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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band.

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Weißbart trat aus dem Gliede und feuerte mit Bücklingen und Händeklatschen
die Mattwerdenden zu weiteren Ausharren an. Die Flöten jauchzten, die Mund-
schidS jubelte", und siehe da, die gequälten, verrenkten Leiber leisteten noch mehr,
vor allen die türkischen Derwische, die wie die Bestien brüllten und wie
Brunnenschwengel auf- und niederfuhren. Eine ergötzliche Figur in dieser
Höllenscene war ein alter steifer Kawaß, der, neben dem vorhin erwähnten
Soldaten stehend, ganz im Gegensatz zu diesem den Grundsatz: Alles mit
Maßen verkörperte und sich mit Mühe zu einigen kargen Verbeugungen zwang.
Und noch eigenthümlicher nahm sich der Kontrast dieser wüsten Fratzen zu dem
unschuldig lächelnden Gesichtchen eines kleinen europäisch gekleideten Mädchens
auf den Armen eines grinsenden Negers aus, der im Verlauf der Ceremonie
neben der Gebetsnische Platz genommen.

Man hätte meinen sollen, die menschliche Natur habe hier schon längst ihre
Grenze überschritten und sich im Gebiete des Unmöglichen bewegt, und es
schien in der That mit den Kräften der Verzückten jetzt völlig und unaufhalt¬
sam zu Ende zu gehen. Einige besonders Eifrige schlenkerten sich brüllend
noch auf und nieder, baß gewöhnlich Organisirten das Blut aus Mund und
Nase hätte schießen müssen. Sie Mehrzahl der Derwische aber schien allmälig
zur Besinnung zu kommen und sich nach Ruhe zu sehnen. Nicht so die Vor¬
steher. Noch war die Katastrophe nicht eingetreten, noch keiner der Versam¬
melten "malbus" d. h. besessen, und Besessenheit scheint die Krone dieser
Zikrs zu sein. Ein Rothgekleideter sang ein Lied auf Mohammed und die
Stifter der vier großen Derwischorden, und dieses Aufregungsmittel, verbunden
mit den aufs neue losbrechenden Flöten, den Becken und der Handpauke, die
jetzt von dem wilden Weißbart geschlagen wurde, that noch einmal seine volle
Wirkung.

Noch einmal rafften die zum Tode Erschöpften sich auf. Noch einmal
^begann der ganze Kreis sich nach der GebetSnische hin zu verbeugen, jetzt
nach dem Takt von Tönen, die wie ein grauenhaftes Röcheln klangen. Aber
nur noch kurze Zeit vermochten die Nerven dem Willen gehorsam zu sein.
Vergeblich sprang der Alte mit seiner Pauke im Ringe umher, umsonst schlug
er sie hart vor den Ohren der nachlassenden. Die Kette kam an mehren
Punkten zum Stillstande, ihre Glieder lösten sich. Nur vier von den Türken
und der Soldat, wie es schien von unwiderstehlichem Neigekrampf gepackt
und bewegt, bückten sich MMend fort und fort, trotz der Mühe, welche sich
die Nachbarn gaben, sie zu beruhigen.

Der Soldat stürzte endlich zusammen und wurde hart neben uns auf den
Rücken gelegt, in welcher Lage man ihn, der augenscheinlich einen Anfall
von Epilepsie bekommen, durch Streichen und Drücken der Brust- und Bauch¬
muskeln, wie es in den orientalischen Bädern angewendet wird, allmälig wieder


Weißbart trat aus dem Gliede und feuerte mit Bücklingen und Händeklatschen
die Mattwerdenden zu weiteren Ausharren an. Die Flöten jauchzten, die Mund-
schidS jubelte», und siehe da, die gequälten, verrenkten Leiber leisteten noch mehr,
vor allen die türkischen Derwische, die wie die Bestien brüllten und wie
Brunnenschwengel auf- und niederfuhren. Eine ergötzliche Figur in dieser
Höllenscene war ein alter steifer Kawaß, der, neben dem vorhin erwähnten
Soldaten stehend, ganz im Gegensatz zu diesem den Grundsatz: Alles mit
Maßen verkörperte und sich mit Mühe zu einigen kargen Verbeugungen zwang.
Und noch eigenthümlicher nahm sich der Kontrast dieser wüsten Fratzen zu dem
unschuldig lächelnden Gesichtchen eines kleinen europäisch gekleideten Mädchens
auf den Armen eines grinsenden Negers aus, der im Verlauf der Ceremonie
neben der Gebetsnische Platz genommen.

Man hätte meinen sollen, die menschliche Natur habe hier schon längst ihre
Grenze überschritten und sich im Gebiete des Unmöglichen bewegt, und es
schien in der That mit den Kräften der Verzückten jetzt völlig und unaufhalt¬
sam zu Ende zu gehen. Einige besonders Eifrige schlenkerten sich brüllend
noch auf und nieder, baß gewöhnlich Organisirten das Blut aus Mund und
Nase hätte schießen müssen. Sie Mehrzahl der Derwische aber schien allmälig
zur Besinnung zu kommen und sich nach Ruhe zu sehnen. Nicht so die Vor¬
steher. Noch war die Katastrophe nicht eingetreten, noch keiner der Versam¬
melten „malbus" d. h. besessen, und Besessenheit scheint die Krone dieser
Zikrs zu sein. Ein Rothgekleideter sang ein Lied auf Mohammed und die
Stifter der vier großen Derwischorden, und dieses Aufregungsmittel, verbunden
mit den aufs neue losbrechenden Flöten, den Becken und der Handpauke, die
jetzt von dem wilden Weißbart geschlagen wurde, that noch einmal seine volle
Wirkung.

Noch einmal rafften die zum Tode Erschöpften sich auf. Noch einmal
^begann der ganze Kreis sich nach der GebetSnische hin zu verbeugen, jetzt
nach dem Takt von Tönen, die wie ein grauenhaftes Röcheln klangen. Aber
nur noch kurze Zeit vermochten die Nerven dem Willen gehorsam zu sein.
Vergeblich sprang der Alte mit seiner Pauke im Ringe umher, umsonst schlug
er sie hart vor den Ohren der nachlassenden. Die Kette kam an mehren
Punkten zum Stillstande, ihre Glieder lösten sich. Nur vier von den Türken
und der Soldat, wie es schien von unwiderstehlichem Neigekrampf gepackt
und bewegt, bückten sich MMend fort und fort, trotz der Mühe, welche sich
die Nachbarn gaben, sie zu beruhigen.

Der Soldat stürzte endlich zusammen und wurde hart neben uns auf den
Rücken gelegt, in welcher Lage man ihn, der augenscheinlich einen Anfall
von Epilepsie bekommen, durch Streichen und Drücken der Brust- und Bauch¬
muskeln, wie es in den orientalischen Bädern angewendet wird, allmälig wieder


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_103666/461>, abgerufen am 28.07.2024.