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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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Die Daliegenden murmeln unablässig das Wort "Allah!" Die übrigen
Glieder der Processton bleiben entweder eine Gasse bildend neben ihnen stehen
oder laufen, indem sie kleine Handpauken schlagen und gleichfalls "Allah!"
rufen, über ihren Rücken hin, gleichsam als Vorläufer deS Schech, der hinter
ihnen zu Rosse kommt. Dieser, gewöhnlich ein alter Mann, pflegt an diesem
Tage einen weißen Kaftan und eine flache Mütze von derselben Farbe, um¬
wunden mit einem schwarzen Turban, zu tragen. Sein Pferd oder Maulthier,
in der Regel kein sehr großes und schweres Thier, aber mit Eisen unter den
Hufen, zögert, ehe es den Rücken des ersten der Daliegenden betritt. Man
schiebt und treibt es an, und so setzt es erst einen, dann den zweiten Fuß
auf denselben und schreitet dann ohne weitere Scheu, von zwei Derwischen am
Zügel geführt, rasch über die ganze Reihe hin, während die Zuschauer, von Andacht
ergriffen, ein lang anhaltendes Geschrei: "Allah, la, la, la, las!" ausstoßen.
Nur selten geschieht es, daß einer verletzt wird, noch seltner, daß einer, den
dies betraf, mit Geheul oder Gewimmer aufspringt. Bei weitem die Meisten
scheinen, obwol sie alle zwei Tritte, einen von den vordern und einen von
den hintern Füßen erhalten, keinen starken Schmerz zu empfinden; wenigstens
sieht man nichts davon in ihren Mienen, und sobald einer vom Drucke deS
Pferdes befreit ist, erhebt er sich und folgt dem Schech. Die Vorstellung wird
als ein Wunder betrachtet, welches durch die dem Schech innewohnende über¬
natürliche Kraft bewirkt wird, und man erzählt, daß einer dieser heiligen
Männer über Haufen von Glasflaschen geritten sei, ohne eine einzige zu zer¬
brechen. Indeß bereiten sich die, welche das Dosch an sich vollziehen zu lassen
gewillt sind, auch durch gewisse Gebete darauf vor, und die, welche ,,das
Sacrament unwürdig genießen", das heißt ohne diese Vorbereitung und ohne
Glauben, werden getödtet oder mindestens stark beschädigt.

Es muß übrigens bemerkt werden, daß mehre der letzten Schechs das Un¬
vernünftige dieses Gebrauchs einsahen und steh weigerten, das Dosch zu halten,
so daß eS manche Jahre unterblieben ist. Unter Abbas Pascha aber, bekannt¬
lich einem sehr frommen Muselmann, fand es wieder statt, und auch unter
Said Pascha wurde dem Drange der Derwische, die es für einen integrirenden
Theil deS Molid En Nebbi ansehen, wiederholt nachgegeben.

Nach Beendigung dieser Ceremonie, die bisweilen auch daS Geburtsfest
Hossains verherrlichte, begibt sich der Schech in den Hof, der zu dem Hause
deS Schech El Bekri gehört, um hier dem Schauspiel zu präsidiren, welches
nun von dem Saadijeh aufgeführt wird. Es treten Leute auf, welche, Pauken
schlagend und "Allahn he!" (Gott ist lebendig!) rufend, dann zu dem Geschrei
"Ja Daim!" (O Ewiger!) übergehend unter fortwährenden Verbeugungen den
Z'kr tcinzen, bis einer oder der andere in Verzückung geräth und "malbus"
wird. ES erscheinen andere, die mit scharfgeschliffenen Säbeln ein sehr lau-


Die Daliegenden murmeln unablässig das Wort „Allah!" Die übrigen
Glieder der Processton bleiben entweder eine Gasse bildend neben ihnen stehen
oder laufen, indem sie kleine Handpauken schlagen und gleichfalls „Allah!"
rufen, über ihren Rücken hin, gleichsam als Vorläufer deS Schech, der hinter
ihnen zu Rosse kommt. Dieser, gewöhnlich ein alter Mann, pflegt an diesem
Tage einen weißen Kaftan und eine flache Mütze von derselben Farbe, um¬
wunden mit einem schwarzen Turban, zu tragen. Sein Pferd oder Maulthier,
in der Regel kein sehr großes und schweres Thier, aber mit Eisen unter den
Hufen, zögert, ehe es den Rücken des ersten der Daliegenden betritt. Man
schiebt und treibt es an, und so setzt es erst einen, dann den zweiten Fuß
auf denselben und schreitet dann ohne weitere Scheu, von zwei Derwischen am
Zügel geführt, rasch über die ganze Reihe hin, während die Zuschauer, von Andacht
ergriffen, ein lang anhaltendes Geschrei: „Allah, la, la, la, las!" ausstoßen.
Nur selten geschieht es, daß einer verletzt wird, noch seltner, daß einer, den
dies betraf, mit Geheul oder Gewimmer aufspringt. Bei weitem die Meisten
scheinen, obwol sie alle zwei Tritte, einen von den vordern und einen von
den hintern Füßen erhalten, keinen starken Schmerz zu empfinden; wenigstens
sieht man nichts davon in ihren Mienen, und sobald einer vom Drucke deS
Pferdes befreit ist, erhebt er sich und folgt dem Schech. Die Vorstellung wird
als ein Wunder betrachtet, welches durch die dem Schech innewohnende über¬
natürliche Kraft bewirkt wird, und man erzählt, daß einer dieser heiligen
Männer über Haufen von Glasflaschen geritten sei, ohne eine einzige zu zer¬
brechen. Indeß bereiten sich die, welche das Dosch an sich vollziehen zu lassen
gewillt sind, auch durch gewisse Gebete darauf vor, und die, welche ,,das
Sacrament unwürdig genießen", das heißt ohne diese Vorbereitung und ohne
Glauben, werden getödtet oder mindestens stark beschädigt.

