
hat das Bild einer Moschee zur Gebetszeit am Freitag Aehnlichkeit mit den
Tollheiten, zu welchen die Derwische ihre Methode treibt. Bei den gottes¬
dienstlichen Zusammenkünften der Mohammedaner in Kairo sind Würde, An¬
stand und einfache Anmuth die hervorstechenden Züge. Ihre Blicke und Mienen
drücken hier niemals jene wilde Verzückung, sondern immer ruhige, bescheidene
Andacht aus. Die Stellungen und Bewegungen, welche ihnen beim Gebete
vorgeschrieben sind, müssen vollkommen angemessen genannt werden, und nehmen
sich zusammen mit der Tracht der Betenden überaus graziös aus. Die Ord¬
nung des Gottesdienstes selbst ist so einfach wie das Innere der Gotteshäuser.

Eine halbe Stunde vor Mittag wird durch den Mueddin auf der um
den Madneh (so heißt auf Arabisch das Minaret) laufenden Galerie Ver


sehendes Scheingefecht aufführen. Einer wird scheinbar überwunden und sein
Gegner schneidet ihm, ebenfalls scheinbar, den Hals ab, wobei der Besiegte
aus das entsetzlichste stöhnt, sich windet, zuckt, röchelt und gurgelt. Endlich
zeigen die Derwische ihr berühmtestes Kunststück, das Schlangenfresser, welches
ebenfalls vom Volke für ein Wunder angesehen wird, aber da es nur im
Zustande der äußersten Aufregung und Besinnungslosigkeit geschieht, nicht ein¬
mal insofern wunderbar ist, als es eine gegen alle menschliche Natur strei¬
tende Ueberwindung des Ekels erfordert.

Früher fand dieses Verspeisen von Schlangen, die beiläufig lebendig sind,
regelmäßig nach dem Dosch statt. Unter Mehemed Ali wagte ein Schech es
zu untersagen, indem er es für ekelhaft und der Religion zuwider erklärte,
welche die Schlangen als unreine Geschöpfe betrachten lehre, und die Sache
schien aus dem Programm deS Festes gestrichen. Allein unter Abbas Pascha
tauchte auch sie wieder aus, und noch jetzt werden von den Saadijeh zur Ehre
Gottes Schlangen und bisweilen auch Skorpione verzehrt. Gefahr ist, wie
schon angedeutet, nicht dabei. Man stumpft den Skorpionen die Stachel ab
und bricht den Schlangen die Giftzähne aus oder macht sie dadurch unschäd¬
lich, daß man ihnen Silberringe um das Maul legt oder dasselbe gradezu mit
Seidensäden zunahe, ehe sie zur Verwendung kommen. Dennoch sieht es
gräßlich genug aus, wenn ein solcher Verrückter plötzlich auf das Thier zu¬
springt , es mit raschem Griffe einige Zoll unter dem Kopfe faßt und erst diesen
abbeißt, kaut und verschluckt, und dann schmatzend und mit den Zähnen knir¬
schend einen zweiten und einen dritten Biß thut, während das sterbende Ge¬
würm sich um seine Faust windet und ihm Gesicht und Arme mit seinem
Blut besudelt.

Nach dieser Darstellung des Derwischthums sollte man fast meinen, der
Islam strebe bei seinen Bekennern aus nichts als wüste Aufregung hin. Dem
ist indeß durchaus nicht so. So wenig ein gewöhnlicher, protestantischer
Gottesdienst dem Treiben eines methodistischen Campmeetings gleicht, so wenig
hat das Bild einer Moschee zur Gebetszeit am Freitag Aehnlichkeit mit den
Tollheiten, zu welchen die Derwische ihre Methode treibt. Bei den gottes¬
dienstlichen Zusammenkünften der Mohammedaner in Kairo sind Würde, An¬
stand und einfache Anmuth die hervorstechenden Züge. Ihre Blicke und Mienen
drücken hier niemals jene wilde Verzückung, sondern immer ruhige, bescheidene
Andacht aus. Die Stellungen und Bewegungen, welche ihnen beim Gebete
vorgeschrieben sind, müssen vollkommen angemessen genannt werden, und nehmen
sich zusammen mit der Tracht der Betenden überaus graziös aus. Die Ord¬
nung des Gottesdienstes selbst ist so einfach wie das Innere der Gotteshäuser.

Eine halbe Stunde vor Mittag wird durch den Mueddin auf der um
den Madneh (so heißt auf Arabisch das Minaret) laufenden Galerie Ver


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/510>, abgerufen am 01.09.2024.