Es muß übrigens bemerkt werden, daß mehre der letzten Schechs das Un¬
vernünftige dieses Gebrauchs einsahen und steh weigerten, das Dosch zu halten,
so daß eS manche Jahre unterblieben ist. Unter Abbas Pascha aber, bekannt¬
lich einem sehr frommen Muselmann, fand es wieder statt, und auch unter
Said Pascha wurde dem Drange der Derwische, die es für einen integrirenden
Theil deS Molid En Nebbi ansehen, wiederholt nachgegeben.

Nach Beendigung dieser Ceremonie, die bisweilen auch daS Geburtsfest
Hossains verherrlichte, begibt sich der Schech in den Hof, der zu dem Hause
deS Schech El Bekri gehört, um hier dem Schauspiel zu präsidiren, welches
nun von dem Saadijeh aufgeführt wird. Es treten Leute auf, welche, Pauken
schlagend und „Allahn he!" (Gott ist lebendig!) rufend, dann zu dem Geschrei
„Ja Daim!" (O Ewiger!) übergehend unter fortwährenden Verbeugungen den
Z'kr tcinzen, bis einer oder der andere in Verzückung geräth und „malbus"
wird. ES erscheinen andere, die mit scharfgeschliffenen Säbeln ein sehr lau-


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[0509] Die Daliegenden murmeln unablässig das Wort „Allah!" Die übrigen Glieder der Processton bleiben entweder eine Gasse bildend neben ihnen stehen oder laufen, indem sie kleine Handpauken schlagen und gleichfalls „Allah!" rufen, über ihren Rücken hin, gleichsam als Vorläufer deS Schech, der hinter ihnen zu Rosse kommt. Dieser, gewöhnlich ein alter Mann, pflegt an diesem Tage einen weißen Kaftan und eine flache Mütze von derselben Farbe, um¬ wunden mit einem schwarzen Turban, zu tragen. Sein Pferd oder Maulthier, in der Regel kein sehr großes und schweres Thier, aber mit Eisen unter den Hufen, zögert, ehe es den Rücken des ersten der Daliegenden betritt. Man schiebt und treibt es an, und so setzt es erst einen, dann den zweiten Fuß auf denselben und schreitet dann ohne weitere Scheu, von zwei Derwischen am Zügel geführt, rasch über die ganze Reihe hin, während die Zuschauer, von Andacht ergriffen, ein lang anhaltendes Geschrei: „Allah, la, la, la, las!" ausstoßen. Nur selten geschieht es, daß einer verletzt wird, noch seltner, daß einer, den dies betraf, mit Geheul oder Gewimmer aufspringt. Bei weitem die Meisten scheinen, obwol sie alle zwei Tritte, einen von den vordern und einen von den hintern Füßen erhalten, keinen starken Schmerz zu empfinden; wenigstens sieht man nichts davon in ihren Mienen, und sobald einer vom Drucke deS Pferdes befreit ist, erhebt er sich und folgt dem Schech. Die Vorstellung wird als ein Wunder betrachtet, welches durch die dem Schech innewohnende über¬ natürliche Kraft bewirkt wird, und man erzählt, daß einer dieser heiligen Männer über Haufen von Glasflaschen geritten sei, ohne eine einzige zu zer¬ brechen. Indeß bereiten sich die, welche das Dosch an sich vollziehen zu lassen gewillt sind, auch durch gewisse Gebete darauf vor, und die, welche ,,das Sacrament unwürdig genießen", das heißt ohne diese Vorbereitung und ohne Glauben, werden getödtet oder mindestens stark beschädigt. Es muß übrigens bemerkt werden, daß mehre der letzten Schechs das Un¬ vernünftige dieses Gebrauchs einsahen und steh weigerten, das Dosch zu halten, so daß eS manche Jahre unterblieben ist. Unter Abbas Pascha aber, bekannt¬ lich einem sehr frommen Muselmann, fand es wieder statt, und auch unter Said Pascha wurde dem Drange der Derwische, die es für einen integrirenden Theil deS Molid En Nebbi ansehen, wiederholt nachgegeben. Nach Beendigung dieser Ceremonie, die bisweilen auch daS Geburtsfest Hossains verherrlichte, begibt sich der Schech in den Hof, der zu dem Hause deS Schech El Bekri gehört, um hier dem Schauspiel zu präsidiren, welches nun von dem Saadijeh aufgeführt wird. Es treten Leute auf, welche, Pauken schlagend und „Allahn he!" (Gott ist lebendig!) rufend, dann zu dem Geschrei „Ja Daim!" (O Ewiger!) übergehend unter fortwährenden Verbeugungen den Z'kr tcinzen, bis einer oder der andere in Verzückung geräth und „malbus" wird. ES erscheinen andere, die mit scharfgeschliffenen Säbeln ein sehr lau-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/509>, abgerufen am 01.09.2024.